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Wasserstoff für Deutschland
Um den zukünftigen Bedarf an grünem Wasserstoff decken zu können, setzt Deutschland auf Importe. Wie das gelingen kann, zeigt die European Hydrogen Backbone Initiative.
02.05.2024
Von Michaela Balis, Niklas Becker, Oliver Döhne, Charlotte Hoffmann, Oliver Idem, Marc Lehnfeld, Dominik Vorhölter | Athen, Belgrad, Bonn, Helsinki, London, Madrid
Wasserstoff marsch – aber woher? Deutschland braucht bis 2030 rund 95 bis 130 Terawattstunden des Energieträgers, schätzt das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Nur etwa ein Drittel des Bedarfs soll durch die heimische Produktion gedeckt werden, heißt es in der Wasserstoffstrategie des Bundes, die im Sommer 2023 vorgestellt wurde. Damit wird das Land den weitaus größten Teil aus dem Ausland beziehen.
Die konkrete deutsche Importstrategie lässt noch auf sich warten. Klar ist jedoch: Die EU und ihre Anrainerstaaten werden wichtige Lieferanten. Das zeigen verschiedene Wasserstoffabkommen, die das BMWK beispielsweise mit Norwegen, Dänemark, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden geschlossen hat. Gelingen soll der Import von Wasserstoff mithilfe eines europäischen Pipelinenetzes. Dafür macht sich unter anderem die European Hydrogen Backbone (EHB) Initiative stark.
Alleine im Nord- und Ostseeraum könnte bis 2030 ein Angebotsüberschuss von 116 Terrawattstunden im Jahr entstehen – der unter anderem nach Deutschland exportiert werden kann. Klar ist aber auch, dass nicht alle Länder, wie beispielsweise Finnland und Frankreich, reine Export- oder Transitländer werden wollen.
European Hydrogen Backbone Initiative
Die European Hydrogen Backbone Initiative (EHB) ist ein Vorhaben zur Schaffung eines grenzüberschreitenden Wasserstoffnetzwerks in Europa. Zu der Initiative haben sich 33 europäische Fernleitungsbetreiber aus 28 Ländern zusammengeschlossen. Die EHB hat fünf Korridore ("A" bis "E") ausgemacht, über die der Wasserstoff in Länder mit einem Energieimportbedarf in Zentraleuropa – beispielsweise Deutschland – transportiert werden soll. Ende November 2023 aktualisierte die EHB ihre H2-Roadmap, die rund 40 Projekte mit einer Gesamtlänge von über 30.000 Kilometern umfasst.
Die Entwicklung des europäischen Wasserstoffnetzes ist angelaufen. Der niederländische Gasversorger Gasunie ist das erste Unternehmen, das hier bereits eine konkrete Investitionsentscheidung getroffen hat und diese jetzt umsetzt. Der Versorger ist dabei, ein erstes Teilstück des Hydrogen Network Nederlands zu bauen: Bis 2025 soll der Rotterdamer Hafen mit der Shell-Raffinerie in Pernis, einem Dorf im Stadtgebiet von Rotterdam, verbunden sein. Bis 2030 soll die Pipeline dann das niederländische Wasserstoffnetz mit Deutschland verbinden.
Ambitionierter Zeitplan für europäisches Wasserstoffnetzwerk
Die niederländische Initiative ist jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn zwar entwickeln sich derzeit eine Reihe von europäischen Wasserstoffpipelines, konkrete Investitionsentscheidungen wie bei Gasunie gibt es jedoch nur sehr wenige. Und die Zeit drängt, denn bis 2030 soll das Pipelinenetz für den Transport von Wasserstoff in ganz Europa zur Verfügung stehen. Dafür müssen neue Leitungen gebaut und bestehende Gasleitungen umgerüstet werden.
Das 2030-Ziel der Initiative ist daher sehr ambitioniert. Das zeigt auch ihr Projektplan. So sollen von den insgesamt geplanten 30.000 Kilometern knapp zwei Drittel der Pipelines erst im Jahr 2030 fertiggestellt werden. Also gerade noch rechtzeitig, um im Zeitplan zu bleiben. Einen Puffer für Verzögerungen im Projektablauf gibt es also nicht. Denn laut dem RePowerEU-Plan der Europäischen Kommission sollen ab 2030 jährlich 20 Millionen Tonnen Wasserstoff durch Europa fließen.
Projektstatus könnte Initiative beschleunigen
Helfen bei der Zielerreichung sollen EU-spezifische Label, wie beispielsweise Projects of Common Interest (PCI) und Important Projects of Common European Interests (IPCEI). Projekte profitieren dann von vereinfachten Genehmigungsverfahren und Zugang zu Fördermitteln (siehe Interview). Auch einige der EHB-Projekte haben mittlerweile den PCI-Status. Die aktuelle Liste der PCI-Projekte wurde am 8. April 2024 veröffentlicht.
"Die EU versucht nun, den regulatorischen Rahmen für Wasserstoff zu schaffen."
Jana Nysten, Juristin bei der Stiftung Umweltenergierecht | © _Manuel Reger 2019Jana Nysten ist Juristin und wissenschaftliche Referentin bei der Stiftung Umweltenergierecht. In verschiedenen Projekten arbeitet sie vor allem zu europa- und energierechtlichen Fragestellungen des Ausbaus erneuerbarer Energien und deren Integration in den europäischen Strommarkt.
Wie unterscheiden sich die EU-Förderlabel Projects of Common Interest (PCI) und Important Projects auf Common European Interest (IPCEI)?
Der PCI-Status betrifft vor allem die Planung transnationaler Projekte und zielt darauf ab, deren Genehmigungsverfahren zu vereinfachen. IPCEI hingegen bezieht sich auf die beihilferechtliche Seite und betrifft die finanzielle Förderung durch die Mitgliedstaaten. Wichtig für die Praxis: Ein Projekt kann den Status PCI und IPCEI erhalten.
Einige Projekte der EHB-Initiative haben den PCI-Status erhalten. Wer entscheidet darüber, ob ein Projekt diesen Status bekommt?
Die PCI werden durch die Mitgliedstaaten vorgeschlagen, wobei die Bedürfnisse für die Netzentwicklung durch die Netzbetreiber in ihren Ten Year Network Development Plans analysiert und bestimmt werden. In der Praxis kann das zu Spannungen zwischen der Entwicklung des EU-weiten Energienetzes und nationalen Eigeninteressen führen, da nicht alle national präferierten Projekte ohne Weiteres im Einklang mit EU-Zielen sind. Schlussendlich muss auch das EU-Parlament die Liste der PCI bestätigen. Erst im Februar 2024 hat das Parlament einen Vorschlag zurückgewiesen.
Die EU hat die Rolle von Wasserstoff im Jahr 2023 veröffentlichen Net Zero Industry Act (NZIA) noch nicht definiert. Was ist zu erwarten?
Die EU-Kommission hat sich mit ihrer Wasserstoffstrategie klar positioniert: Bis 2030 soll ein Markthochlauf für Wasserstoff erreicht werden. Mit der RePowerEU-Kommunikation wurde dies noch mal bestärkt. Mit den Reformen im Rahmen des Gas-Wasserstoff-Pakets, auf die man sich vor Weihnachten geeinigt hat, aber auch mit dem NZIA, versucht man jetzt den regulatorischen Rahmen zu schaffen, in dem Wasserstoff einen wichtigen Teil zur Dekarbonisierung betragen kann – insbesondere auch für die Industrie.
Entwicklung der Wasserstoffkorridore
Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit die Umsetzung des europäischen Wasserstoffpipelinenetzes vorankommen. Klar ist aber, dass sich für deutsche Unternehmen an verschiedenen Stellen Beteiligungsmöglichkeiten ergeben. Und das nicht nur beim Aufbau des Netzes. So müssen in den Regionen zum Teil zunächst die erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden. Damit verbunden sind Investitionen in die Stromnetze. Germany Trade & Invest (GTAI) stellt die unterschiedlichen Entwicklungen und die damit einhergehenden Möglichkeiten in den fünf Korridoren konkret vor.
Korridor A: Nordafrika und Südeuropa
Italien könnte ein wichtiges Transitland für Wasserstoff aus Algerien und Tunesien auf dem Weg nach Österreich und Deutschland sein. Gleichzeitig könnte die italienische Industrie auch selbst Abnehmer werden. Für den Transit durch Italien wird die "SouthH2 Pipeline" geplant. Für rund drei Viertel dieser Pipeline können bestehende Gasleitungen genutzt werden. Einige Neubauten sind zwischen Ferrara und der österreichischen Grenze sowie für Anschlussstücke zu wichtigen Abnehmern in Italien geplant. Die zweite, längerfristig geplante Trasse soll über den Griespass in die Schweiz nach Deutschland und Frankreich führen. Auch die Schweiz will Teil der europäischen Wasserstoffinfrastruktur sein. Netzbetreiber Fluxswiss bemüht sich, dass auch die Rekonvertierung, also die Umwandlung von Gas- in Wasserstoffpipelines, von der EU gefördert wird.
Korridor B: Südwesteuropa und Nordafrika
Kern der grünen Wasserstoffleitung des B-Korridors nach Deutschland ist die Pipeline H2med, deren Verlauf vom spanischen Barcelona durch das Mittelmeer nach Marseille in Frankreich geplant ist. Der erste Schritt für das 2,5 Milliarden Euro teure Vorhaben sind technische Studien. Mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung haben Spanien und Portugal günstige Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff. In Spanien stammt rund 50 Prozent des Stroms aus regenerativen Quellen. Portugal kam im Januar und Februar 2024 auf dem Festland sogar auf rund 82 Prozent Ökostrom. Als größerer Markt dürfte Spanien aber stärker von Skaleneffekten profitieren. In beiden Ländern besteht Interesse daran, sowohl inländische als auch ausländische Kunden mit grünem Wasserstoff zu versorgen.
Korridor C: Nordsee
Der Nordseeraum wird zu Europas größter Quelle für Wasserstoff. Die EHB-Initiative rechnet dort bis 2030 bereits mit einem Wasserstoffüberschussangebot von 70 Terrawattstunden im Jahr – soviel wie nirgendwo sonst. Zu den Großerzeugern zählen das Vereinigte Königreich, Norwegen und Dänemark. Diese Länder haben bereits Wasserstoffkooperationsabkommen mit der Bundesrepublik unterzeichnet. Dänemark setzt auf eine Onshore-Pipeline, Norwegen und Schottland hingegen auf Offshore-Verbindungen durch die Nordsee. Mit dem deutsch-belgischen AquaDuctus-Projekt entsteht nicht nur ein Verbundnetz, sondern auch ihr Anschluss an die deutsche Küste.
Korridor D: Nordische und baltische Regionen
Derzeit werden zwei große Pipeline-Projekte für den Wasserstoffexport aus dem Baltikum und Finnland nach Deutschland geplant. Beide Rohrleitungen müssen neu gebaut werden und sollen 2030 in Betrieb gehen. Gerade im Baltikum fehlen noch Kapazitäten für erneuerbare Energien, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Finnland ist beim Thema Wasserstoff bereits weiter als die drei baltischen Länder. Im Februar 2024 wurde der erste industrielle Elektrolyseur zur Produktion von Wasserstoff im Land installiert – geliefert vom Dresdener Unternehmen Sunfire. Finnland will keine reine Exportnation von Wasserstoff werden. Das schließe aber den "reichlichen Export von Wasserstoff – beispielsweise an die deutsche Industrie" explizit nicht aus, so das finnische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft.
Korridor E: Ost- und Südosteuropa
Der Planungshorizont für Korridor E im Südosten Europas ist langfristiger. Als einziger der fünf Stränge soll der E-Korridor 2030 noch einen Nachfrageüberhang von 7 Terrawattstunden verzeichnen. In den Jahren bis 2040 soll sich dann das Lieferpotenzial in Richtung Norden entfalten. Damit dürften sich schrittweise mehr Geschäftschancen ergeben, etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien und den Aufbau von Kapazitäten zur Produktion von grünem Wasserstoff. In Griechenland ist früher mit Dynamik zu rechnen als in Rumänien und Bulgarien. Alle drei Länder haben jedoch gemeinsam, dass sie aufgrund ihrer geografischen Lage für das Backbone-Projekt interessant sind. Sie können eine Brücke zwischen Zentraleuropa und der Türkei, dem Nahen Osten und Zentralasien bilden.
Projektname | Korridor | Projektstatus |
---|---|---|
SoutH2 | Nordafrika und Südeuropa (A) | Vorstudie |
SunsHyne | Nordafrika und Südeuropa (A) | Vorstudie |
H2Med/BarMar | Südwesteuropa und Nordafrika (B) | Vorstudie/Machbarkeitsstudie |
HY-FEN | Südwesteuropa und Nordafrika (B) | Vorstudie |
AquaDuctus | Nordsee (C) | Machbarkeitsstudie/Pre-FEED-Phase |
National Hydrogen Backbone Netherlands | Nordsee (C) | Endgültige Investitionsentscheidung getroffen |
Danish-German Hydrogen Network (Hyperlink III; Danish Backbone West) | Nordsee (C) | Machbarkeitsstudie/Pre-FEED-Phase |
Baltic Sea Hydrogen Collector | Nordische und baltische Regionen (D) | Vorstudie |
Nordic-Baltic Hydrogen Corridor | Nordische und baltische Regionen (D) | Vorstudie |
The Nordic Hydrogen Route - Bothnian Bay | Nordische und baltische Regionen (D) | Vorstudie |