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Rekordjahr für erneuerbare Energien
Noch nie gab es in Polen so viel emissionsfreien Strom wie im Jahr 2023. Das Land will die erneuerbaren Energien weiter ausbauen - und kämpft mit einigen Herausforderungen.
08.01.2024
Von Christopher Fuß | Warschau
Der polnische Strommarkt hat 2023 gleich mehrere Rekorde gebrochen. Wie das Branchenportal WysokieNapiecie.pl vorrechnet, lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromproduktion bei 27 Prozent - und damit so hoch wie noch nie. Gleichzeitig sank der Anteil von Strom aus Braun- und Steinkohle auf 63 Prozent. Das ist der niedrigste Wert in der Geschichte des polnischen Strommarktes.
Laut WysokieNapiecie.pl gibt es für diese Entwicklung mehrere Gründe. An erster Stelle steht der Anschluss neuer Windkraftwerke und Fotovoltaikanlagen. Allein zwischen Januar und Oktober 2023 wuchs die installierte Leistung von Erneuerbare-Energien-Anlagen um 26,5 Prozent. Das geht aus Daten der Energieagentur ARE (Agencja Rynku Energii) hervor. Der zweite Grund: Polens Kohlekraftwerke produzieren weniger Strom als in den Vorjahren. Hier könnten die hohen Preise für Emissionszertifikate eine Rolle spielen. Sie machen fossile Energieträger teurer und damit unwirtschaftlicher.
Fotovoltaikbranche im Wandel
Polen hat sich vorgenommen, schrittweise von Kohlestrom auf andere Energieträger umzusteigen, darunter auf erneuerbare Energiequellen. In diesem Zusammenhang nutzt das Land verschiedene Steuerungsinstrumente. Ein Beispiel sind Subventionen, die Privathaushalte beim Kauf von Solaranlagen unterstützen.
Das wichtige Förderprogramm Mein Strom (Mój Prąd) endete jedoch im Dezember 2023. Der federführende staatliche Umweltfonds NFOiGW (Narodowy Fundusz Ochrony rodowiska i Gospodarki Wodnej) plant eine Neuauflage. Noch fehlen Details. Ein mögliches Problem: Bislang finanzierte sich Mein Strom über EU-Mittel. Neue Gelder hängen fest, weil Polen eine mit der Europäischen Kommission vereinbarte Justizreform nicht umsetzt. Kleiner Lichtblick: Im Dezember 2023 zahlte die Europäische Kommission 5 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds an Polen aus.
Bei den meisten Solarkraftwerken in Polen handelt es sich um Kleinstanlagen auf Hausdächern. Diese Marktstruktur könnte sich bald ändern, erklärt der Branchenverband Solar Power Europe. Mehr als zwei Drittel aller neu installierten Kapazitäten seien mittlerweile Großanlagen auf Firmendächern oder auf Freiflächen. Hier kommen auch die Produkte deutscher Zulieferer zum Einsatz, beispielsweise Wechselrichter vom Hersteller SMA. Gleichzeitig bauen Investoren aus Deutschland in Polen neue Solarparks. Ein bekanntes Beispiel ist die Anlage von Goldbeck Solar im Nordwesten Polens.
Verschiedene Lösungen sollen Stromnetz entlasten
Problematisch für Stromerzeuger sind die begrenzten Anschlussmöglichkeiten an das veraltete Stromnetz. Eine Lösung, die Polens Parlament 2023 auf den Weg brachte, verspricht zumindest teilweise Abhilfe. Die Rede ist vom sogenannten Cable Pooling. Hier teilen sich zwei Kraftwerke einen Netzanschluss. Die Idee: Fotovoltaikanlagen und Windkraftwerke arbeiten selten gleichzeitig. Daher könnten beide Installationen ihren Strom über ein gemeinsames Kabel einspeisen, ohne das Netz zu überlasten. Die Energieunternehmen Tauron und EDP Renewables entwickeln in Polen bereits Projekte nach diesem Prinzip.
Energieintensive Betriebe hatten auch große Hoffnungen in Direktleitungen gesetzt, die das landesweite Stromnetz umgehen und folglich nicht belasten. Bislang genehmigte die zuständige Behörde URE (Urząd Regulacji Energetyki) solche Verbindungen zwischen Kraftwerk und Abnehmer aber nur in Ausnahmefällen. Eine Reform versprach Erleichterungen. Deutsche Unternehmen mit Produktionsstätten in Polen wie Volkswagen und Mercedes-Benz kritisierten jedoch in der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna (DGP), dass Direktleitungen weiterhin mit einem beachtlichen Verwaltungsaufwand und hohen Kosten verbunden seien.
Produzierende Unternehmen dürfen überschüssigen Strom aus der Direktleitung nämlich nur ans Netz weitergeben, wenn sie über eine entsprechende Zulassung verfügen. Solch eine Genehmigung zu bekommen, ist aufwendig und teuer. Die Alternative lautet, dass sich Stromproduzent und Direktabnehmer ein Stromhandelsunternehmen mit ins Boot holen. Doch auch dieser Schritt ist mit Kosten verbunden.
Industriebetriebe sichern sich feste Preise
Ein weiteres Thema beim Erschließen erneuerbarer Energiequellen ist die Finanzierung. Lange Zeit spielten Polens staatliche Energieauktionen dabei eine zentrale Rolle. Investoren können sich im Rahmen von Versteigerungen einen festen Abnahmepreis für mehrere Jahre sichern. Auch deutsche Betreibergesellschaften nutzen diese sogenannten Differenzkontrakte.
Doch das Förderinstrument verliert an Bedeutung. Bei der Versteigerung Ende 2023 fand die zuständige Behörde URE nur für weniger als 7 Prozent der ausgeschriebenen Strommenge einen Produzenten. Stattdessen gewinnen Direktlieferverträge (Power Purchase Agreement; PPA) an Bedeutung. Seit 2020 steigt die Zahl der jährlich unterzeichneten Abkommen. Bei diesem Modell einigt sich ein gewerblicher Abnehmer mit einem Stromproduzenten über den Kauf einer bestimmten Energiemenge. Deutsche Firmen wie Innogy, Enertrag oder KGAL finanzieren ihre Projekte in Polen mit solchen PPA. Die Kunden sind oft energieintensive Betriebe.
Direktlieferverträge betreffen in der Regel Windparks. Ausgerechnet die Windenergie kämpft jedoch mit einigen Schwierigkeiten. Die mittlerweile abgewählte Regierung unter der Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość) hatte die Abstandsvorschriften zwischen Windrad und Wohngebieten auf 700 Meter reduziert. Das ging der im Oktober 2023 neu gewählten Regierungskoalition nicht weit genug.
Als das Parlament zum Jahresende über eine Strompreisbremse debattierte, fügte sie dem Gesetzesentwurf einige Paragrafen hinzu. Danach hätten Windräder, je nach Lärmbelästigung, auf bis zu 300 Meter an Wohngebäude heranrücken können. Im Zuge von Protesten verschwanden die Passagen wieder. Auch deutsche Energieerzeuger wie RWE Polska äußerten sich kritisch gegenüber dem Vorhaben. Polens Regierung will nun ein gesondertes Windkraftgesetz vorbereiten und die Mindestabstände auf 500 Meter senken.