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Bau neuer Kraftwerke läuft nicht schnell genug
Polen deckt 40 Prozent seines Energiebedarfs über Importe, doppelt so viel wie beim EU-Beitritt. Für mehr Sicherheit sollen neue Kraftwerke und neue Rohstofflieferanten sorgen.
23.08.2023
Von Christopher Fuß | Warschau
Angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine will Polens Klimaministerium die nationale Energiestrategie um ein neues Ziel erweitern. Neben einer emissionsarmen Energieproduktion soll der Fokus in Zukunft auch auf Energiesouveränität liegen. Ein Streitthema ist die zukünftige Rolle der Kohle. Die Arbeit an der Energiestrategie könnte bis 2024 dauern.
Unabhängig davon schließen staatliche Energieversorger neue Importabkommen. Russland war 2021 größter Lieferant fossiler Energieträger. Seit Anfang 2023 zählen Saudi-Arabien, Norwegen, die USA, Katar und Kolumbien zu den wichtigsten Partnern.
Zusätzliche Lieferanten helfen, die Energiemärkte zu beruhigen. Zwar legte der Industriestrompreis Ende 2022 gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent zu. Der Wert war laut Eurostat mit 15,6 Eurocent je Kilowattstunde aber um ein Viertel unter dem europäische Mittel. Die Gaspreise am Spotmarkt der Energiebörse TGE (Towarowa Giełda Energii) normalisieren sich weiter. Im August 2022 kostete die Megawattstunde hier durchschnittlich 235 Euro. Im Juli 2023 waren es 34 Euro.
Polen | Deutschland | |
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Bevölkerung (in Mio.; am 1.1.2023) | 36,8 | 84,4 |
Energieproduktion (PJ; 2020) | 2.422 | 4.045 |
Stromverbrauch (TWh; 2021) | 170,3 | 551 |
Nettoenergieimporte (PJ; 2021) | 1.859,4 | 7.916 |
Pro-Kopf-Verbrauch (GJ/Kopf; 2020) | 82,9 | 145 |
CO2-Emissionen (Mio. t; 2021) | 294,8 | 622 |
Strompreis Industrie (Euro/MWh; Q4 2022) | 155,7 | 225,6 |
Strompreis Endverbraucher (Euro/MWh; Q4 2022) | 146,6 | 358,6 |
Staatliche Zuschüsse drücken den Preis
Als Reaktion auf die Verwerfungen am Energiemarkt hatte Polens Regierung auch Preisdeckel auf Strom und Gas eingeführt. Sie gelten bis Ende 2023 für Privathaushalte und für mittelständische Unternehmen. Energieintensive Großbetriebe erhalten Subventionen. Ob die Preisdeckel verlängert werden, bleibt offen. Die Europäische Kommission schätzt die Kosten aller Energieprogramme Polens auf 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Der Thinktank Forum Energii kommentiert, Polen erkaufe sich einen Teil der niedrigen Energiepreise mit staatlichen Zuschüssen. Diese Preisstützen sind also nicht nur wegen des Ukrainekriegs nötig, sondern auch, weil ein Großteil der Strom- und Wärmeversorgung an der Kohle hängt. Die Energieerzeuger müssen teure Emissionszertifikate einkaufen, die 2022 ein Viertel der Stromrechnung von Privathaushalten ausmachten. Preise für Spot- und Termingeschäfte an der TGE liegen über dem europäischen Durchschnitt.
Polen will mehr Gas fördern
Gas soll einen Teil der Kohle ersetzen und Emissionen senken. Der Umstieg wird laut dem Energiestrategie-Entwurf aber kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. Prognosen zufolge steigt der Gasbedarf bis 2035 um 35 Prozent auf 27 Milliarden Kubikmeter. Dank der Baltic Pipe nach Norwegen, dem Flüssiggasterminal in Świnoujście und weiteren Leitungen gibt es viele Bezugsmöglichkeiten.
Der polnische Energiekonzern Orlen will seine jährliche Gasförderung bis 2030 von heute 7,7 Milliarden Kubikmeter auf 12 Milliarden Kubikmeter ausbauen. Vor der Küste Norwegens erschließt das Unternehmen Gasfelder, auch mit deutschen Partnern wie Wintershall DEA. Außerdem ersetzt das Unternehmen Kohlekraftwerke durch Gasanlagen. Wasserstoff und Biomethan fristen noch ein Nischendasein.
Verdopplung bei den erneuerbaren Energien
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung soll bis 2040 auf 50 Prozent steigen. Große Hoffnungen setzt Polen in die Fotovoltaik. Bislang investieren vor allem Privathaushalte. Die Energieversorger wiederum haben Großanlagen angekündigt. Das deutsche Unternehmen Goldbeck baut in Westpolen den größten Fotovoltaikpark des Landes. Zusätzlich sollen bis 2040 Offshore-Windanlagen mit 18 Gigawatt ans Netz gehen. Siemens Energy liefert Turbinen. Zur Sicherung der Grundlast will Polen Atomkraftwerke bauen. Die Finanzierung der geplanten Reaktoren ist jedoch unklar.
Nach Ansicht der Netzbehörde URE (Urząd Regulacji Energetyki) dauert der Bau neuer Kraftwerke zu lange. Die geplanten Anlagen reichen zudem nicht aus, um die auslaufenden Kohlekraftwerke zu ersetzen. Die langsame Baudynamik hängt auch mit Polens überlastetem Stromnetz zusammen. Netzbetreiber lehnen immer häufiger den Anschluss neuer Anlagen ab. Laut Energiestrategie müssten die Unternehmen bis 2040 über 110 Milliarden Euro in den Netzausbau investieren. Das Versorgungsunternehmen Tauron hat bereits angekündigt, Einnahmen aus dem Verkauf seiner Kohlekraftwerke zu investieren. Hintergrund: Staatliche Energiekonzerne sollen ihre Kohlekraftwerke an eine Auffanggesellschaft veräußern. Die Europäische Kommission muss dem Plan zustimmen.
Förderprogramme decken Teile der Kosten
Für die Modernisierung der Netze und den Bau neuer Kraftwerke stehen weitere Mittel bereit. Zu den wichtigsten Geldquellen gehören das EU-finanzierte Programm FENiKS, der europäische Wiederaufbaufonds und Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten. Polen will 40 Prozent der Zertifikaterlöse in einen Fonds übertragen. Das Kabinett hat ein Gesetz für das 3. Quartal 2023 angekündigt.
Eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Fördergeldern spielt der Umweltfonds NFOŚiGW (Narodowy Fundusz Ochrony Środowiska i Gospodarki Wodnej). Er subventioniert Fotovoltaikanlagen und Wärmepumpen. Die Absatzdynamik letzterer hat sich im 1. Halbjahr 2023 jedoch verlangsamt. Laut Verband PORT PC fehlt wegen der Energiepreisbremsen ein Anreiz zum Umrüsten.
Wärmepumpen sind auch Bestandteil von Polens Wärmestrategie. Ein Entwurf sieht vor, Kohle durch Gas zu ersetzen. Später kommen Biomasse und Strom hinzu. Außerdem soll das Fernwärmenetz wachsen. Heute sind die Hälfte aller Haushalte angeschlossen. Die Regierung will die Strategie Ende 2023 verabschieden.
Markteinstieg braucht Geduld
Deutsche Unternehmen arbeiten an vielen Projekten in Polen mit. Nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien gibt es Chancen, wie die Beispiele vom Gasmarkt zeigen. Wichtig: Zulieferer sollten die Konkurrenz aus Polen nicht unterschätzen. Bei der Kabelproduktion gehört das Land zur europäischen Spitze.
Eine Herausforderung ist der fehlende politische Konsens im Energiesektor. Dadurch können sich Projekte verzögern. Hinzu kommt: Die Finanzierung ist nicht immer gesichert. Gelder aus dem Wiederaufbaufonds fließen aktuell nicht, weil eine zwischen Polen und der Europäischen Kommission ausgehandelte Justizreform beim Verfassungsgericht festhängt.