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"Hauptziel ist ein grüner Wiederaufbau der Ukraine"

Eine Studie zum Wohnungsbau von Butscha analysiert, wie der nachhaltige Wiederaufbau im gesamten Land gelingen kann und was dafür notwendig ist. 

Von Michał Woźniak | Berlin

Pavel Bilek, Stellvertretender Leiter Energie- und Klimapolitik, Berlin Economics Pavel Bilek, Stellvertretender Leiter Energie- und Klimapolitik, Berlin Economics | © Pavel Bilek

Die Studie "Grüner Wiederaufbau des Wohnimmobiliensektors in Butscha“ zeigt die Potenziale und finanziellen Rahmenbedingungen für Maßnahmen im Bereich Energieeffizienz im ukrainischen Wohnsektor auf. Wir sprechen mit dem Autor der Studie, Pavel Bilek, Senior Consultant für Energie- und Klimapolitik beim Beratungsunternehmen Berlin Economics über die Entwicklung der Baubranche und die Realisierbarkeit des nachhaltigen Bauens in der Ukraine.

Herr Bilek, warum diente gerade Butscha als Grundlage für die Studie?

Die Stadt erlitt zu Beginn des Krieges große Verluste. Viele Menschen sind gestorben oder wurden verletzt. Zudem wurden zahlreiche Straßen und Gebäude zerstört oder beschädigt. Die zukunfts- und nachhaltigkeitsorientierte Wiederaufbauplanung der Stadtverwaltung zahlte zudem auf unser Hauptanliegen, den grünen Wiederaufbau der Ukraine, ein. Butschas große Medienpräsenz könnte auch dazu beitragen, dass die Studienergebnisse in vielen anderen Regionen berücksichtigt werden.

Die Studie "Der grüne Wiederaufbau des Wohnimmobiliensektors in Butscha" ist ein Kooperationsprojekt des auf Regierungsberatung spezialisierten Forschungsunternehmens Berlin Economics und der ukrainischen NGO Ecoaction. Sie wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Ingenieurberatung iC Ukraine sowie der Stadtverwaltung von Butscha und finanziert von der Europäischen Klimastiftung.

Sind die Ergebnisse denn landesweit universell umsetzbar?

Sie taugen auf jeden Fall als eine Grobkalkulation. Für eine genauere Kosten-Nutzen-Rechnung müssen aber einige Faktoren nachjustiert werden.

"Die Ukraine hat zwei Klimazonen, die gemäßigt-warme sowie die subtropisch-feuchte. Hinzu kommen unterschiedliche Gebäudetypen, die wir dank der Zuarbeit der Stadtverwaltung für Butscha sehr konkret festgelegt und analysiert haben."

Butscha weist einen für die Zentral- und Westukraine typischen höheren Anteil an Einfamilienhäusern auf. Angesichts der Dominanz der Bausubstanz aus Sowjetzeiten fallen die regionalen Unterschiede aber moderat aus. Dennoch sollten Fläche, Höhe, Lage, Heizungs-, Dämm- und Fensterarten berücksichtigt werden. Das gilt auch für den Gebäudezustand oder den kriegsbedingten Zerstörungsgrad.

Dazu kommen weiche Faktoren. Nicht alle ukrainischen Städte agieren so nachhaltig wie Butscha, wie das Mitwirken der Stadtverwaltung an unserer Studie beweist. Und nach anfänglich großen Verlusten wächst die Einwohnerzahl wieder schnell. Dabei ist die Bevölkerungsentwicklung ein wichtiger Faktor.

Durch Krieg sowie Binnen- und Außenmigration werden einige Regionen überdurchschnittlich schrumpfen, andere - entgegen dem Trend - wachsen.

Insgesamt gehen Sie aber schon von einem grünen Wiederaufbau aus?

Die Anzeichen dafür mehren sich. Im öffentlichen und Wohnungsbausektor wird Energieeffizienz immer größer geschrieben, Installationen von Solarpanels, Wärmepumpen und ähnlicher Technik mehren sich. Das ist auf den unterschiedlichen Ebenen aber verschieden stark ausgeprägt. Die Zentralregierung gestaltet Regeln und Strategien, schafft Rahmenbedingungen und Anforderungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Anfang 2024 verabschiedete Langfristige Gebäudemodernisierungsstrategie bis 2050.

Wo sehen Sie größten Handlungsbedarf?

Beim Strompreis. Dieser wird einerseits staatlich bezuschusst und andererseits durch eine Obergrenze fernab der Marktrealität gehalten. Dadurch steigen nicht nur die Staatsausgaben. Vor allem können Energieeffizienzmaßnahmen nicht umgesetzt werden, weil die verlängerten Amortisationszeiten private Investoren abschrecken und die Finanzierbarkeit privater Investitionen im Energiesektor generell sinkt. Diese sind aber für die angestrebte Dezentralisierung der Energieversorgung und die Neugestaltung der Energieinfrastruktur notwendig. Und langfristig wird der Strompreis angesichts der Verschuldung der staatlichen Energiekonzerne und der notwendigen Anpassungen der CO2-Besteuerung ohnehin steigen müssen.

Wie sieht es bei der individuellen Investitionsbereitschaft aus?

In zahlreichen Städten sind solche nur dank internationaler Geber und Partner möglich. Trotz schwieriger Finanzlage werden mancherorts auch Eigenmittel für die grüne Wende bereitgestellt. Wegen unterschiedlich großer Fundraising-Fähigkeiten und unterschiedlich ausgeprägtem Handlungsbewusstsein gibt es regional und lokal aber große Diskrepanzen.

"Auf der kommunalen Ebene werden schon konkrete Förderprogramme gestaltet."

Diese wiederum beeinflussen die Investitionsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Nach zwei Jahren Krieg sind ihre Eigenfinanzierungsmöglichkeiten begrenzt. Der teilweise späte Nutzen schreckt sie zusätzlich ab: Laut Umfragen investiert nur jeder Zehnte, wenn sich das Projekt erst nach zehn oder mehr Jahren rentiert.

Ihre Studie identifiziert zwei Maßnahmen, die realistisch erscheinen.

Zum einen sind das Maßnahmen einzelner Haushalte und Wohnungsgenossenschaften, wie Solarpanels. Diese rentieren sich schon heute relativ schnell - und zwar sowohl bei Einfamilien-, als auch Mehrfamilienhäusern. Bei Mehrfamilienhäusern, vor allem denen, die ans Fernwärmenetz angeschlossen sind, bieten ferner Wärmeübergabestationen oder die Thermoisolierung kurze Amortisierungszeiten.

Leider ergeben sich bei mehreren Eigentümern zusätzliche Hürden. Zum einen mangelt es am rechtlichen Rahmen, beispielsweise wie die aus erneuerbaren Kleinquellen gewonnene Energie verteilt werden sollte. Zum anderen sind die in Deutschland bei solchen Gebäuden üblichen Eigentümervereinigungen oftmals inaktiv oder gar nicht vorhanden. Die Umsetzung bedarf deswegen viel Koordination, Überzeugungsarbeit und Zeit.

Angesichts des Bedarfs dürften solche Fragen aber kaum die Lage in der Baubranche beeinflussen?

Der Bedarf nach Ausführern ist enorm, trotz des andauernden Kriegs und des Fachkräftemangels infolge von Einberufungen und Migration. Für einen nachhaltigen Wiederaufbau ist besonders Know-how im Bereich grünes Bauen gefragt, das im Inland oftmals fehlt. Bei Baustoffen besteht Nachfrage sowohl nach Standard-, wie auch innovativen Materialien. Absatzpotenzial bietet sich für in- und ausländische Anbieter. Ein Beweis dafür sind die Investitionsvorhaben, die auf gut ausgebildete Fachkräfte, vergleichsweise niedrige Lohnkosten sowie die Nähe zu Absatzmärkten in der EU, dem Kaukasus oder Zentralasien bauen.

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