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Vietnam setzt auf einen neuen Energiemix
Mit dem Wirtschaftswachstum steigt auch der Strombedarf. Kohle bleibt wichtigster Energieträger. Vietnam will aber vor allem die erneuerbaren Energien stark ausbauen.
26.01.2023
Von Marcus Hernig | Bonn
Bis zum Jahr 2030 will Vietnam seine installierten Energiekapazitäten im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppeln. Vor allem seine erneuerbaren Energien plant das südostasiatische Land massiv auszubauen, ganz besonders Wind und Solar. Zusätzlich will die vietnamesische Regierung Stromimporte aus den südostasiatischen Nachbarländern steigern. Allen voran Laos soll als „Batterie Südostasiens“ transnationaler Energielieferant für Vietnam werden.
Um die geplanten Ausbauziele zu erreichen, muss Vietnam Schätzungen zufolge jährlich zwischen 8 Milliarden und 14 Milliarden US-Dollar (US$) in den Energiesektor investieren. Laut Energieentwicklungsplan (Power Development Plan, PDP) VIII wird die Regierung die insgesamt knapp 61 Gigawatt installierter Kraftwerkskapazität des Jahres 2020 auf mindestens 130 Gigawatt bis zum Jahr 2030 ausbauen. Bereits Ende 2021 war die Kapazität auf 77 Gigawatt gestiegen.
Kohlekraft ist auf teure und knappe Importe angewiesen
Hauptenergieträger wird bis 2030 Kohle bleiben. Im Februar 2022 lieferte Kohleverbrennung 44 Prozent des erzeugten Stroms. Im Jahr 2021 musste der Rohstoff zu 68 Prozent importiert werden, zumeist aus Indonesien, Australien und Russland. Aktuell leidet Vietnam unter Kohlemangel, weil der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu starken Versorgungsengpässen geführt hat.
„Vietnam wird keine neuen Kohlekraftwerke mehr hinzufügen, um seinen Energieentwicklungsplan umzusetzen",
verkündete Dang Hoang An, Vizeminister für Industrie und Handel, bereits 2018. "Nur Projekte, die bereits in Bau sind, werden bis 2030 fortgeführt." Im Energiemix des Landes soll so der Anteil der Kohlekraft im Zehnjahreszeitraum von 43 auf gut 30 Prozent aller installierten Kapazitäten sinken.
Anders als in Deutschland gibt es in Vietnam kein Problem mit der Gasversorgung. Das Land verfügt mit rund 669 Milliarden Kubikmetern Gas über große Reserven. Aktuell werden 10,3 Milliarden Kubikmeter jährlich gefördert und noch nicht einmal komplett verbraucht. Die Gasreserven sind offshore und liegen vor allem in den Meeresbecken Cuu Long und Nam Con Song vor der Südküste des Landes.
Die installierten Gaskraftkapazitäten betrugen 2020 rund 9 Gigawatt. Hier ist bis 2030 ein Ausbau auf 29 Gigawatt geplant. Fast die Hälfte der aktuellen Leistung hat Siemens in Vietnam errichtet. „Wir sind die Nummer Eins beim Aufbau von Gas- und Dampf(GuD)-Kombikraftwerken“, sagt Pham Quang Vinh, Geschäftsführer von Siemens Energy in Ho-Chi-Minh-City. Ursprünglich eine patentgeschützte Siemensentwicklung, gehören GuD-Anlagen zu den emissionsärmsten Kraftwerken mit fossilen Energieträgern.
Bei Wind und Solar sind ebenfalls große Steigerungen zu erwarten: Bis 2030 sollen rund 34 Gigawatt Kapazität (26 Prozent der Gesamterzeugungskapazitäten) aus Wind und Sonne zur Verfügung stehen. Im Jahr 2020 belief sich die Leistung aus beiden Energiequellen zusammen noch auf gerade einmal 1,7 Gigawatt. Die installierte Kapazität an Wasserkraftwerken wird sich hingegen kaum noch erhöhen. "Der Markt für Hydroenergie ist gesättigt“, so Vinh.
Kohle | Wasser | Gas | Wind | Solar | Importe | Gesamt | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
2020 | 26 | 22 | 9 | 1 | 1 | 2 | 61 |
2030 | 40 | 23 | 29 | 13 | 21 | 5 | 130 |
Grüne Energiekonnektivität muss ausgebaut werden
Während des „Solarbooms“ bis 2021 zahlte der staatliche Netzbetreiber Vietnam Electricity (EVN) hohe Vergütungen für Solarstrom, musste ihn aber zu festgelegten Niedrigpreisen an die Verbraucher weitergeben. Ein großes Defizit war die Folge, und die Einspeisevergütung in das Stromnetz des Landes wurde ausgesetzt.
„Es fehlt an einer Neuauflage für eine staatlich garantierte Einspeisevergütung. Außerdem ist unklar, wie man neue Wind- und Solarkraftwerke mit dem nationalen Stromnetz verbindet“,
sagt Manuel Hanenberg, Geschäftsführer des deutschen Windkraftherstellers WPD in Vietnam. Damit unterliegen größere Investitionen im Energiesektor einem hohen Risiko. Das Ministerium für Industrie und Handel plant, ein Viertel des Budgets für neue Investitionen in den Energiesektor für den Ausbau des Stromnetzes zu verwenden. Erst dann kann erneuerbare Energie aus neuen Kraftwerkskapazitäten eingespeist werden. Bis es soweit ist, sind im Solarsektor dezentrale Lösungen vorrangig.
Auch Energieimporte sollen die "grüne" Energiebilanz verbessern. Bereits heute fließt Strom aus laotischen Wasserkraftwerken nach Vietnam. Die Einfuhr von Erneuerbaren soll künftig erhöht werden. Der Ausbau transnationaler Leitungen gehört zu den dringend anstehenden Infrastrukturentwicklungen. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde im September 2022 in Hanoi verhandelt: Vietnam möchte ab 2025 Windstrom aus der laotischen Südprovinz Attapeu importieren. Dort entsteht Südostasiens aktuell größter Onshore-Windpark.
Regierung zieht Bau eines Atomkraftwerkes in Betracht
Im Juni 2022 verkündete Nguyen Hong Dien, Minister für Industrie und Handel, dass der weltweite Trend zur Atomkraft auch für Vietnams Energieversorgung künftig „unvermeidlich“ sei. Die geplante Klimaneutralität ist Hauptgrund, dass in Vietnam zum ersten Mal ein Atomkraftwerk gebaut werden könnte. Die Idee eines vietnamesischen Atomkraftwerks ist nicht neu: Rosatom aus Russland und Japan Atomic Power sollten bereits ab 2014 zwei erste Reaktoren in der Provinz Ninh Tuan bauen. Budgetengpässe und die Verfügbarkeit günstigerer Energieträger hatten 2016 die Umsetzung der Bauprojekte jedoch verhindert.