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Auch Schweden bemüht sich um günstigere Energie

Zum Endspurt der Wahlkampagne rückte neben Bandenkriminalität und Migration das Thema Energie in den Fokus - vor allem ihr Preis, aber auch die zukünftige Strategie.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Schweden benötigt Gas eigentlich nur im Industriebereich. Der Strom wird zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Quellen und aufgrund der Atomkraft fast ausschließlich abgasfrei gewonnen. Sein Preis orientiert sich aber am europäischen Gesamtmarkt, was zu seiner Vervielfachung binnen weniger Monate geführt hat. Für einen weiteren Auftrieb der Preise sorgten Komplikationen bei der alljährlichen Wartung eines der drei aktiven Atomkraftwerke. Laut dem Betreiber Vattenfall wird Ringhals 4 erst im November 2022 wieder ans Netz gehen.

Sollte der Termin nicht eingehalten werden, wird laut staatlichem Netzbetreiber Svenska kraftnät (SK) der Stromimportbedarf im Winter auf das Vierfache der üblichen Nachfrage steigen. "Unsere Analysen zeigen für bestimmte mögliche Szenarien, dass wir den Zuverlässigkeitsstandard nach europäischer Gesetzgebung deutlich überschreiten, was den Ernst der Lage bestätigt. Im Klartext bedeutet dies, dass in diesem Winter, wenn es am kältesten ist, die Gefahr besteht, dass wir den Stromverbrauch in Teilen Südschwedens nicht decken können", erläutert Erik Ek, strategischer Betriebsleiter bei SK. Es könnten demnach 200 bis 600 Megawatt Erzeugerkapazitäten fehlen, vor allem im Süden des Landes. Auf den üblichen Ausgleich über die Anbindungen zu den direkten Nachbarn und unter der Ostsee sei kein Verlass, warnt Ek: "Wenn wir Strom am dringendsten importieren müssen, ist er möglicherweise nicht verfügbar".

Sparen und gegenseitige Hilfe

Kurzfristig gegengesteuert werden kann nur über Verbrauchseinsparungen. Wie schon während der Pandemie setzte die Regierung aber bisher vor allem auf Empfehlungen. Mit Teilerfolg: In zahlreichen Stockholmer Läden fahren die Rolltreppen zwar noch nach oben, nach unten kommt man nur noch zu Fuß. In den tiefvergrabenen U-Bahnstationen der Hauptstadt wird das niemandem zugemutet, allerdings fährt von meist mehreren Rolltreppen nur noch jeweils eine in jede Richtung.

Am 4. September 2022 wurde nun angekündigt, dass die öffentliche Verwaltung verbindlich in die Pflicht genommen wird. „Energieeffizienz ist der billigste und schnellste Weg, mehr Energie freizusetzen. Jede Kilowattstunde, die wir effizienter nutzen, verringert unsere Anfälligkeit für den Energiekrieg, den Putin gerade gegen Europa führt“, begründete Energieminister Khashayar Farmanbar die Maßnahme. Deswegen müssen alle Behörden monatlich ihre gekaufte Strommenge melden und über ergriffene Sparmaßnahmen berichten. Allerdings bleibt jedem selbst überlassen, welche das sind. Laut Regierungsvertretern könnte beispielsweise auf effizientere Beleuchtungsquellen umgestellt oder mit entsprechender Beleuchtungs- und Lüftungssteuerung der Verbrauch nachts minimiert werden.

Kreditgarantien sollen Zahlungsunfähigkeit der Stromproduzenten abwenden

Der Strompreisanstieg führt dazu, dass schwedische Stromerzeuger wesentlich höhere Margensicherheiten auf den Stromderivatenmarkt an dessen Betreiber Nasdaq Clearing AB abführen müssen. Ihr Volumen hat sich von Juni bis September 2022 auf 18 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Firmen drohen Liquiditätsengpässe. Um eventuelle Risiken für den gesamten Finanzmarkt abzufedern, stellt Schweden deswegen bis Ende 2023 Kreditgarantien in Höhe von 25 Milliarden Euro zur Verfügung - allen solventen Marktteilnehmern, also auch mit Sitz in Finnland, Dänemark, Norwegen und den baltischen Staaten.

Kurz- bis mittelfristig soll ferner eine nordische Energie-Task-Force helfen. "Schweden und Norwegen bündeln ihre Kräfte, um einen sicheren Zugang zu Strom und niedrige Preise in der nordischen Region zu gewährleisten. Wir wollen gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme finden", verkündeten die für Energiefragen zuständigen Minister beider Länder am 6. September 2022. Dänemark und Finnland seien eingeladen, sich an den Arbeiten zu beteiligen. Ziel sei "einen gut funktionierenden Energiemarkt sicherzustellen, damit wir zu einer Situation ausreichender und vernünftiger [bepreister] Energie zum Wohle von Industrie und Gesellschaft zurückkehren können", so Norwegens Öl- und Energieminister Terje Aasland. Nähere Details blieben beide aber schuldig.

Kernfrage beim Ausbau

Langfristig müssen aber vor allem Produktions- und Übertragungskapazitäten gesteigert werden. Die noch amtierende Premierministerin Magdalena Andersson möchte dazu an mehreren Stellen ansetzen. Erst Anfang August wurde zudem beschlossen, dass SK acht neue Umspannwerke für über 300 Millionen Euro bauen soll: in Gagnef, Jokkmokk, Norrköping, Salem, Umeå und Uppsala.

Dank der derzeitigen Lage setzt in Schweden auch die Atomenergie zu einem vermeintlichen Comeback an. Eigentlich hatte Schweden schon in den 1980er Jahren einen Atomausbaustopp beschlossen. Mitte der 2010er Jahre wurde bereits um einige Längen zurückgerudert. Neue Anlagen blieben aber auch danach - vor allem aus ökonomischen Gründen - tabu. Angesichts der Versorgungsunsicherheiten und des Strompreisanstiegs kippt die Stimmung - nicht nur bei den Politikern. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Demoskop sprachen sich im August 2022 rund 63 Prozent der 2.200 befragten Schwedinnen und Schweden für einen Kernkraftausbau aus. Zum Vergleich: 2014 waren es 38 Prozent. "Die Öffentlichkeit sieht, dass die Energiefrage gelöst werden muss und dass Kernkraft ein wichtiger Bestandteil ist", stellt SN-Energieexpertin Marie Knutsen-Öy fest.

Preisausgleich für alle

Selbst wenn nun kleine modulare Reaktoren (SMR) zum Einsatz kommen sollten, wird der Kapazitätsausbau Jahre dauern, genauso bei den Erneuerbaren. Um die akut gewordene Strompreisfrage abzufedern, hat die Regierung ein erst im Spätsommer vorgestelltes Ausgleichspaket nochmal aufgestockt. Statt der vormals angedachten knapp 6 Milliarden Euro, sollen nunmehr bis Ende 2023 knapp 9 Milliarden Euro den Stromverbrauchern helfen – jeweils etwa zur Hälfte den Privat- und den Firmenkunden.

Die Mittel stammen aus den Engpasserlösen (flaskhalsintäkter). Sie entstehen, wenn der Strompreis in dem Stromgebiet, wo er erzeugt wird, niedriger ist als in dem, wo er verbraucht wird. Eingenommen werden sie vom übertragenden Netzbetreiber, der verpflichtet ist, sie für Infrastrukturinvestitionen zu verwenden. Da die Erlöse wegen der Strompreisrallye deutlich gestiegen sind, hat die Energiemarktaufsicht Energimarknadsinspektionen SK bescheinigt, genug derartige Investitionen getätigt zu haben und somit grünes Licht für die Ausschüttung an die Kunden erteilt. Noch nicht entschieden ist, wie die Rückführung erfolgt. Zur Debatte stehen eine Senkung der Strompreise oder der Netzgebühren oder eine Kostenrückerstattung.

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