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Chile denkt lieber in Großprojekten als ans Wassersparen
Wasser aus dem Süden ins Zentrum zu pumpen, klingt gut, ist aber eine Jahrhundertaufgabe. Realistische Optionen sind effizienterer Wassereinsatz und die Reparatur von Leckagen.
04.03.2024
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Schon heute leiden viele Regionen Chiles unter Wassermangel. Etwa drei Viertel des Landes sind von Dürre, Wüstenbildung oder Bodenverschlechterung betroffen. Das zeigt ein 2023 veröffentlichter Bericht des Centro de Recursos Hídricos para la agricultura y la minería (CRHIAM).
Die Probleme dürften sich in Zukunft noch verschärfen. So rechnet die Dirección Meteorológica de Chile damit, dass sich die Wasserverfügbarkeit zwischen 2030 und 2060 im Norden und Zentrum des Landes aufgrund des Klimawandels halbiert. Damit gehören der Zugang zu ausreichend Trinkwasser und die Sicherstellung der nötigen Bewässerung der Felder zu den wichtigsten Herausforderungen. Trotzdem machen sich in Chile nur wenige Gedanken über das Wassersparen im Alltag oder die Beseitigung von Lecks in Trinkwasserleitungen.
"Insgesamt ist Wasser in Chile immer noch zu billig",
meint deshalb nicht nur Fernando Santibánez, Professor an der Universität San Sebastián in Santiago.
Wasserpreis ohne Lenkungsfunktion
"In der Folge passiert nichts", so Udo Rheinschmidt von der Technischen Universität Féderico Santa María in Valparaíso: "Die Natur vertrocknet, die Seen und Reservoirs sind quasi leer – und bei allen kommt das Wasser aus dem Hahn." Selbst einfache Mittel, wie Geschirr nicht unter fließendem Wasser spülen oder die Nutzung einer Spartaste in der Toilette, unterbleiben, von Investitionen in die Nutzung von Grauwasser ganz zu schweigen.
Wieviel Wasser in Chile kostet
Die Tarife pro Kubikmeter (Trinkwasser, Entsorgung, Service) schwanken nicht nur regional stark, sondern auch wohnort- und entnahmezeitabhängig. Laut Aufsichtsbehörde SiSS ergaben sich 2022 folgende Maximalwerte:
- Höchstwert: durchschnittlich 3,52 US$ pro Kubikmeter in Coyhaique
- niedrigster Wert: Maípu (1,13 US$), gefolgt von der Metropolregion Santiago (1,42 US$; umgerechnet jeweils zum Kurs 1 US$ = 859,51 chilenische Pesos).
Die Wassertarife werden auf fünf Jahre festgelegt. Dafür erstellt SiSS eine Studie zu nötigen Investitionen, Betriebskosten etc., einschließlich 10,3 Prozent Rentabilität. Hieraus errechnet sich der künftige Höchsttarif. Können sich SiSS und die Versorger nicht einigen, entscheidet eine unabhängige Expertenkommission.
Chile insgesamt kein wasserarmes Land
Tatsächlich gehört Chile nach internationalen Maßstäben nicht zu den wasserarmen Ländern. Laut der Dirección General de Aguas liegt die jährliche Verfügbarkeit von Süßwasser pro Kopf bei 51.281 Kubikmetern. Dieser Wert bezieht sich auf das Jahr 2016, aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Der durchschnittliche Niederschlag ist mit 1.525 Millimetern pro Jahr etwa zwei- bis dreimal so hoch wie in Deutschland.
Allerdings konzentrieren sich die Wasserressourcen auf den Süden. Dagegen ist die Atacama im Norden die trockenste Wüste der Welt. Die am dichtesten besiedelten Landesteile im Zentrum leiden unter Dürren, Hitzesommern und Bränden.
3.000 Kilometer lange "Wasserautobahn" von Süd nach Nord
Die regional ungleiche Verteilung des Wassers bietet Raum für Gigaprojekte. Schlagzeilen machten in den jüngsten Jahren vor allem drei Vorhaben, die das kostbare Nass aus dem wasserreichen Süden über Tausende von Kilometern nach Zentral- und Nordchile pumpen sollen.
Das jüngste und komplexeste ist RutAndina. Das Megaprojekt verspricht Chile Unabhängigkeit in den Bereichen Energie, Wasser und Ernährung. So sieht es zumindest Rolf Fiebig, der das Vorhaben Ende 2023 vorstellte. Fiebig ist Mitgründer und ehemaliger Vorsitzender des Verbands für erneuerbare Energie und -speicherung ACERA.
Das Projekt beinhaltet den Bau von mehr als 4.000 Dämmen zur Stromerzeugung (Potenzial: 8 Gigawatt als Back-up für den in Chile erzeugten Wind- und Solarstrom) und die Errichtung einer Autobahn von über 3.000 Kilometern Länge. Unter dieser Autobahn soll ein Aquädukt verlaufen, um Schmelz- und Regenwasser zur Trinkwasserversorgung und Bewässerung nach Zentralchile und in den Norden zu bringen. Überdies könnten weitere unterirdische Leitungen auch den im Süden erzeugten Strom aus erneuerbarer Energie zu den Verbrauchern transportieren; bislang gibt es in Chile kein landesweites zusammenhängendes Stromnetz.
Still geworden ist es dagegen um die vor den sozialen Protesten 2019/2020 propagierte Calletera hídrica des Millionärs Juan Sutil. Gleiches gilt für den Vorschlag der französischen Ingenieursfirma Via Marina, Wasser in im Meer verlaufenden Röhren von Süd nach Nord zu transportieren (Aquatacama, Nuestro Río Submarino). Letzteres hätte den Vorteil, ohne Brücken und Tunnel auszukommen.
Alle drei Vorhaben sind bisher – nicht zuletzt wegen der ungeklärten Finanzierung – nicht über das "Ideenstadium" hinausgekommen. Sollte jedoch eines in die Tat umgesetzt werden, wäre der Bedarf etwa an Röhren, Ventilen, Pumpen, Messtechnik etc. gigantisch. Einfacher umzusetzen ist dagegen der Bau von Meerwasserentsalzungsanlagen, auf die vor allem der Bergbau setzt.
Chiles Trinkwassernetz im Investitionsstau
Doch statt der Wasserknappheit mit der Suche nach neuen Wasserquellen zu begegnen, wäre es sinnvoll, das Trinkwassernetz zu verbessern. Dieses umfasste 2022 rund 42.549 Kilometer, das Abwassernetz 32.666 Kilometer, berichtet die Wasseraufsichtsbehörde Superintendencia de Servicios Sanitarios (SiSS).
Laut SiSS wurden 2022 landesweit umgerechnet knapp 146 Millionen US$ in die Trinkwasserverteilung investiert. Branchenvertreter schätzen den Netzneubau auf etwa 1 Prozent im Jahr. Allerdings ist das bei einer von SiSS unterstellten Lebensdauer von 50 Jahren zu wenig. Um alle Rohre innerhalb dieser Frist zu erneuern, müssten es 2 Prozent sein. Ein Investitionsstau ist absehbar – schon jetzt werden 33,2 Prozent des gelieferten Trinkwassers "nicht in Rechnung gestellt", wie es offiziell heißt. Tatsächlich handelt es sich großteils um Leckagen.
Allerdings hat der Staat kurzfristig hierauf wenig Einfluss. Denn Wasserver- und -entsorgung liegen in privater Hand. Die Konzessionäre müssen zwar bei der Konzessionsvergabe gemäß den staatlichen Anforderungen Investitionspläne vorlegen. Doch offensichtlich, so der Vertreter eines unabhängigen Ingenieurbüros, waren diese Anforderungen in der Vergangenheit nicht ausreichend.
Kategorie | Betrag (in Mio. US$) *) | Anteil (in %) |
---|---|---|
Trinkwasserproduktion | 155,1 | 33 |
Trinkwasserverteilung | 145,8 | 31 |
Abwassersammlung | 107,5 | 23 |
Abwasserbehandlung | 61,4 | 13 |
Gesamt | 469,8 | 100 |
Asbestzementrohre müssen ersetzt werden
Abgesehen von den Leckagen gäbe es auch noch einen weiteren Grund, das Trinkwassernetz zu ertüchtigen: Die Rohre bestehen zwar heute in erster Linie aus Kunststoff (vorwiegend Polyvinylchlorid, PVC), es wurden aber auch Wasserrohre aus Asbestzement und Metallrohre verbaut. Seit 2000 ist der Einsatz von Asbestzement verboten. Der Altbestand wird allmählich ersetzt, in der Regel dann, wenn technische Gründe vorliegen. Eine Verpflichtung zum Austausch der Rohre gibt es jedoch nicht. Im Jahr 2022 bestanden 36,2 Prozent des Trinkwassernetzes aus Asbestzement.