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Wird Chinas Pharmabranche flügge?
Von Generika zu Originalmedikamenten "made in China" – das verfolgt Chinas Regierung. Doch das Patientenmisstrauen ist hoch; Produkte multinationaler Unternehmen bleiben gefragt.
08.04.2024
Von Corinne Abele | Shanghai
Ausblick der Pharmaindustrie in China
- Überalterung der Bevölkerung sorgt für einen höheren Medikamentenbedarf.
- Hohes Patientenvertrauen in ausländische Präparate.
- Es gibt Anreize für innovative Medikamente.
- Buy-Local-Vorgaben und zentralisierte Beschaffungsrunden können für erschwerte Bedingungen sorgen.
Anmerkung: Einschätzung der Autorin für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: März 2024
Markttrends
Chinas Pharmabranche ist in der Post-Covid-Zeit angekommen. Die Krankenhäuser sind voll und werden modernisiert; Erstberatungen und Medikamentenverschreibungen bleiben vielfach online; Pharmaimport wie -export bleibt über Vor-Covid-Niveau. Zwischen 2021 und 2025 dürfte Chinas Pharmamarkt, laut der Unternehmensberatung Frost & Sullivan, jährlich um durchschnittlich 6,7 Prozent und damit stärker als der globale Pharmamarkt wachsen.
Alternde Bevölkerung benötigt mehr Medikamente
Der Grund für das Marktwachstum liegt unter anderem in Chinas rapide alternder Gesellschaft. Der Behandlungsbedarf altersbedingter und chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz- sowie Krebserkrankungen wächst kontinuierlich. Bislang gibt China pro Kopf deutlich weniger für Gesundheit aus als westliche Länder. Doch die Kostenspirale steigt kontinuierlich. Um diese zu bremsen, setzt die Regierung bereits seit Jahren auf strikte Preiskontrolle bei Medikamenten sowie den präferierten Einsatz von Generika. Letztere stellen rund drei Viertel des Medikamentenmarktes dar.
Beschleunigte Zulassung für innovative Arzneimittel
Mittlerweile hat die Regierung jedoch Anreize durch einen erweiterten Patentschutz oder eine beschleunigte Produktzulassung für den Aufbau einer modernen Pharmaindustrie mit eigenständiger Medikamentenentwicklung geschaffen. Das Beratungsunternehmen Frost & Sullivan sieht dieses Segment zwischen 2021 bis 2025 überdurchschnittlich jährlich um 10,3 Prozent wachsen. Allein 2023 hat China 40 innovative Medikamente von in- wie ausländischen Herstellern beschleunigt zugelassen; ein Jahr zuvor waren es laut IQVIA Institute for Human Data Science nur 21 gewesen.
Markthürde "buy local"
Dass einige der innovativen Medikamente in den letzten Jahren ausschließlich auf dem chinesischen Markt zugelassen würden, verweist laut IQVIA auch auf eine entwicklungsstärkere eigenständige inländische Pharmaindustrie. Doch auch ausländische Pharma-Multinationals profitieren davon und haben über die Jahre einen besseren Marktzugang erfahren. Dennoch bleiben sie aufgrund teilweise regional spezifisch ausgelegter „buy local“-Anforderungen sowie zur Norm gewordener zentralisierter Beschaffungsrunden (mit erheblichen Preisreduzierungen) für eine zunehmende Anzahl von Medikamenten hinter ihrem Wachstumspotenzial. Gleichzeitig setzt die Regierung die Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssektor sowie die Verschlankung der Vertriebsstrukturen bei Arzneimitteln (Zwei-Quittungs-System) fort.
Inländische Pharmaunternehmen mit einem jährlichen Mindestumsatz von 20 Millionen Renminbi (etwa 2,77 Millionen US-Dollar) sahen 2023 einen Rückgang von Gewinn (-14,8 Prozent) und Umsatz (-3,7 Prozent). Der Medikamentenumsatz in Krankenhäuser legte 2023 im Vergleich zum Vorjahr jedoch um 4,2 Prozent zu. Knapp 60 Prozent der Medikamente dürften 2023 in Krankenhäusern, 21 Prozent in Apotheken und etwa 15,6 Prozent online verkauft worden sein, so Angaben des China National Pharmaceutical Industry Information Center.
Akteur/Projekt | Investitionssumme *) | Projektstand | Anmerkungen |
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Small Molecule Plant (Wuxi, Provinz Jiangsu) und Inhalation Aerosol Production and Supply Base (Qingdao, Provinz Shandong) von AstraZeneca | 1.175 (475 in Wuxi; 700 in Qingdao) | Wuxi: Unterzeichnung des Abkommens über Investitionszusammenarbeit am 01.03.2024; Qingdao: Baubeginn am 26.02.2024 | Wuxi: Herstellung von Formulierungen spezifischer niedermolekularer Arzneimittel für in- und ausländischen Markt Qingdao: Das erste Produktionsprojekt eines multinationalen Pharmaunternehmens in der Provinz Shandong; Herstellung von Inhalationsaerosolen, die hauptsächlich Medikamente zur Behandlung von Atemwegserkrankungen umfassen. |
Erweiterung der aseptischen Formulierungsanlage von Novo Nordisk (Tianjin) | 567,6 | Investitionsentscheidung bekannt am 19.03.2024; geplante Baufertigstellung im Jahr 2027 | Erweiterungsprojekt wird mit weltweit führender Isolatortechnologie ausgestattet. |
Forschung und Entwicklung sowie Produktion von Moderna (Shanghai) | 510,9 | Baubeginn im November 2023 | Dies ist die erste Investition von Moderna in China und die bisher größte Investition im biomedizinischen Bereich in China. Ziel ist die Entwicklung und Produktion von mRNA-Medikamenten für den chinesischen Markt. |
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
China verfügte Ende 2023 über rund 9.400 Hersteller pharmazeutischer Vorprodukte und Produkte. An den inländischen Börsen waren 2023 insgesamt 308 Branchenunternehmen notiert. Biotechnologie ist von der chinesischen Regierung als strategisch aufstrebende Industriebranche erkannt und wird entsprechend unterstützt. Allein im letzten Fünfjahresprogramm 2016 bis 2020 stieg die Zahl der Biotech Science Parks von 400 auf 600.
Kontinuierlich wurden und werden Standards und deren Kontrolle in Chinas Pharmaindustrie in den letzten Jahren erhöht. Dennoch besteht bei Patienten vielfach Misstrauen. Der "Catalogue for Guiding Industry Restructuring", der seit 1. Februar 2024 in Kraft ist, gilt ebenfalls als Wegweiser für die Modernisierung der Pharmaindustrie. So wird beispielsweise die Herstellung neuer Medikamente (basierend auf eigenen Patenten) bestärkt, andere veraltetet Produktionsverfahren verboten. Analysten sehen entlang der gesamten Innovations-Wertschöpfungskette im Biopharmabereich Fortschritte.
Erste chinesische Originalmedikamente im Ausland
Chinas führende Pharma- und Biotechunternehmen haben inzwischen auch ausländische Märkte im Visier. So vermarkten beispielsweise Beigene oder Innovent Biologics ihre Originalmedikamente in den USA und in der Europäischen Union. Einem Bericht des Beratungsunternehmens Roland Berger zufolge befanden sich im September 2022 allein 150 Medikamente von 40 chinesischen biopharmazeutischen Unternehmen in klinischen Test außerhalb Chinas.
Bislang sind Chinas Pharmaexporte jedoch vor allem von der Ausfuhr von pharmazeutischen Wirkstoffen und Ausgangsstoffen geprägt. Hier steht es weltweit mit einem Anteil von knapp 40 Prozent im Jahr 2023 laut der China Chamber of Commerce for Import and Export of Medicines and Health Products an der Spitze.
Viele Länder sind damit direkt oder indirekt von Chinas Pharmalieferungen abhängig. Dies brachte die Coronapandemie auch für Deutschland deutlich zu Tage. Künftig sollen nun alternative Lieferanten aufgebaut werden. Dies bedarf Zeit, denn pharmazeutische Herstellung muss qualitative Standards einhalten und preislich wettbewerbsfähig sein.
Export rückläufig, Import legt zu
Während Chinas Arzneimittelexporte (HS 30) 2023 erneut um knapp 20 Prozent zurückgingen, legten die Importe weiter um 8 Prozent zu. Die Medikamenteneinfuhr aus Deutschland konnte damit jedoch nicht Schritt halten, der Importmarktanteil fiel.
Land | 2022 | 2023 | Veränderung |
---|---|---|---|
Deutschland | 7.811 | 7.910 | 1,3 |
Irland | 6.171 | 7.841 | 27,1 |
USA | 6.074 | 5.676 | -6,5 |
Frankreich | 3.055 | 3.270 | 7,0 |
Schweiz | 2.622 | 2.969 | 13,3 |
Italien | 2.464 | 2.772 | 12,5 |
Schweden | 1.368 | 1.851 | 35,3 |
Japan | 1.524 | 1.632 | 7,1 |
Chinas Gesundheitsmarkt mit Importprodukten zu beliefern, wird durch die "buy-local"-Vorgaben, aufgrund langer Lieferzeiten und höherer Kosten schwieriger. Einige internationale Pharmahersteller mit dem Ziel "in China for China" setzen daher weiterhin auf Produktion vor Ort, wobei unterschiedliche Risikoszenarien zu berücksichtigen sind.