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Halal wird relevanter in Großbritannien
Der britische Markt für Halal-Nahrungsmittel wächst. Gründe dafür sind neben der zunehmenden muslimischen Bevölkerung auch Food-Trends wie gesündere Ernährung oder Nachhaltigkeit.
30.06.2023
Von Leonie Schneiderhöhn | Bonn
In Großbritannien gab es 2021 rund 4 Millionen Menschen, die dem muslimischen Glauben angehören. Das entspricht etwa 6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit hat das Vereinigte Königreich die drittgrößte muslimische Bevölkerung in ganz Europa. Bis 2050 soll der Anteil von Menschen muslimischen Glaubens an der Gesamtbevölkerung auf 17,5 Prozent ansteigen. Großbritannien gehört laut einem Report von DinarStandard seit 2022 zu einem der 15 robustesten islamischen Wirtschafts-Ökosysteme weltweit. Entsprechend steigt auch die Nachfrage nach Lebensmitteln, die die Kennzeichnung halal tragen.
Das arabische Wort "halal" bedeutet so viel wie "erlaubt". Damit entspricht es muslimischen Vorschriften, nach denen ein Prozess, bestimmte Dinge oder Lebensmittel zum Konsum erlaubt sind. Es bezieht sich auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes, das nach islamischem Brauchtum hergestellt worden sein muss. Ob ein Produkt halal ist, ist nicht immer sofort eindeutig. Islamische Rechtsgelehrte legen die Kriterien oft unterschiedlich aus. Das Gegenteil von halal ist "haram". Es bedeutet "verboten" beziehungsweise "unzulässig". Nicht nur Lebensmittel können halal sein, sondern auch Kosmetika, Arzneimittel und sogar Finanzdienstleistungen. Letztere machten 2021 laut Statista etwa 53 Prozent des globalen Halal-Marktes aus, gefolgt von Lebensmitteln mit etwa 32 Prozent. In Bezug auf Lebensmittel geht es bei dem Konsum von Halal-Produkten irrtümlicherweise nicht nur um islam-konform hergestelltes Fleisch. Halal sind zum Beispiel auch Frischmilch, Eier, frisches Gemüse, Obst und vieles mehr. Als haram gelten typischerweise Schweinefleisch, Alkohol oder Produkte, die damit in Berührung gekommen sind. |
Die Ausgaben in der britischen Halal-Lebensmittel- und Getränkeindustrie beliefen sich laut einer Studie der britischen gesetzlichen Abgabenkommission AHDB mit den letzten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2016 auf schätzungsweise 5,7 Milliarden Euro. Das entsprach 8 Prozent der Gesamtausgaben für Lebensmittel und Getränke im Vereinigten Königreich. Die Experten von DinarStandard rechnen damit, dass die weltweite Bedeutung der Halal-Lebensmittelindustrie in den kommenden Jahren weiter zunimmt. Somit bieten sich auch für deutsche Lieferanten Chancen.
Brexit weiterhin Hemmschuh für Nahrungsmittelhandel
Der Brexit wirkt sich auch auf den Halal-Bereich im Nahrungsmittel-Sektor aus. Der Austritt aus der Europäischen Union (EU) und die damit verbundene Zollgrenze erschweren den Handel mit Nahrungsmitteln zwischen der britischen Insel und der EU. Ab Oktober 2023 soll es durch das "Border Target Operating Model" jedoch bürokratische Erleichterungen bei tierischen Erzeugnissen und Pflanzenprodukten geben.
Pandemie förderte Digitalisierung im Halal-Bereich
Neben dem Brexit hatte die Coronapandemie erhebliche Einflüsse auf den britischen Halal-Nahrungsmittelsektor. Die Unterbrechung der globalen Lieferketten führte zu Schwierigkeiten beim Zugang zu Halal-Produkten. Laut dem Beratungsunternehmen DinarStandard investierten daraufhin mehr muslimische Organisationen in Nahrungsmittelsicherheit. Diese Investitionen konzentrierten sich unter anderem auf lokale Anbauinitiativen und Food Tech-Lösungen und betrugen im Fiskaljahr 2020/21 weltweit rund 3,6 Milliarden Euro.
Um den Wertschöpfungsprozess von Lebensmitteln transparenter und sicherer zu gestalten kommt vermehrt Blockchain zum Einsatz. Durch die Verwendung der Technologie können Informationen über Herkunft, Qualität, Halal-Zertifizierung und andere relevante Daten entlang der Lieferkette verfolgt und überprüft werden.
Als Folge der Coronapandemie gibt es jetzt Apps im Vereinigten Königreich wie Zabihah, Halal Dining Club und Crave Halal, die ausschließlich halal-zertifizierte Lebensmittel aus Supermärkten oder Restaurants nach Hause liefern. Ebenfalls wachsendes Interesse erfahren Halal-Cloud Kitchens, spezialisierte kommerzielle Küchen ohne Sitzplätze, die ausschließlich Liefer- oder Abholservices anbieten.
Food-Trends als Absatzchance
Der Absatz von Halal-Nahrungsmitteln in Großbritannien wird nicht nur durch die wachsende Anzahl von Muslimen beeinflusst, sondern auch durch das Interesse von nicht-muslimischen Verbrauchern. Ernährungstrends wie mehr Nachhaltigkeit, mehr Umweltbewusstsein oder gesündere Ernährung tragen laut dem Magazin Halal Focus dazu bei.
Immer mehr Verbraucher legen Wert darauf, zu wissen, woher ihre Lebensmittel stammen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Halal-zertifizierte Nahrungsmittel bieten genau diese Transparenz. Das Halal-Siegel gewährleistet, dass bestimmte Anforderungen erfüllt wurden, sowohl in Bezug auf die Herkunft der Zutaten als auch auf die Produktionsprozesse.
Halal-Nahrungsmittel sind außerdem frei von Zutaten wie Alkohol oder Blut, was für bestimmte Verbrauchergruppen aus gesundheitlichen Aspekten relevant ist. Es wird ebenfalls auf bestimmte Zusatzstoffe, Konservierungsstoffe und chemische Substanzen verzichtet. Viele Produkte können daher nicht nur als halal, sondern auch als biologisch oder in einigen Fällen sogar als vegan ausgezeichnet werden. Dies erweitert den potenziellen Verbraucherkreis erheblich.
Die Tatsache, dass halal-zertifizierte Lebensmittel in vielen westlichen Supermärkten relativ neu sind, bietet Chancen für Hersteller von Halal-Produkten. Immer mehr Verbraucher interessieren sich für ausländische Produkte und sind offen für kulinarische Vielfalt. Dazu gehören im Vereinigten Königreich gemäß dem Trend-Report des International Food & Drinks Events 2023 neben asiatischen oder italienischen Gerichten auch Gerichte, die aus dem arabischen Raum stammen. Supermärkte wie Tesco bieten bereits seit 2017 ganze Regale voller Halal-Produkte in muslimisch-geprägten Regionen an.
Zertifizierungen unerlässlich für Erfolg
Die Zertifizierung von Halal-Lebensmitteln erleichtert die Ansprache von Verbrauchern und bietet potenzielle Wettbewerbsvorteile. Zudem ermöglicht sie den Export zertifizierter Produkte in muslimisch-geprägte Länder. Die drei wichtigsten Importeure für Halal-Nahrungsmittel im Jahr 2020 waren Saudi-Arabien, Indonesien und Malaysia.
Der Begriff "halal" ist in der EU lebensmittelrechtlich nicht geschützt. Für "Halal"-Produkte gibt es bisher keine einheitlichen Standards, die bei einer Zertifizierung überprüft werden. Daher ist eine Vielzahl unterschiedlicher "Halal"-Siegel von traditionellen oder herstellerorientierten Zertifizierern auf dem Markt. Beim Handel mit anderen Ländern müssen die Zertifizierungen und ihre jeweiligen Kriterien deshalb unbedingt genau geprüft werden, um eine Anerkennung zu gewährleisten. |
In Großbritannien alleine gibt es mindestens zwölf akkreditierte Anlaufstellen, die sowohl inländische als auch ausländische Unternehmen bei Zertifizierungen unterstützen. Viele globale Zertifizierungen werden zudem auch in Großbritannien von Großkunden akzeptiert und zum Beispiel ins eigene Sortiment aufgenommen.
Organisation | Art | Anmerkungen |
---|---|---|
Britischer Fachverband für Islamischen Handel | ||
Akkreditierte Zertifizierungsstelle in Großbritannien | Speziell für Nahrungsmittel | |
Akkreditierte Zertifizierungsstelle in Großbritannien | Speziell für Nahrungsmittel, Restaurants, Metzger, Schulen, Caterer | |
Akkreditierte Zertifizierungsstelle in Großbritannien | Speziell für Nahrungsmittel, Kosmetika, Arzneimittel, Logistik, Restaurants | |
EU-Zertifizierungsstelle mit Sitz in Großbritannien | Speziell für Nahrungsmittel, Kosmetika, Arzneimittel | |
EU-Zertifizierungsstelle mit Sitz in den Niederlanden | Speziell für Fleisch, Milchprodukte, usw. | |
Global anerkannte Zertifizierungsstelle | ||
Muslimisch-britische Schirm-Organisation | Veröffentlicht alle 10 Jahre einen Report über die muslimische Bevölkerung in Großbritannien ("2021 Census") | |
Fachmesse in Manchester | 14.-15. Juli 2023 | |
Fachmesse in London | 1.-2. Dezember 2023 |