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Branche kompakt | Schweiz | Windenergie

Es tut sich was in der Schweizer Windkraft

Endlich macht auch das Schlusslicht Schweiz den Weg frei für mehr Windenergie. So kann das Land auch im Winter genug Strom produzieren und gleichzeitig das Klima schützen. 

Von Oliver Döhne | Bonn

  • Marktüberblick

    Markttreiber und -hemmnisse

    Treiber

    Hemmnisse

    Wunsch nach Energiesicherheit durch mehr Eigenversorgung ("Winterlücke")

    Mehrstufige und komplexe Genehmigungsprozesse (noch)

    Klimaziele, Dekarbonisierung, auslaufende Atomkraftwerke

    Einspruchsmöglichkeiten in allen Phasen, auch bei Einzelinteressen

    Gesetzesinitiativen für schnellere Genehmigungen, gebündelte Verfahren, AnreizeVergleichsweise hohe Stromgestehungskosten
    Elektrifizierung, steigender StrombedarfOrganisierte Gegner
    Quelle: Analyse von Germany Trade & Invest

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Politische Ziele

    Die Regierung plant, bis 2050 mindestens 4,3 Terawattstunden Strom aus Windkraft zu produzieren und hat den Ausbau zum nationalen Interesse erhoben.  

    Nachhaltig und energiesicher

    Die Schweiz will 2050 nicht nur klimaneutral sein, sondern auch in der Lage, sich "fast vollständig" aus eigenen nachhaltigen Quellen mit Strom zu versorgen. Bereits heute gewinnt die Schweiz einen hohen Anteil ihrer Elektrizität aus Wasserkraft, ist aber im Winter zusätzlich auf Importe und, das ganze Jahr über, auf Nuklearenergie angewiesen. Zwar will die Schweiz keine neuen Atomkraftwerke (AKW) bauen, wohl aber die vier bestehenden bis zum Ende ihrer Laufzeit weiter betreiben. Auch wenn nicht genau klar ist, wann das sein wird, könnte zumindest ein AKW ab 2034 vom Netz gehen. Spätestens dann entsteht eine Lücke, die bei steigendem Strombedarf durch E-Mobility und der Elektrifizierung insgesamt noch weiter aufgehen könnte. 

    Bei denkbaren neuen internationalen Energieengpässen will die Schweiz daher möglichst autark sein. Neben Wasser und Sonne soll auch der Wind stärker als Energieträger dienen, zumal Windkraft etwa zwei Drittel des Stroms im Winter erzeugt. Genau dann, wenn die Schweiz besonders viel Bedarf hat. Eilig erbaute Gaskraftwerke sollen nur als Notfall-Backup dienen. "Es bewegt sich was", sagt Olivier Waldvogel, Projektleiter beim schweizerischen Windkraftverband Suisse Eole. 

    Parlament vereinfacht Verfahren

    Das Bundesamt für Energie (BFE) strebt im Strategieplan "Perspektiven 2050+" eine Produktion von 4,3 Terawattstunden aus Windkraft bis 2050 an. Bis 2035 wird der Ausbau demzufolge noch an den schwerfälligen Abläufen kranken und lediglich 1,2 Terawattstunden erreichen. In der Folge werden dann aber effizientere und schnellere Prozesse den Ausbau beschleunigen, so die Pläne. 

    Um das zu erreichen, schafft der Staat Anreize unter anderem durch vereinfachte bürokratische Abläufe. Zum Beispiel durch den "Windexpress", der gerichtliche Anfechtungen gegen solche Projekte begrenzt, die baufertig sind, schon alle Instanzen durchlaufen haben und zum Teil seit über 20 Jahren in der Bürokratie feststecken. Energie- und Umweltminister Albert Rösti, den Branchenbeobachter als engagiert bezeichnen, erhofft sich, so mindestens sechs Windparks mit 39 Windrädern zwei bis drei Jahre schneller aufzustellen. Diese Projekte könnten jährlich 250 Gigawattstunden Strom liefern. 

    Um nicht nur baufertige Projekte schneller durchzuwinken, sondern generell bessere Bedingungen zu schaffen, beschloss das Parlament Ende September 2023 zudem das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ("Mantelerlass"), das unter anderem den Bau von Windkraftanlagen ab 20 Gigawattstunden pro Jahr dem nationalen Interesse zurechnet, die Bewilligungsfähigkeit von Projekten außerhalb deklarierter Bauzonen erleichtert und eine gleitende Marktprämie einführt. 

    Ein dritter Gesetzesentwurf ("Beschleunigungsvorlage") zielt auf gebündelte Genehmigungsverfahren bei den Kantonen und kurze Einspruchsfristen ab. Damit wäre ein Projekt nicht mehr auf jeder einzelnen Genehmigungsstufe angreifbar für Klagen jeweils bis zum Bundesgericht. Fristen für Einsprüche der in einem Schritt zusammengefassten Gesamtbewilligung wären künftig auf 180 Tage beschränkt und nur noch Einzelfälle kämen vor das Bundesgericht. Suisse Eole rechnet damit, dass in einem Best-Case-Szenario durch schnellere Verfahren schon bis 2030 rund 2 Terawattstunden an zusätzlicher Windkraft-Produktion möglich wären. 

    Initiativen kommen auch von den Kantonen und Gemeinden. So kündigte der Energie- und Bauminister des Kantons Zürich, Martin Neukom, im Herbst 2022 an, künftig 7 Prozent des Strombedarfs im Kanton mit eigenen Windrädern bis zu 220 Metern abdecken zu wollen. Neukom setzt dabei auf große Anlagen an flachen Standorten, weil ihr Nutzen mit der Fläche überproportional steige. Seine Pläne stießen aber auch auf Kritik und offenbar bestehen größere Zweifel an den Dimensionen des Ausbaus im Kanton. 

    Anteil an der Stromerzeugung soll deutlich steigen

    Bislang herrscht in der Windkraft der Schweiz noch Flaute. Im Jahr 2022 steuerte sie mit 150 Gigawattstunden lediglich rund 0,2 Prozent zur schweizerischen Stromerzeugung bei, während der Löwenanteil aus der Wasserkraft und der Nuklearenergie kam. Im "Perspektiven 2050+"-Plan soll der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung aber bis 2050 auf mindestens 7 Prozent steigen. Der Branchenverband Suisse Eole hält sogar 10 Prozent für realistisch. 

    Neue Projekte in der Pipeline

    Die Kapazität der Windkraft ist in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Im Jahr 2016 erfolgte in der größten Windkraftanlage des Landes, Mont Croisin im Berner Jura, ein Repowering und in Gries im Wallis kamen drei Enercon-Rotoren dazu. Als nächstes ging dann erst 2020 eine Anlage mit fünf Türmen auf dem Gotthard-Pass in Betrieb. Jüngste Anlage sind die sechs Windräder des Projekts Sainte-Croix, die der Versorger Romande Energie Ende August 2023 nahe dem Neuenburger See aufstellte und die noch 2023 ans Netz gehen sollen. 

    Neben den 41 Windtürmen mit einer installierten Kapazität von etwa 87 Megawatt, die Mitte 2023 in Betrieb waren (und den sechs von Sainte-Croix), befanden sich laut Suisse Eole bis Ende 2022 insgesamt 18 Windparks mit 140 Türmen und 434,6 Megawatt in Bewilligungsverfahren. Weitere 35 Parks mit 169 Türmen und 586 Megawatt waren in Planung. Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) kommt zum Schluss, dass die Schweiz insgesamt rund 760 Windturbinen benötigt, um das Ziel für 2050 zu erreichen. Die Studie zeigt auch auf, in welchen Gebieten dies am ehesten der Fall sein könnte. Rund 300 Anlagen müssten in den Walliser und Bündner Bergen gebaut werden, 260 im Mittelland und der Rest in den Voralpen.

     

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Marktorganisation

    Firmen dürfen Strom erzeugen und als Großabnehmer den Stromlieferanten wählen. Haushalte sind an lokale Energieversorger gebunden. Die geplante Liberalisierung stockt.  

    Nur teilweise freier Strommarkt 

    Der Strommarkt der Schweiz ist erst teilweise liberalisiert. Freie Stromversorgerwahl haben nur Großkunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100.000 Kilowattstunden, was auf rund 35.000 Unternehmen zutrifft. Von diesen haben sich rund 68 Prozent entschieden, den Strom auf dem freien Markt zu beschaffen. Die übrigen Endverbraucher sind über die Grundversorgung an den jeweiligen lokalen Versorger gebunden, was sich laut Branchenkennern vorerst auch nicht ändern wird, auch wenn eine weitere Liberalisierung eigentlich vorgesehen ist. Die Energiesicherheit wiegt momentan mehr als der Wettbewerb. Auch ist fraglich, wie viele internationale Retailer der vergleichsweise kleine Strommarkt Schweiz anziehen würde. Zurzeit sind nur 2 Prozent der Stromversorger ausländische Investoren, 90 Prozent sind öffentliche Institutionen. Kritiker sehen auch einen starken Lobbyismus der bisherigen Versorger, die ihre Monopole und Subventionen nicht verlieren wollen. Langfristige Stromlieferverträge (PPA) direkt zwischen Produzent und Endabnehmer sind laut Suisse Eole bereits in einigen Fällen Praxis und dürften in Zukunft deutlich zunehmen. 

    Die Grundversorgung wird von der Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) kontrolliert. ElCom ist die unabhängige staatliche Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich. Sie überwacht die Einhaltung des Stromversorgungs- und Energiegesetzes, trifft die dazu nötigen Entscheide und erlässt Verfügungen. Sie beaufsichtigt die Strompreise und entscheidet bei Differenzen betreffend den Netzzugang. Sie überwacht zudem die Versorgungssicherheit im Strombereich und regelt Fragen zum internationalen Stromtransport und -handel. Schließlich entscheidet die ElCom in Streitigkeiten zu Rückliefervergütungen sowie zwischen Netzbetreiber und Eigenverbraucher. 

    Das Ende September 2023 verabschiedete Mantelerlass-Gesetz enthält Verbesserungen zur Tarifberechnung in der Grundversorgung. Diese basierten bislang auf einer Durchschnittspreismethode auf Basis der durchschnittlichen Produktions- und Beschaffungskosten des ganzen Energieportfolios des Grundversorgers, sowohl für Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung als auch im freien Markt. Dies führte laut Experten zu Preisverzerrungen und benachteiligt systematisch die grundversorgten Kundinnen und Kunden. Künftig gelten separate Grundlagen für Grundversorgung und freien Markt.

    Heterogene Branchenstruktur

    Insgesamt sind im Sektor 630 Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) aktiv, vom lokalen Verteilnetzbetreiber, über das Gemeinde- und Stadtwerk, zum überregionalen Versorger bis hin zum börsennotierten Großproduzenten. Die Produktion ist ungleich verteilt. Nur rund 7 Prozent können ihre Grundversorgung weitestgehend oder vollständig aus ihrer eigenen Produktion decken. Über 70 Prozent der Versorger hat wenig bis gar keine Eigenproduktion und beschafft vor allem am Markt. Die beiden größten Produzenten wiederum haben selbst keine beziehungsweise nur wenige Endkunden. 

    Lokale Versorger müssen in ihrem Netzgebiet die ihnen angebotene Elektrizität aus erneuerbaren Quellen abnehmen und angemessen vergüten, sofern diese aus Anlagen stammt mit einer Leistung von höchstens 3 Megawatt oder einer jährlichen Produktion, abzüglich eines eventuellen Eigenverbrauchs, von höchstens 5.000 Megawattstunden. Können sich Netzbetreiber und Produzent über die Vergütung nicht einigen, so richtet sie sich nach den vermiedenen Kosten des Netzbetreibers für die Beschaffung gleichwertiger Elektrizität. Das Übertragungsnetz befindet sich im Eigentum der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. 

    Kantone definieren geeignete Flächen

    Laut nationalem Energiegesetz sind die Kantone aufgefordert, (Richt-)Pläne zu erarbeiten, die das Potenzial der Windkraft im Kanton abschätzen, die zukünftige Rolle der Windkraft im Kanton skizzieren und geeignete Flächen für Windkraftanlagen festlegen. Diese Richtpläne sind mit den Nutzungsplänen der Gemeinden und den Zielen und Interessen des Bundes abzustimmen. Hierbei sind laut Suisse Eole die westschweizerischen Kantone schon weiter fortgeschritten als die im Osten, was aber im Osten den Vorteil haben kann, auch noch neue Projekte in die Richtpläne mit aufzunehmen. Als Folge der Gesetzesinitiativen zur Vereinfachung der Abläufe (Mantelerlass und andere Einzelvorlagen) wird den Kantonen in der Genehmigung künftig mehr Entscheidungsbefugnis zukommen. 

    Direktvermarktung und Investitionsbeiträge

    Nach Ende der bisherigen kostendeckenden Einspeisevergütung für Windkraft, die 2022 auslief, ist die Schweiz zu einer Einspeisevergütung mit Direktvermarktung übergegangen. Dabei verkauft jeder Produzent seinen Strom selbst oder über Dienstleister. Dafür erhält der Betreiber neben dem Markterlös und einem Bewirtschaftungsgeld eine variable Einspeiseprämie. Diese Einspeiseprämie wird als Differenz eines fixen, anlagespezifischen Einspeisetarifs und eines variablen Referenz- beziehungsweise Durchschnittspreises errechnet (Contract for Difference). Dabei kann es bei hohen Marktpreisen dazu kommen, dass ein Betreiber den Differenzbetrag an den Staat zurückzahlen muss, so wie es während der Energiekrise der Fall war. Im Mantelerlass ist vorgesehen, dass Erzeuger sich künftig entscheiden können zwischen dieser Einspeiseprämie mit Direktvermarktung und einem einmaligen Investitionszuschuss von 60 Prozent der förderfähigen Kosten. Zuständig für den Fördermechanismus ist die Swissgrid-Tochter Pronovo. 

    Anlaufstelle Guichet Unique

    Als zentrale Anlaufstelle und Informationsdrehscheibe des Bundes für Anliegen im Zusammenhang mit Windenergie, vor allem für Projektentwickler, hat das Bundesamt für Energie den Guichet Unique (Einheitsschalter) eingerichtet. Er ist unter anderem für die Koordination technischer Beurteilungen von Vorprojekten auf Bundesebene zuständig. Details zur Organisation des Energiemarktes finden Sie unter folgenden Links:

    Energiepolitik/Regulierung

    Der Strommarkt der Schweiz

    Faktenblatt Energierecht

     

     

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Marktchancen

    Die Schweiz will mehr Windkraft, muss sie aber in ein sensibles Umfeld integrieren. Der Ausbau im nationalen Interesse und Anreize für Selbstversorger könnten den Markt beleben. 

    Wichtigster Markttreiber ist der Wunsch der Schweiz, auch im Winter unabhängig von Stromimporten zu sein. Zwar sind Fotovoltaik und Wasserkraft der Windenergie in der Schweiz kostenmäßig noch überlegen. Dennoch könnte die Windkraft durch ihre größere Verfügbarkeit im Winter eine ideale Ergänzung sein. 

    Windatlas zeigt Potenzialgebiete

    Das Windkraft-Potenzial wird zurzeit auf rund 29,5 Terawattstunden pro Jahr geschätzt, davon 19 Terawattstunden im Winter. Das ergab der Windatlas des Bundesamtes für Energie von 2022. Geeignete Standorte befinden sich unter anderem auf den Jurahöhen, in den Voralpen, in den Alpen, im Rhonetal und im Mittelland. Dabei variiert das Windprofil je nach Standort zum Teil stark. Falls es gelingt, von diesem Potenzial auch nur 30 Prozent abzurufen, könnte der Output eines Atomkraftwerks ersetzt werden. Der Branchenverband Suisse Eole hält bei schnelleren Genehmigungen, technischem Fortschritt, zunehmender Kenntnis über die komplexen Windverhältnisse in den Bergen und neuen nutzbaren Flächen schon bis 2030 eine Produktion von 6 Terawattstunden pro Jahr für möglich, davon 4 Terawattstunden im Winter. "Die 6 Terawattstunden bis 2030 sind das Best-Case-Szenario. Dafür braucht es noch neue Flächen und neue Projekte", sagt Olivier Waldvogel von Suisse Eole. "Sicher realistisch sind bis 2035 aber 2 bis 3 Terawattstunden".

    Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der das tatsächlich umsetzbare Potenzial in der Vergangenheit eher kritisch gesehen hatte, ist mittlerweile optimistischer und hält in der Studie "Energiezukunft 2050" bis 2050 rund 2,9 Terawattstunden aus Windkraft für realistisch.

    Neue Flächen öffnen sich 

    Trotz der grundlegend positiven Haltung der Bevölkerung gegenüber der Windkraft, ist die Suche nach geeigneten Flächen keine leichte Aufgabe. Der nun grundsätzlich gleichrangige Schutz der Energiesicherheit mit anderen nationalen Interessen und fortschrittlichen Regelungen im Mantelerlass werden aber voraussichtlich dazu führen, dass raumplanerische Einschränkungen gelockert werden und sich neue Flächen für die Windkraft öffnen, zum Beispiel Wald- und Agrarflächen. Von den zurzeit rund 60 neu geplanten Projekten soll rund ein Viertel in Waldgebieten entstehen. Viele Landwirte sind wohl offen gegenüber der Windkraft - bei passender Entschädigung. Rund 2 Terawattstunden an Produktionspotenzial bis 2030 sieht Suisse Eole im Best-Case-Szenario zudem auf Flächen mit großen Infrastrukturen, wie etwa Randgebiete oder Gebiete von Autobahnen, Rangierbahnhöfe, Militärzonen, Sandgruben, Deponien sowie Industriegebieten oder -brachen. 

    Kombination mit alpinen Fotovoltaikanlagen

    Um die Herausforderung der Elektrizitätsversorgung im Winter zu bewältigen, können vor allem die Windkraft und Energie aus alpinen Fotovoltaikanlagen eine wichtige Rolle spielen, so der Verband der Schweizerischen Elektrizitätswirtschaft in seiner Studie "Energiezukunft 2050". Bei ähnlichen Gestehungskosten seien beide Technologien in ihrer Produktionscharakteristik komplementär. Bei unterschiedlichen Wetterlagen liefern entweder die Windräder oder die Solaranlagen ihre Produktionsspitzen und tragen somit zur Diversifizierung beziehungsweise zur Robustheit des Energiesystems bei. Besonders ertragreiche Windkraftwerke können auf dem Jurabogen und in den großen Alpentälern aufgestellt werden", so der VSE. 

    Bottom-Up-Initiativen ergänzen Pläne

    Es mehren sich Projekte, die von Gemeinden und Unternehmen gestartet werden. Durch solche Anlagen, meist Einzelwindräder, könnte die Stromproduktion laut Suisse Eole mindestens um 2 Terawattstunden pro Jahr wachsen. Beispiele für erste Windkraftanlagen in der Industrie zur Stromsicherung sind der Dämmstoffhersteller Swisspor in Chatel St. Denis im Kanton Freiburg und der Präzisionskomponentenproduzent SFS in Heerbrugg im Kanton St. Gallen. Auch Zusammenschlüsse von Landwirten oder Gemeinden haben selbst Projekte gestartet. Im Wallis haben die Gemeinden Collognes und Martigny mehrere Projekte angestoßen und sind zur Hälfte an den Betreibergesellschaften beteiligt. Das zurzeit diskutierte Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung setzt bislang Anreize für die Fotovoltaik. Würde diese auch für den Eigenverbrauch von PV- und Windenergie ausgeweitet werden, könnte das für Energiegemeinschaften einen wichtigen Impuls geben. 

    Größere Projekte rechnen sich bereits

    Auch wenn die Gestehungskosten in der Schweiz noch höher sind als in Deutschland, sind größere Anlagen schon jetzt ein Geschäftsmodell, sagt Suisse Eole-Geschäftsführer Lionel Perret. Er gibt für eine 130 Meter hohe Windenergieanlage mit einer Leistung von 1 Megawatt Gestehungskosten von umgerechnet rund 125 bis 188 Euro pro Megawattstunde und von 84 bis 136 Euro pro Megawattstunde mit Förderung an. "Mit dem Investitionsbeitrag von 60 Prozent und den steigenden Strompreisen könnten ab jetzt selbst Windenergieanlagen mit einer Höhe von ungefähr 30 Metern rentabel werden", so Perret. Dazu sollten auch Einzelanlagen mit weniger als 2 Megawatt vom Zuschuss profitieren. "Die Technik entwickelt sich schneller weiter als die Gesetzgebung", so Perret. Mittelfristig besteht daher Bedarf sowohl an kleineren Anlagen für höhergelegene Regionen in den Alpen als auch an mittleren und größeren Anlagen für Mittelgebirge und Flachland. 

     

    Stromgestehungskosten in der Schweiz (in Euro pro Megawattstunde)
     

    Wind (1 MW)

    Solar (1 MW)

    Wasserkraft (groß)

    Atom

    Gas (groß)

    2017

    150-200

    80-110

    70-300

    40-60

    90-110

    2020

    150-200

    80-90

    70-300

    40-60

    90-110

    2035

    100-150

    50-70

    70-300

    40-60

    110-120

    2050

    100-130

    40-60

    70-300

    40-60

    120-140

    PrognoseQuelle: BFE 2019 (2023)

    Laut Suisse Eole befanden sich Ende September 2023 insgesamt 19 Windparks mit 141 Türmen und einer Gesamtnennleistung von 441,6 Megawatt im Bewilligungsverfahren. Weitere 39 Parks mit 190 Türmen und 700 Megawatt waren in Planung. Der Verband der Elektrizitätsversorger VSE führte Ende September 2023 insgesamt 28 realistische Windkraftprojekte mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 614 Megawatt und einer Jahresproduktion von 1,1 Terawattstunden und will über deren Stand und Erfolgsaussichten dort laufend aktuell informieren. 

    Windprojekte in der Schweiz

    Projektbezeichnung (Standort)

    Installierte Leistung/geplante Produktion/Anzahl Rotoren

    Unternehmen

    Status

    Montagne de Buttes (Kanton Neuenburg)80 MW, 100 GWh (19 Türme)Groupe E Greenwatt, SIGKantonalgericht hat Klagen 2021 abgewiesen, vor Bundesgericht
    Eolienne de Provence (Jura, Kanton Waadt)71 MW, 100 GWh (17 Türme)Romande Energie Renouvelable/EWZ

    Öffentliche Auflage (Bekanntmachung), danach Bauausschreibung (2023-25)

    Mollendruz (Jura, Kanton Waadt)50 MW, 112 GWh (12 Türme)Energie NaturelleAlle Klagen im November 2022 durch Bundesgericht abgewiesen, Genehmigung erteilt
    Quatre Bornes (Jura, Kantone Bern und Neuenburg)40 MW, 63 GWh (9 Türme)Groupe E GreenwattKanton wies Klagen ab, Bau genehmigt, Projektierung, Gang vor das Bundesgericht aber noch möglich
    Eoljorat Sud (Lausanne, Kanton Waadt)33,6 MW,55 GWh (8 Türme)SI-Ren SABaugenehmigung bis 2024 erwartet, danach Baustart
    Eole de Ruz (Jura, Kanton Neuenburg)30 MW, 60 GWh (7 Türme)Groupe E GreenwattAbschluss der öffentlichen Auflage Ende 2022, nun Schlichtungsgespräche und Projektierung
    Grenchenberg (Kanton Solothurn)16 MW,30 GWh (4 Türme)SWGNach Redimensionierung nun Baugesuch in Vorbereitung
    Près de la Montagne de Tramelan - Montbautier (Jura, Kanton Bern) 12-14 MW, 26-28 GWh (6 Türme)BKWNoch vor Bundesgericht, neue Auflagen an Abstand
    Burg (Kantone Aargau/Solothurn)5 MW (5 Türme)AEW/Vento LudensEinspruch der Bevölkerung, zurzeit Einspruchsverfahren, dann Abstimmungen (2023-24)
    Quelle: Suisse Eole, VSE, Recherche von Germany Trade & Invest, 2023

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Markthemmnisse

    Störende Bremsklötze sind das lange Genehmigungsverfahren und die fast unbegrenzten Klagemöglichkeiten. 

    Extralange Genehmigungszeiten

    Prozesse dauern oft sehr lang. Doch nun will die Schweiz schneller genehmigen und sich so breiter nachhaltig selbst versorgen. Eine Windkraftanlage in der Schweiz zu bauen, ist ein mehrstufiger und in der Regel langwieriger Prozess. Nadelöhr ist die Genehmigung. "Von der Erstmessung bis zum Bau können in der Schweiz durchaus 20 Jahre vergehen", sagt Boris Krey, Sektionsleiter Energiewirtschaft des Kantons Aargau. In der Tat liegen einige Projekte auch seit noch längerer Zeit auf Eis. Die ausführliche Prüfung und Konsensfindung stärke aber auch die Akzeptanz in der Bevölkerung, heißt es. Teil der Genehmigungsprodezur ist unter anderem eine "öffentliche Auflage", eine Bekanntmachung und Einsichtnahme in die Baupläne mit anschließender Einspruchsmöglichkeit. Auch kommt es landestypisch bei Projekten regelmäßig zu Volksentscheiden und bei Klagen zu einem vollständigen oder sogar mehrfachen Durchlaufen der Instanzen.   

    Durch den Vorstoß der neuen Gesetze könnte sich die Lage mittelfristig verbessern, denken Branchenexperten. Besonders weil der Genehmigungsprozess künftig konzentriert und weniger anfällig für Klagen sein wird. Dennoch zeigt das Tauziehen um einige weiter fortgeschrittene Projekte, wie zum Beispiel das Tramelan, dass positive und eigentlich abschließende Entscheide von Kanton und Bund in bestimmten Fällen doch wieder überstimmt werden können. Im Fall Tramelan klagten Anwohner und bezogen sich auf Diskrepanzen des genehmigten Projekts und einer neuen Bauverordnung der Gemeinde, die einen Mindestabstand der Windtürme zu Wohnhäusern vorsah und bekamen vor dem Bundesgerichtshof Recht. Der Projektbetreiber BKW spricht daher in seinem Halbjahresbericht 2023 von einer steinigen Umsetzung und insgesamt von nur kleinen Schritten beim Ausbau der Windkraft bisher. 

    Investorenrisiko und Kostenfaktor

    Weitere Bremsen sind hohe Transport- und Wartungskosten für Anlagen in höheren, schwieriger zugänglichen Lagen, wo auch die Windverhältnisse oft unstet sind. Dazu kommt, dass Windanlagen in unberührter Bergwelt oft als besonders störend empfunden werden. Grundsätzlich sei in der Schweiz aber kein besonders stark ausgeprägter Not-in-my-backyard-Geist zu beobachten, sagen Branchenkenner. Bei korrektem Prozess und Einbindung aller Betroffenen fänden Windparkprojekte regelmäßig den Rückhalt der Mehrheit. Problematisch seien hingegen Einzelinteressen oder radikale Naturschützer, die zu fast jedem Zeitpunkt ein Projekt durch Klagen auf Jahre blockieren könnten. Dies stellt für Investoren ein quasi unkalkulierbares Risiko dar. Auch die Verfügbarkeit von Fachkräften kann, ähnlich wie in anderen Ländern, ein Problem bei Bau, Betrieb und Wartung sein. Das Windpotenzial ist zwar nicht mit der Nordsee vergleichbar, wohl aber insgesamt interessant genug, so Branchenkenner. 

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Branchenstruktur

    Einheimische Unternehmen sind vorrangig als Dienstleister, Betreiber oder Komponentenlieferant aktiv. 

    Hardware aus dem Ausland

    Die Hauptausrüstung der wenigen aktiven Windanlagen in der Schweiz kam aus dem Ausland, in erster Linie aus Deutschland (Enercon) und Dänemark (Vestas). Die Schweiz besitzt selber keine großen Hersteller. Das schweizerische Start-up Agile entwickelt und testet innovative vertikale Windturbinen für die dezentrale und geräuscharme Stromproduktion. Die einheimische Firma Aventa produziert speziell für die Windverhältnisse in der Schweiz optimierte Windkraftanlagen. Da diese auf leichte und variable Winde optimiert sind, werden sie unter dem geschützten Markennamen Leichtwindanlagen vertrieben. 

    Als Komponentenhersteller sind einige schweizerische Firmen international aktiv, darunter die Verbundstoffhersteller Schweiter und Gurit, die sowohl Balserholz als auch Kunststoffe für Rotorenblätter liefern. JPF Ducret entwickelt einen Hybridmast mit Douglasienholz, das den Betoneinsatz bei Windtürmen vermindert. Auch bei Kleb- und Dichtlösungen sowie Verbundharzen für Rotorblätter sind Firmen wie Sika Schweiz gut im Geschäft. Einheimische Player sind auch bei den Dienstleistern zu finden, vom Windmessen über technische Machbarkeitsstudien, Unterstützung im Genehmigungsprozesse und dem sonstigen Planen von Windparks im Transport und anderen Bereichen. 

    Kooperationen nehmen zu

    Betreiber des mit 37,2 Megawatt installierter Leistung und 16 Türmen größten Windparks der Schweiz "Juvent" im Berner ist ein Konsortium aus BKW Energie AG, IWB Renewable Power AG, AEW Energie AG und Société des Forces Electriques de La Goule SA. Auch Axpo, nach eigenen Angaben größter Produzent von erneuerbarer Energie in der Schweiz, wendet sich verstärkt Windkraftanlagen zu. Auf der Anhöhe Lutersarni (Entlebuch) betreibt AXPO eine Windenergieanlage mit einer Bruttoleistung von 2,3 Megawatt. Ein weiteres Projekt auf der Grenze zwischen den Kantonen Aargau und Luzern, das gemeinsam mit AEW und SIG realisiert wird, ist weit fortgeschritten. Sechs weitere Windparkprojekte von Axpo in der Zentralschweiz und im Aargau sind in Planung. Die potenziell rund 20 Turbinen werden dereinst sauberen Strom für über 30.000 Haushalte produzieren. Bei neuen Projekten ist auch die Tochtergesellschaft Greenwatt des Versorgers Groupe E verstärkt aktiv. Weitere Windparkbetreiber in der Schweiz sind Romande Energie, Alpiq, Adev, Wind Power AG, Calandawind, CKW, Elektrizitätswerk Usern, Azienda Elettrica Ticinese, RhonEol, Aventa und ValEole. 

    Die größten Energieversorger des Kantons Zurück, EKZ, ewz und Stadtwerk Winterthur haben sich zur Windkraft-Initiative Zürich Wind zusammengeschlossen und wollen Projekte aus dem 2025 fertigzustellenden Richtplan in die Tat umsetzen, von Entwicklung, aber auch die Finanzierung, den Bau und den Betrieb von Windkraftanlagen im Kanton Zürich sicherstellen. Der Aargauer Versorger AEW übernahm im Herbst 2023 den Windparkentwickler Vento Ludens. 

    Von Oliver Döhne | Bonn

  • Kontaktadressen

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Germany Trade & InvestAußenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft

    Exportinitiative Energie

    Informationen zu Veranstaltungen, Markt- und Länderinformationen

    AHK Schweiz (Handelskammer Deutschland Schweiz)

    Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

    Bundesamt für Energie (BFE)

    Zuständige Regierungsstelle, Information zu Regulierung und Ausbauplänen
    PronovoAbwicklungsstelle der Förderprogramme für erneuerbare Energien des Bundes

    Suisse Eole (Windverband)

    Branchenverband
    VSEVerband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen

    Energieperspektiven 2050+

    Strategieplan der Regierung

    Windatlas Schweiz

    Potenzialanalyse für Windkraft (Meteotest)

    Energie Schweiz

    Internetportal

    Von Oliver Döhne | Bonn

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