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Nachbarländer zunehmend wichtig für den Auslandsbau
15.12.2023
Von Edda Schlager | Berlin
Der Auslandsumsatz der weltweit tätigen Bauunternehmen ist im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen. Bei den 250 größten Unternehmen der Branche, die vom Fachmagazin Engineering News Record (ENR) untersucht wurden, machte der Anstieg 7,7 Prozent aus – mit einem Gesamtauslandsumsatz von 428,5 Milliarden US-Dollar (US$). Im Jahr 2021 waren es 397,9 Milliarden US$.
Die Stimmung in der Branche ist vorsichtig optimistisch – 65 Prozent der betrachteten Unternehmen meldeten positive Wachstumsraten im Auslandsgeschäft. Doch unterbrochene Lieferketten, hohe Rohstoffpreise, Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen durch Inflation, höhere Zinssätze und geopolitische Verwerfungen belasten die Unternehmen, trotz der Erholung nach der Covid-19-Pandemie.
Europäische Konzerne bleiben Spitzenreiter im Auslandsbau
Laut der Anaylse von ENR sind europäische Firmen im Auslandsbau weiterhin weltweit führend. Sie setzten im Jahr 2022 rund 196 Milliarden US$ im Ausland um, eine Steigerung um gut 8 Prozent gegenüber 2021. Den größten Anteil am Erfolg Europas haben Konzerne aus Frankreich, Spanien und Italien. Sie generierten rund zwei Drittel der europäischen Auslandsumsätze und bis zu 90 Prozent ihres Gesamtumsatzes im Ausland.
Regionaler Schwerpunkt für europäische Bauunternehmen sind aufgrund der geografischen Nähe und geringer regulatorischer Hindernisse die europäischen Nachbarländer. Danach folgen die USA und Australien. Frank Kehlenbach, Sprecher des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, bestätigt:
"Das Auslandsbaugeschäft deutscher Unternehmen findet zu rund 80 Prozent in Europa statt."
Insbesondere in Skandinavien und in Polen laufe es derzeit für die Deutschen sehr gut. "Allerdings", so Kehlenbach, "sind sie bei den ganz großen internationalen Projekten meist nur noch als Nachunternehmer tätig." Das ist eine Folge der Übernahmen früherer deutscher Baugrößen durch internationale Konzerne in den 2000er Jahren.
Europäer stärker in Amerika als in Asien
Im Jahr 2022 haben die Umsätze europäischer Firmen in Lateinamerika (13,0 Milliarden US$) jene in Asien (12,4 Milliarden US$) übertroffen. Zum Vergleich: Im Vor-Coronajahr 2019 hatten die europäischen Auslandsbauumsätze in Asien noch bei 42,1 Milliarden US$ und in Lateinamerika bei 16,2 Milliarden US$ gelegen. Gegenüber 2021 verzeichnen europäische Firmen insbesondere in Lateinamerika (30,5 Prozent) und Kanada (27,2 Prozent) ein deutlich gewachsenes Auftragsvolumen. In Asien hingegen fällt diese Steigerung mit 12,5 Prozent geringer aus.
Beteiligungen an lokalen Unternehmen sind der Grund für die starke europäische Präsenz weltweit, denn sie ermöglichen einen leichteren Marktzugang. Insbesondere Spanien mit Konzernen wie der ACS-Hochtief-Gruppe, Ferrovial oder Acciona sticht im europäischen Vergleich mit einem Umsatz von 24,8 Milliarden US$ allein in den USA und 11,7 Milliarden US$ in Australien und Ozeanien hervor. Die spanischen Konzerne konnten den jeweiligen Marktanteil gegenüber 2021 sogar noch steigern.
Rang (Vorjahr) | Unternehmen | Land | Auslandsumsatz in Milliarden US$ | Anteil Ausland am Gesamtumsatz in Prozent |
---|---|---|---|---|
1. (2) | VINCI | Frankreich | 35,6 | 55,7 |
2. (1) | ACS | Spanien | 32,1 | 90,6 |
3. (3) | Bouygues | Frankreich | 21,2 | 45,5 |
4. (6) | China State Construction Engineering Corporation (CSCEC) | China | 16,0 | 5,3 |
5. (4) | STRABAG | Österreich | 15,5 | 86,4 |
6. (5) | China Communications Construction Group (CCCG) | China | 14,7 | 13,7 |
7. (7) | Skanska | Schweden | 12,6 | 77,9 |
9. (8) | Samsung C&T | Südkorea | 10,8 | 32,2 |
8. (9) | Power Construction Corporation of China (Power China) | China | 11,1 | 13,1 |
10. (10) | China Railway Group (CRG) | China | 8,7 | 5,1 |
China ist stark im Inland, schwächer im Ausland
Laut dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte, das jährlich 100 Bauunternehmen mit dem weltweit größten Umsatz untersucht, sind im Jahr 2022 unter den Top 10 acht chinesische Konzerne. Beim Ranking nach Auslandsumsatz allerdings sind nur vier chinesische Unternehmen unter den besten zehn, verdrängt durch europäische Konkurrenten und Samsung C&T aus Südkorea.
Generell ist der prozentuale Anteil des im Ausland erwirtschafteten Umsatzes bei chinesischen Unternehmen deutlich geringer als bei europäischen Konzernen: Der Marktführer, die China State Construction Engineering Corporation (CSCEC), generierte im Jahr 2022 zwar einen Umsatz von 305,4 Milliarden US$, 4,2 Prozent mehr als 2021. Doch internationale Vorhaben machten nur 5,3 Prozent des Gesamtumsatzes von CSCEC aus, rund 16,0 Milliarden US$ und lediglich 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Auslandsbau wuchs also deutlich weniger als das Gesamtgeschäft, wenngleich sich chinesische Baukonzerne globaler aufstellen wollen.
Chinas Interesse an unmittelbaren Nachbarmärkten wächst
Ähnlich zum Trend der vergangenen Jahre erwirtschafteten die chinesischen Baukonzerne laut dem ENR-Ranking im Jahr 2022 mehr als ein Drittel (38,6 Prozent) ihrer internationalen Umsätze in asiatischen Ländern. Dem Ranking von Deloitte für 2022 zufolge sind Afrika mit etwa einem Viertel und der Mittlere Osten mit rund 15 Prozent der Aktivitäten im Ausland weitere Schwerpunktregionen chinesischer Bauunternehmen.
Im Jahr 2023 hat sich der Fokus der Belt and Road Initiative auf Nachbarregionen wie Südostasien und Zentralasien verschoben. Doch chinesische Unternehmen berichten schon jetzt auf Fachmessen, dass Akquise und Beteiligungen an Ausschreibungen insbesondere in Afrika und Südamerika derzeit zurückgefahren würden. Die Folge deutlich weniger umgesetzter Vorhaben wird sich vermutlich erst in den Bilanzen der kommenden fünf Jahre niederschlagen.
Geopolitik verschiebt regionale Schwerpunkte im Auslandsbau
Als einzige der großen Baunationen musste die Türkei 2022 Einbußen im Auslandsgeschäft hinnehmen: im Vergleich zum Vorjahr um knapp 10 Prozent auf 20,4 Milliarden US$. Grund dafür ist der traditionell hohe Anteil an Aufträgen aus Russland, der durch den Ukrainekrieg einen Einbruch erlebte. Kompensiert wurden die Ausfälle teilweise durch mehr Aufträge in Europa, Afrika, den USA, Kanada und Australien.
Südkoreanische Bauunternehmen legten insbesondere im Nahen Osten zu – einer derzeit boomenden Region, wie Bauverbandsprecher Frank Kehlenbach bestätigt, die aber hohe Risiken birgt. Auch in den USA und in Lateinamerika gewannen südkoreanische Unternehmen wie Hyundai Engineering & Construction oder Samsung Engineering deutlich an Präsenz.
Japans Baukonzerne wollen vom wachsenden Ausbau der Transport-, Energie- und Stadtinfrastruktur von Schwellenländern profitieren. Vor allem Südostasien und der indische Subkontinent stehen hier im Fokus.