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Autonomes Fahren will mit Schwung die Talsohle überwinden
Vollautonome Autos machen Fortschritte – und werden gleichzeitig in Frage gestellt. In den USA wollen Firmen beweisen, dass die Technologie doch noch den Durchbruch schafft.
30.04.2024
Von Heiko Stumpf | San Francisco
In Städten wie San Francisco oder Phoenix trauen auswärtige Besucher häufig ihren Augen nicht. Wie von Geisterhand gelenkt fahren Robotaxis durch die Stadt, ohne dass ein Mensch am Steuer Platz nimmt. Zwar scheint Science Fiction zur Realität zu werden, aber von Euphorie ist in der Branche trotzdem keine Spur. Stattdessen wird bei Diskussionsrunden im Silicon Valley häufig die Frage gestellt, ob autonomes Fahren womöglich schon am Ende sei.
"Autonome Fahrzeuge befinden sich im Tal der Enttäuschungen", erklärt Jonathan Davenport, Senior Director Analyst bei Gartner in einem Podcast des Unternehmens. Dies bezieht sich auf die fünf Phasen des Hype-Zyklus, den neue Technologien in der Regel durchlaufen.
Erste Hype-Welle ist abgeebbt
Der Gipfel der Euphorie war zu Zeiten des Jahres 2017: Große Teile der Automobilindustrie sagten den großflächigen Einzug autonom fahrender Autos spätestens für die frühen 2020er Jahre voraus. Es waren überzogene Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben. Die technischen Herausforderungen sind größer als gedacht. Und das Bild wurde zuletzt vor allem durch Negativschlagzeilen geprägt.
Die General-Motors-Tochter Cruise verlor im Oktober 2023 die Lizenz für den fahrerlosen Taxibetrieb in San Francisco. Dem Unternehmen war vorgeworfen worden, den Unfall mit einer Fußgängerin nicht transparent genug aufgearbeitet zu haben. Die Frau wurde zuerst von einem Auto mit Fahrer erfasst und dann gegen das fahrerlose Gefährt von Cruise geschleudert.
Infolgedessen stellte Cruise auch den Betrieb in Phoenix, Houston und Austin ein. Die Expansionspläne für 15 weitere Städte in den USA liegen auf Eis. Apple zog im Februar 2024 den Schlussstrich unter seinem Projekt Titan. Insgesamt verbrannte der Technologiekonzern mehrere Milliarden US-Dollar (US$) für die gescheiterte Entwicklung eines selbstfahrenden Apple-iCar. Volkswagen und Ford beerdigten 2022 das gemeinsame Projekt Argo AI. Uber zog sich schon 2018 vom autonomen Fahren zurück.
Im Silicon Valley weiß man jedoch, dass das "Tal der Enttäuschungen" für neue Technologien nicht das Ende bedeutet. Vielmehr ist es die Phase, in der Unternehmen effektive und lukrative Anwendungen entwickeln, die auf den "Pfad der Erleuchtung" führen.
"Anbieter wie Waymo oder Zoox arbeiten konsequent an der Skalierung des vollautomatisierten Fahrens und sorgen dafür, dass die Technologie auf den amerikanischen Straßen immer sichtbarer wird", sagt der in San José lebende Technologietrendforscher Mario Herger im Gespräch mit Germany Trade & Invest.
Waymo will Autobahnen erobern
In der Tat hat das zur Google-Mutter Alphabet gehörende Waymo einen wichtigen Meilenstein geschafft: Im März 2024 erhielt das Unternehmen die Genehmigung, den Robotaxidienst in San Francisco und Los Angeles massiv auszuweiten. Beispielsweise können in San Francisco neben dem eigentlichen Stadtgebiet damit auch große Teile des Silicon Valley bis ins rund 60 Kilometer entfernte Sunnyvale bedient werden.
Entscheidend ist jedoch, dass die Lizenz nun auch den kommerziellen Betrieb auf Autobahnen umfasst. In weitläufigen US-Städten ist dies essentiell, um Rideshare-Anbietern wie Uber oder Lyft Konkurrenz zu machen. Waymo sieht allein in Los Angeles ein jährliches Marktpotenzial von 2 Milliarden US$. Auf den Autobahnen in Phoenix hat Waymo die Tests ohne Fahrer bereits gestartet. Perspektivisch könnten so auch schnelle Fahrten zu Flughäfen möglich werden und ein lukrativer Markt entstehen.
Bei der tatsächlichen Expansion dürfte Waymo wie in der Vergangenheit jedoch vorsichtig agieren. In San Francisco sind derzeit rund 250 Robotaxis unterwegs, wobei eine Warteliste von etwa 200.000 interessierten Kunden abgearbeitet werden muss. Dennoch wird Austin 2024 vierter Standort für Robotaxifahrten neben San Francisco, Los Angeles und Phoenix.
"Ende 2025 werden in den USA bereits zehn bis zwölf autonome Fahrzeugflotten existieren."
Weitere Anbieter stehen in den Startlöchern
Durch den Markteintritt weiterer Investoren könnte es künftig Schlag auf Schlag gehen: "Ende 2025 werden in den USA bereits zehn bis zwölf autonome Fahrzeugflotten existieren", prognostiziert Trendforscher Herger. Im Jahr 2030 spreche man wahrscheinlich von etwa 100 sich in Betrieb befindlichen Flotten. Die Rahmenbedingungen sind häufig schon da, denn bereits 24 Bundesstaaten erlauben autonome Fahrzeuge auch außerhalb des Testbetriebs.
Zoox will noch 2024 mit kostenpflichtigen Fahrten in Las Vegas starten. Auf der Elektronikmesse CES im Januar 2024 eröffnete der zu Amazon gehörende Anbieter dafür eine Warteliste. Eine Expansion in weitere Städte befindet sich bereits in Planung, so wird beispielsweise intensiv in San Francisco getestet.
Für den Durchbruch setzt Zoox auf ein revolutionäres Design: In dem lenkradlosen Taxi sitzen sich die Passagiere wie in einem Zugabteil gegenüber und können sich auf alles konzentrieren, ohne auf den Verkehr achten zu müssen.
Volkswagen testet in Austin eine automatisierte Variante des Modells ID. Buzz. Das Self-Driving-System wird von der Intel-Tochter Mobileye geliefert. Die Kamera-, Radar- und LiDAR-Technologie stammt vom israelischen Start-up Innoviz. Schon ab 2026 wollen die Wolfsburger in die Serienproduktion gehen und kommerzielle Lösungen anbieten.
Tesla will im August 2024 ein Robotaxi präsentieren. Und auch Cruise plant nach der Krise einen neuen Anlauf: Zunächst soll in Phoenix wieder getestet werden.
Deutsche Konzerne mischen kräftig mit bei autonomen Lkw
Fortschritte gibt es auch im Lastwagenbereich. Aurora Innovation und der deutsche Automobilzulieferer Continental wollen bis Ende 2024 rund 20 selbstfahrende Trucks auf die Straße bringen. Sie sollen auf der wichtigen Frachtstrecke zwischen Houston und Dallas unterwegs sein. Ab 2027 will Continental dann in den USA die Serienproduktion aufnehmen. Auch Daimler Truck aus Stuttgart peilt bis 2027 die Serienreife an: Die vollautomatischen Laster der Marke Freightliner werden von der eigenständigen US-Tochter Torc Robotics entwickelt.