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Wirtschaftsumfeld | Russland | Unternehmensumgebung

Moskau erschwert Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland

Der Kreml verschärft die Gangart gegen Firmen, die dem Land den Rücken kehren. Verkäufe werden erschwert, Preise gedrückt. Deutsche Unternehmen ziehen sich mehrheitlich zurück.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Den Rückzug aus Russland anzutreten, ist für Firmen aus Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben ("unfreundliche Staaten") ein höchst komplexes Unterfangen. Eine Tochtergesellschaft eines westlichen Unternehmens muss schon jetzt einen wahren Spießroutenlauf absolvieren. Dabei verschärft Moskau die Rückzugsbedingungen immer weiter.

Verkäufer müssen große finanzielle Einbußen hinnehmen

Seit September 2022 muss eine Tochtergesellschaft einer ausländischen Firma eine Genehmigung für den Verkauf und einen möglichen Rückkauf ihrer Aktiva von der Regierungskommission zur Kontrolle ausländischer Investitionen einholen – ein zeitaufwändiges und anspruchsvolles Verfahren ohne klare Prozesse und Fristen. Doch ohne eine Entscheidung dieses Gremiums kann kein Unternehmensverkauf stattfinden.

Damit der Antrag bearbeitet wird, muss ein russischer Gutachter den Unternehmenswert ermitteln. Auf diesen Wert verlangt die Kommission einen Preisnachlass von bis zu 50 Prozent. Zusätzlich muss der Käufer eine einmalige "Rückzugssteuer" entrichten, deren Höhe an den Marktwert des Unternehmens gekoppelt ist. Der Käufer holt sich dieses Geld im Regelfall über einen weiteren Preisnachlass vom Verkäufer zurück.

Bei einem Teilverkauf könnten ausländische Unternehmen möglicherweise die von der Kommission geforderten Preisnachlässe umgehen. Dies will die russische Regierung verhindern. Das Industrieministerium fordert die Firmen daher auf, sich eindeutig festzulegen, ob sie den russischen Markt verlassen möchten oder nicht.

Großunternehmen, deren durchschnittlicher Nettogewinn 1 Milliarde Rubel in den Jahren 2021 und 2022 überstieg, sollen zusätzlich mit einer Übergewinnsteuer (Windfall-Tax) zur Kasse gebeten werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt der Staatsduma vor.

„Durch die Zwangsverkäufe haben in Russland tätige westliche Unternehmen Vermögenswerte bis zu 28,7 Milliarden Euro verloren“,

berechnet der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew.

Regierungskommission verzögert Ausstiegsprozess

Russland hat trotz anders lautender offizieller Darstellung kein Interesse an einer Abwanderung westlicher Firmen. Die Kommission zur Kontrolle ausländischer Investitionen verlangsamt den Ausstiegsprozess bewusst. Pro Monat werden nur rund 10 Genehmigungen erteilt, berichtet die Nowaja Gazeta. Seit März 2022 wurden erst 200 Verkäufe mit einem Gesamtwert von rund 100 Milliarden US-Dollar (US$) abgeschlossen. Auf der Warteliste stehen aktuell mehr als 700 Antragsteller.

Die Kommission geht bei der Erteilung der Erlaubnis zum Rückzug einen wenig transparenten Weg und behandelt die Firmen abhängig von ihrem Nutzen für die russische Wirtschaft, analysiert die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja.

Kreml schafft Voraussetzung zur Enteignung von Ausländern

Russland will vorübergehend ausländische Vermögenswerte fremdverwalten, wenn russische Aktiva im Ausland beschlagnahmt werden. Per Präsidialerlass wurden die beiden Energiekonzerne Fortum und Uniper verstaatlicht. Zudem beabsichtigt der Kreml die Beschlagnahme ausländischer Aktiva von „unartigen Firmen“, die sich aus dem russischen Markt zurückziehen. Künftig sollen auch die Gouverneure der Regionen, in denen westliche Fabriken angesiedelt sind, bei der Erteilung der Verkaufsgenehmigung ein Wörtchen mitreden dürfen.

Russland deckelt Devisenüberweisungen ins Ausland

Russische Aufkäufer westlicher Aktiva dürfen zur Begleichung des Kaufpreises seit 1. Juni 2023 pro Monat maximal eine Milliarde US$ auf ein ausländisches Konto einzahlen. Daneben erwägt die Regierungskommission zur Kontrolle ausländischer Investitionen eine Verpflichtung des Käufers, bis zu 20 Prozent der erworbenen Anteile eines westlichen Unternehmens an der Börse zu handeln.

EU hilft Unternehmen beim Weggang aus Russland

Die EU-Kommission greift Firmen aus Mitgliedsstaaten, die ihr Geschäft in Russland aufgeben, unter die Arme. Im 11. Sanktionspaket sind dafür Mechanismen vorgesehen. So wird für das Verbot zur Erbringung von Rechtsberatungsdienstleistungen vorübergehend eine Ausnahme erteilt. Die Mitgliedstaaten können bis zum 31. März 2024 die Bereitstellung juristischer Dienstleistungen, die für einen Rückzug erforderlich sind, genehmigen. Damit soll verhindert werden, dass westliche Firmen durch Steuerzahlungen Russlands Kriegsanstrengungen finanzieren.

Deutsche Firmen verkaufen Vermögenswerte

Zwischen März 2022 und März 2023 zogen ausländische Investoren bereits rund 36 Milliarden US$ aus Russland ab, berechnet die Zentralbank. Darunter sind die deutschen Schwergewichte Mercedes, Volkswagen, Bosch und Continental. Die Otto Group veräußerte ihre Aktiva an den Moskauer Warenlagerbetreiber Multicold. Der Konsumgüterhersteller Henkel verkaufte für rund 600 Millionen Euro seine Fabriken an ein russisches Investorenkonsortium, zu dem Augment Investments, Kismet Capital und Elbrus Services gehören. Der Düsseldorfer Konzern sicherte sich ein 10-jähriges Rückkaufsrecht. Continental übertrug für rund 115 Millionen Euro sein Reifenwerk im Gebiet Kaluga an die Beteiligungsgesellschaft S8 Capital.

Der Rückzug fordert einen erheblichen Mehraufwand in Sachen Compliance und Rechtsbeistand. Viele kleine und mittelständische Betriebe (KMU) können diesen nicht stemmen und stehen wegen der wachsenden Hürden vor der Alternative: Bleiben oder unter großem Aufwand und hohen Preisnachlässen verkaufen: „KMU sind nicht bereit, ihre Fabriken gleichsam zum Nulltarif an die russische Seite zu übergeben", meldet die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer.

Kasachstan bietet sich als Alternative für die Relokation an

Profiteur des Rückzugs westlicher Firmen aus Russland könnte Kasachstan werden. Das zentralasiatische Land lud 400 ausländische Unternehmen ein, die bis dato in Russland produzierten, sich vor Ort anzusiedeln. Rund 25 Firmen, darunter aus Deutschland, vollzogen diesen Schritt bereits, meldet das kasachische Außenministerium.

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