Wirtschaftsausblick | Tunesien
Tunesische Wirtschaft wächst auch 2024 nur schwach
Tunesiens Industrie leidet unter der schwachen Konjunktur im In- und Ausland. Die Gelder im Staatshaushalt sind knapp und die Regierung wurstelt sich weiter durch.
31.05.2024
Von Verena Matschoß | Tunis
Top-Thema: Energiewende wieder im Fokus
Wirtschaftlich gibt es kaum positive Nachrichten für Tunesien. Umso erfreulicher ist daher ein neuer Schub beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwirtschaft. Nach jahrelanger Stagnation konkretisieren sich die Großprojekte in der Solarenergie. In Kairouan fand am 8. Mai 2024 die Grundsteinlegung für einen 100-Megawatt-Solarpark statt. Generalunternehmen ist die emiratische AMEA Power, im Sommer 2025 soll der Solarpark stehen.
Das Projekt wurde bereits 2019 im Rahmen des Konzessionsregimes vergeben, die Umsetzung verzögerte sich aber. In andere Vorhaben kommt ebenfalls Bewegung – insgesamt sollen bis 2026 rund 500 Megawatt an Solarkapazitäten zusätzlich entstehen. Für eine weitere Ausbaustufe der Solar- und Windenergie um 1,7 Gigawatt laufen im Jahr 2024 die ersten Fristen zur Angebotsabgabe. Unter das sogenannte Konzessionsregime fallen größere Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien.
Weitere Großprojekte im Energiesektor kommen voran. So ist die internationale Finanzierung für das ELMED-Stromprojekt gesichert – auch die deutsche KfW Entwicklungsbank beteiligt sich. Ab 2028 soll das Unterseekabel das tunesische Cap Bon mit Sizilien verbinden. Perspektivisch könnte Tunesien dann Strom aus erneuerbaren Energien in die EU leiten.
Wirtschaftsentwicklung: Kein großer Wachstumsschub zu erwarten
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Economist Intelligence Unit (EIU) gehen von einem realen Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent für dieses Jahr aus, die Weltbank hält noch 2,4 Prozent für machbar. Doch der Jahresbeginn war holprig: Trotz eines Wachstums in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 1. Quartal 2024 nur um 0,2 Prozent zu. Vor allem die Bauwirtschaft und die Industrie entwickelten sich mit einem Rückgang um 6,8 respektive 5 Prozent sehr schwach.
Für die Folgejahre geht der IWF von einem durchschnittlichen BIP-Wachstum von unter 2 Prozent aus. Tunesien hätte deutlich höhere Wachstumsraten nötig. Bereits 2023 hatte die Wirtschaftsleistung nur um 0,4 Prozent zugelegt. Damit erreicht das reale BIP immer noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Auch im Vergleich zu anderen Ländern der Region hinkt die wirtschaftliche Entwicklung Tunesiens hinterher.
Ausfuhren könnten sich abkühlen
Nachdem die exportorientierten Unternehmen 2023 hohe Erlöse bei der Ausfuhr von Olivenöl, Bekleidung und elektrotechnischen Ausrüstungen eingefahren haben, ist für das Jahr 2024 mit einem etwas schwächeren Wachstum zu rechnen. In den ersten vier Monaten 2024 stiegen die Ausfuhren wertmäßig um rund 5 Prozent. Vor allem die Ausfuhren von Olivenöl sowie elektrotechnischen und mechanischen Ausrüstungen legten zu. Die Bekleidungs- und Textilexporte gingen hingegen um 11 Prozent zurück. Ein Rückgang bei den Importen von Roh- und Halbfertigerzeugnissen um 9 Prozent in den ersten vier Monaten 2024 zeugt von der schwachen Entwicklung der Industrie. Die Gesamtimporte sanken in Folge um 1,8 Prozent.
Tunesien ist stark abhängig von der Konjunktur in der EU, denn hierhin gehen über 70 Prozent der Ausfuhren. Und die entwickelt sich schwach: Die Europäische Kommission geht in ihrer Frühjahrsprognose von einem realen BIP-Wachstum in der EU um nur 1 Prozent aus.
Schwächere Nachfrage hemmt Investitionen
Vom Inlandsverbrauch sind 2024 keine Impulse zu erwarten. Hohe Zinsen, Inflation und Arbeitslosigkeit lasten auf dem Privatkonsum. Die Analysten der EIU gehen in ihrer Prognose vom Mai 2024 von einem Rückgang des Privatverbrauchs um 3,7 Prozent für das Gesamtjahr aus. Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunktur im In- und Ausland und den schwierigen Finanzierungsbedingungen investieren tunesische Unternehmen immer weniger. Die EIU schätzt, dass die Bruttoanlageinvestitionen um 8 Prozent sinken werden.
Die ausländischen Direktinvestitionen erreichten 2023 umgerechnet über 700 Millionen Euro und stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 7,7 Prozent. Damit bleibt der Zufluss aber noch hinter dem Vor-Corona-Niveau zurück. Die geplante Liberalisierung des Devisenrechts soll Investitionen in Tunesien attraktiver machen.
Staatsfinanzen bleiben angespannt
Der tunesische Staat kann kaum Impulse setzen. Die Staatsverschuldung beträgt rund 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem IWF im Jahr der Präsidentschaftswahl unwahrscheinlich ist, wurstelt sich die Regierung finanziell durch. Denn zu internationalen Finanzmärkten hat Tunesien den Zugang verloren und ohne Reformanstrengungen halten sich auch andere Geber weitgehend zurück.
Beim steigenden Schuldendienst ist der Staat immer mehr auf eine lokale Finanzierung angewiesen – auch die direkte Finanzierung des Haushalts durch die Zentralbank wurde per Gesetz ermöglicht. Diese monetäre Staatsfinanzierung ist aber ein Spiel mit dem Feuer. Es kommt bereits zu Verdrängungseffekten im Bankensektor und auch der Inflationsdruck könnte steigen.
Deutsche Perspektive: Bilateraler Handel schwächelt
Im 1. Quartal 2024 sind die Einfuhren Deutschlands aus Tunesien auf Eurobasis um 8 Prozent gesunken, die deutschen Ausfuhren stagnierten. Hier schlägt sich auch die schwache Konjunktur in Deutschland nieder. Laut EU-Prognosen könnte Deutschland – Tunesiens drittwichtigster Handelspartner – 2024 nur ein Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent erreichen. Im Jahr 2023 stieg der bilaterale Warenaustausch noch um 6 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro.
Traditionell übersteigen die deutschen Importe die Exporte. Das liegt daran, dass Tunesien stark in die deutschen Lieferketten einbezogen ist, vor allem im Bereich der Kfz-Industrie und der Bekleidungsproduktion. Fast alle deutschen Kfz-Zulieferer im Land erweitern derzeit ihre Produktion. Daneben investieren die Hersteller auch in die Forschung und Entwicklung vor Ort.
Weitere Informationen zu Tunesien bieten unter anderem unsere Reihen "Wirtschaftsdaten kompakt" , "Investitionsklima" und "SWOT-Analyse". Ferner sind auf der GTAI-Länderseite weitere Berichte (zum Beispiel Zoll-und Rechtsinformationen sowie Branchenberichte) zu finden sowie Meldungen zu Entwicklungsprojekten und Ausschreibungen. |