Die Regierung plant, bis 2050 mindestens 4,3 Terawattstunden Strom aus Windkraft zu produzieren und hat den Ausbau zum nationalen Interesse erhoben.
Nachhaltig und energiesicher
Die Schweiz will 2050 nicht nur klimaneutral sein, sondern auch in der Lage, sich "fast vollständig" aus eigenen nachhaltigen Quellen mit Strom zu versorgen. Bereits heute gewinnt die Schweiz einen hohen Anteil ihrer Elektrizität aus Wasserkraft, ist aber im Winter zusätzlich auf Importe und, das ganze Jahr über, auf Nuklearenergie angewiesen. Zwar will die Schweiz keine neuen Atomkraftwerke (AKW) bauen, wohl aber die vier bestehenden bis zum Ende ihrer Laufzeit weiter betreiben. Auch wenn nicht genau klar ist, wann das sein wird, könnte zumindest ein AKW ab 2034 vom Netz gehen. Spätestens dann entsteht eine Lücke, die bei steigendem Strombedarf durch E-Mobility und der Elektrifizierung insgesamt noch weiter aufgehen könnte.
Bei denkbaren neuen internationalen Energieengpässen will die Schweiz daher möglichst autark sein. Neben Wasser und Sonne soll auch der Wind stärker als Energieträger dienen, zumal Windkraft etwa zwei Drittel des Stroms im Winter erzeugt. Genau dann, wenn die Schweiz besonders viel Bedarf hat. Eilig erbaute Gaskraftwerke sollen nur als Notfall-Backup dienen. "Es bewegt sich was", sagt Olivier Waldvogel, Projektleiter beim schweizerischen Windkraftverband Suisse Eole.
Parlament vereinfacht Verfahren
Das Bundesamt für Energie (BFE) strebt im Strategieplan "Perspektiven 2050+" eine Produktion von 4,3 Terawattstunden aus Windkraft bis 2050 an. Bis 2035 wird der Ausbau demzufolge noch an den schwerfälligen Abläufen kranken und lediglich 1,2 Terawattstunden erreichen. In der Folge werden dann aber effizientere und schnellere Prozesse den Ausbau beschleunigen, so die Pläne.
Um das zu erreichen, schafft der Staat Anreize unter anderem durch vereinfachte bürokratische Abläufe. Zum Beispiel durch den "Windexpress", der gerichtliche Anfechtungen gegen solche Projekte begrenzt, die baufertig sind, schon alle Instanzen durchlaufen haben und zum Teil seit über 20 Jahren in der Bürokratie feststecken. Energie- und Umweltminister Albert Rösti, den Branchenbeobachter als engagiert bezeichnen, erhofft sich, so mindestens sechs Windparks mit 39 Windrädern zwei bis drei Jahre schneller aufzustellen. Diese Projekte könnten jährlich 250 Gigawattstunden Strom liefern.
Um nicht nur baufertige Projekte schneller durchzuwinken, sondern generell bessere Bedingungen zu schaffen, beschloss das Parlament Ende September 2023 zudem das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ("Mantelerlass"), das unter anderem den Bau von Windkraftanlagen ab 20 Gigawattstunden pro Jahr dem nationalen Interesse zurechnet, die Bewilligungsfähigkeit von Projekten außerhalb deklarierter Bauzonen erleichtert und eine gleitende Marktprämie einführt.
Ein dritter Gesetzesentwurf ("Beschleunigungsvorlage") zielt auf gebündelte Genehmigungsverfahren bei den Kantonen und kurze Einspruchsfristen ab. Damit wäre ein Projekt nicht mehr auf jeder einzelnen Genehmigungsstufe angreifbar für Klagen jeweils bis zum Bundesgericht. Fristen für Einsprüche der in einem Schritt zusammengefassten Gesamtbewilligung wären künftig auf 180 Tage beschränkt und nur noch Einzelfälle kämen vor das Bundesgericht. Suisse Eole rechnet damit, dass in einem Best-Case-Szenario durch schnellere Verfahren schon bis 2030 rund 2 Terawattstunden an zusätzlicher Windkraft-Produktion möglich wären.
Initiativen kommen auch von den Kantonen und Gemeinden. So kündigte der Energie- und Bauminister des Kantons Zürich, Martin Neukom, im Herbst 2022 an, künftig 7 Prozent des Strombedarfs im Kanton mit eigenen Windrädern bis zu 220 Metern abdecken zu wollen. Neukom setzt dabei auf große Anlagen an flachen Standorten, weil ihr Nutzen mit der Fläche überproportional steige. Seine Pläne stießen aber auch auf Kritik und offenbar bestehen größere Zweifel an den Dimensionen des Ausbaus im Kanton.
Anteil an der Stromerzeugung soll deutlich steigen
Bislang herrscht in der Windkraft der Schweiz noch Flaute. Im Jahr 2022 steuerte sie mit 150 Gigawattstunden lediglich rund 0,2 Prozent zur schweizerischen Stromerzeugung bei, während der Löwenanteil aus der Wasserkraft und der Nuklearenergie kam. Im "Perspektiven 2050+"-Plan soll der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung aber bis 2050 auf mindestens 7 Prozent steigen. Der Branchenverband Suisse Eole hält sogar 10 Prozent für realistisch.
Neue Projekte in der Pipeline
Die Kapazität der Windkraft ist in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Im Jahr 2016 erfolgte in der größten Windkraftanlage des Landes, Mont Croisin im Berner Jura, ein Repowering und in Gries im Wallis kamen drei Enercon-Rotoren dazu. Als nächstes ging dann erst 2020 eine Anlage mit fünf Türmen auf dem Gotthard-Pass in Betrieb. Jüngste Anlage sind die sechs Windräder des Projekts Sainte-Croix, die der Versorger Romande Energie Ende August 2023 nahe dem Neuenburger See aufstellte und die noch 2023 ans Netz gehen sollen.
Neben den 41 Windtürmen mit einer installierten Kapazität von etwa 87 Megawatt, die Mitte 2023 in Betrieb waren (und den sechs von Sainte-Croix), befanden sich laut Suisse Eole bis Ende 2022 insgesamt 18 Windparks mit 140 Türmen und 434,6 Megawatt in Bewilligungsverfahren. Weitere 35 Parks mit 169 Türmen und 586 Megawatt waren in Planung. Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) kommt zum Schluss, dass die Schweiz insgesamt rund 760 Windturbinen benötigt, um das Ziel für 2050 zu erreichen. Die Studie zeigt auch auf, in welchen Gebieten dies am ehesten der Fall sein könnte. Rund 300 Anlagen müssten in den Walliser und Bündner Bergen gebaut werden, 260 im Mittelland und der Rest in den Voralpen.
Von Oliver Döhne
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Bonn