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Branchen | Armenien, Aserbaidschan | Logistik

Armenien drängt mit Großprojekten auf globale Transportachsen

Mit Projekten wie der Nord-Süd-Autobahn und dem Sangesur-Korridor will Armenien Teil internationaler Transportrouten werden. Eine Hürde bleibt die Einigung mit Aserbaidschan.

Von Uwe Strohbach | Eriwan

Wieder durchlässige und ausgebaute Transport- und Versorgungsrouten sind für die kleine Kaukasusrepublik Armenien eine große Chance, sich als wichtiger Partner für Transport und Logistik im Südkaukasus zu positionieren. Schwierig bleibt jedoch das geopolitische Umfeld des Landes mit den beiden Nachbarn Aserbaidschan und Türkei sowie mit Russland.

Die Beziehungen zu Aserbaidschan sind nach dessen Eroberung der Konfliktregion Berg-Karabach angespannt. Viele Fragen für die Neuordnung der bilateralen Beziehung sind noch nicht geklärt. Auch die weiterhin geschlossene Grenze zur Türkei behindert Armenien dabei, sich als attraktiver Wirtschaftspartner im Südkaukasus zu positionieren. Armenien und Aserbaidschan sind jedoch entschlossen, ihre Beziehungen zu normalisieren. Im Rahmen des gestarteten Entspannungsprozesses fanden zwischen den Sonderbeauftragen der zwei Nachbarländer bislang fünf Gespräche statt. Sichtliche Fortschritte in den Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien lassen jedoch noch auf sich warten.

Armenien treibt Bau der Nord-Süd-Autobahn voran

Aktuell setzt Armenien mit finanzieller Unterstützung von Geberbanken nur ein größeres international ausgerichtetes Projekt um: den Bau der 556 Kilometer langen Autobahn Nord-Süd. Die EU unterstützt das Vorhaben als Flagship-Projekt von Global Gateway. Die Autobahn grenzt im Norden an Georgien und im Süden an den Iran. Armenien verspricht sich über diese Trasse perspektivisch einen Zugang zum iranischen Hafen Chabahar. Dort erwägt es den Bau oder Erwerb eines Terminals. Die Verbindung böte über den Hafen Mumbai Transportmöglichkeiten bis nach Indien

Bau des südlichen Abschnitts startet wohl 2024

Baustart der Nord-Süd-Autobahn war bereits im Jahr 2012. Deren Gesamtkosten gibt das Transportministerium mit circa 3,5 Milliarden US-Dollar (US$) an. Davon entfallen etwa 1,5 Milliarden US$ auf den südlichen Abschnitt zwischen Kadscharan und Agarak an der Grenze zu Iran. Der Startschuss für diesen Teilabschnitt soll im 2. Halbjahr 2024 erfolgen. 

Im Jahr 2024 fließen etwa 110 Millionen US$ in das Projekt. Das Transportministerium rechnet nicht vor 2030 mit dessen Fertigstellung, obwohl die Inbetriebnahme der gesamten Autobahn ursprünglich schon für 2019 vorgesehen war. 

Bau des Nord-Südkorridors in Armenien beginnt abschnittsweiseBauabschnitte, Stand 1. August 2024
AbschnitteLängeProjektkosten (Mio. US$)Projektstadium 
Sisian-KadscharanGesamtlänge: 60 km (darunter 27 Brücken mit 4,7 km Länge und 9 Tunnel mit 12,5 km Länge) 920 (zugesagte Kofinanzierung durch EBRD über 236 Mio. Euro und Eurasischen Fonds für Stabilisierung und Entwicklung über 150 Mio. US$)Präqualifikationsrunde abgeschlossen, zz. Gespräche mit  weiteren potenziellen Kreditgebern    
Kadscharan-TunnelLänge: 7 km250 (Kofinanzierung durch den Eurasischen Fonds für Stabilisierung und Entwicklung über 200 Mio. US$)Ausschreibung läuft
Kadscharan-Agarak/ Grenze zum IranGesamtlänge: 32 km (17 Brücken, 2 Tunnel)215 (Kofinanzierung durch die Eurasische Entwicklungsbank über 150 Mio. US$)Bauausführung 2024 bis 2028: Abad Rahan Pars und Tunnel Sadd Ariana (Iran)
Quelle: Armenisches Ministerium für territoriale Verwaltung und Infrastruktur 2024; Staatliche armenische Organisation Road Department 2024

Armeniens Jahrhundertprojekt: ein umstrittener Korridor 

Armenien dürfte insbesondere vom künftigen, durch Südarmenien führenden sogenannten Sangesur-Korridor profitieren. Es handelt sich dabei vor allem um eine armenische Bahn- und Straßentrasse, die in Ost-West-Richtung von Aserbaidschan über Armenien und die Autonome Republik Nachitschewan bis in die Türkei verlaufen soll.

Die aserbaidschanischen Trassen als Zuwegung des Korridors nähern sich der Fertigstellung: Der Straßenabschnitt Baku-Horadis ist bereits gebaut. Der verbleibende 124 Kilometer lange Abschnitt Horadis-Dschäbrajil-Sangilan-Agbend an der Grenze zu Armenien dürfte gegen Ende 2024/Anfang 2025 in Betrieb gehen. Die Arbeiten an der 110 Kilometer langen Bahntrasse Horadiz-Agbend/ Grenze zu Armenien sind zu etwa 60 Prozent ausgeführt (Stand: 1. August 2024).

Einigung beim Sangesur-Korridor steht noch aus

Ob und wann der Korridor durch die südarmenische Region Sjunik errichtet wird, ist noch mit einem großen Fragezeichen versehen. Aserbaidschan besteht darauf, dass von ihm abgewickelte Transporte den armenischen Abschnitt der Trasse ohne Grenz- und Zollabfertigung passieren können. Armenien verweist zu Recht auf seine territoriale Souveränität. Anzeichen dafür, dass Aserbaidschan von seiner Forderung nach einer Route vom aserbaidschanischen Kernland in die Exklave Nachitschewan ohne Grenzkontrollen und Zoll durch Armenien abrückt, gibt es bisher nicht.

Nachitschewan

Die südwestlich des Sangesur-Bergkamms gelegene Autonome Republik Nachitschewan ist eine Exklave Aserbaidschans zwischen der Türkei, Iran und Armenien. Sie ist durch einen rund 50 Kilometer breiten armenischen Streifen vom aserbaidschanischen Kernland getrennt. Nachitschewan zählt 468.600 Einwohner, die gleichnamige Hauptstadt 97.000 Bewohner (1. Januar 2024). Die Exklave hat eine eigene Verfassung und ein eigenes Parlament. Ihr Anteil am jährlichen Bruttoinlandsprodukt Aserbaidschans beträgt circa 2,3 Prozent. 

Die Lösung der Sangesur-Korridor-Frage gilt als eine wesentliche Voraussetzung für den Abschluss einer Friedensvereinbarung zwischen Armenien und Aserbaidschan. Auch ist sie Bedingung für die Aufhebung der Transportblockade gegen Armenien durch Aserbaidschan und die Türkei. Der Text einer solchen Vereinbarung sei bereits zu 80 bis 90 Prozent abgestimmt, gab der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew Ende Juli 2024 offiziell bekannt.

Armenien und Aserbaidschan formulieren weitere Vorbedingungen für Einigung

Es gebe aber – neben der Lösung der Modalitäten für die Errichtung des Sangesur-Transportkorridors – noch weitere offene Fragen: So fordert Alijew die Auflösung der Minsk-Gruppe (internationale OSZE-Initiative zur Lösung des Bergkarabach-Konflikts) sowie Änderungen in der armenischen Verfassung. Diese enthält strittige Passagen zu einer perspektivischen Vereinigung Armeniens mit der zu Aserbaidschan gehörenden Berg-Karabach-Region. Die armenische Seite wiederum verweist darauf, dass im Gegenzug zu möglichen Änderungen seiner Verfassung in offiziellen aserbaidschanischen Dokumenten sämtliche Verweise auf Armenien als feindlichem Nachbarn getilgt werden müssten.

Der Abschluss des Friedensvertrages setzt zudem weitere Fortschritte bei der Demarkation der etwa 1.000 Kilometer langen Staatsgrenze zwischen Aserbaidschan und Armenien voraus. Bei der Festlegung des Grenzverlaufs lassen sich erste Fortschritte beobachten. 

Armenien hat ungeachtet bisher noch ungelöster Fragen in den Beziehungen mit Aserbaidschan seine Bereitschaft zur Unterzeichnung des Friedensabkommens bekundet. Eine klare Antwort auf aserbaidschanischer Seite steht bisher aus. Unbestritten dürfte sein, dass das Friedenabkommen nur ein erster – wenn auch besonders wichtiger Schritt – für die Neuordnung der bilateralen Beziehungen darstellen wird. Viele Detailfragen, einschließlich einer möglichen Rückkehr der Berg-Karabach-Armenier in ihre Heimatregion, dürften wohl erst später auf die Agenda bilateraler Gespräche gelangen.

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