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Niederlande investieren massiv in Wasserstoff
Die Niederlande bauen bis 2030 Kapazitäten von bis zu 4 Gigawatt für klimaneutralen Wasserstoff auf. Das entspricht einem Zehntel aller Vorhaben in der Europäischen Union (EU).
02.08.2023
Von Torsten Pauly | Berlin
- Nationales Wasserstoffprogramm
- Anlagen gewinnen schnell an Rentabilität
- Gute Voraussetzungen für ein dichtes Leitungsnetz
- Wasserstoffpipelines nach Deutschland sind in Planung
- Großprojekte in Rotterdam, Zeeland, Amsterdam und an der Ems
- Strukturwandel in der Provinz Groningen
- Fossiler Fußabdruck ist noch sehr groß
Wasserstoff spielt für die Regierung im fossilfreien Umbau des Energiemix eine zentrale Rolle. Dabei sollen die Niederlande auch Deutschland und andere kontinentale EU-Märkte beliefern - dank einer umfangreichen Erzeugung und neuen Hafenterminals für den Import aus Übersee. Nicht zuletzt wollen niederländische Ausrüster einen technologischen Vorsprung auf dem Weltmarkt erlangen.
Nationales Wasserstoffprogramm
Im Jahr 2020 hat die niederländische Regierung ihre Wasserstoffstrategie vorgelegt. Zu deren Umsetzung ist im Juli 2021 das Nationale Wasserstoffprogramm an den Start gegangen. Dazu wurde auch eine branchenübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet. Dieser gehören Forschungsinstitutionen wie das renommierte TNO ebenso an wie Unternehmen, Verbände für Chemie, Technologie und Kfz sowie die öffentlichen Betreiber des Gas- und Stromnetzes und Hafengesellschaften. Einen Überblick über Initiativen und Akteure bietet ein Onlineportal.
Die Arbeitsgruppe des Nationalen Wasserstoffprogramms hat Ende 2022 eine Roadmap zum Wasserstoff herausgebracht. Diese behandelt den Ausbau der Erzeugung, Lagerung, Übertragung und Verteilung sowie die Nutzung bis 2030. Demnach sollen 2025 zunächst Elektrolysekapazitäten von 600 Megawatt entstehen.
Anlagen gewinnen schnell an Rentabilität
Die nötigen Investitionen zur Elektrolyse von grünem Wasserstoff dürften laut niederländischer Regierung deutlich sinken. So soll die Einrichtung von einem Megawatt Leistung 2030 etwa 350.000 Euro kosten - das kommt einer Reduzierung um zwei Drittel innerhalb eines Jahrzehnts gleich. Gründe sind der technologische Fortschritt und Skaleneffekte für die Hersteller. Der Preis für 1 Kilogramm Wasserstoff soll 2030 bei 2 Euro liegen und sich bis 2050 auf 1 Euro halbieren.
Der grüne Wasserstoff soll vor allem mit Strom aus Nordseewindparks erzeugt werden, zumindest in den ersten Jahren aber auch unter Verwendung von Erdgas. Um einen Ausstoß von Kohlendioxid zu vermeiden, wird dieses dann abgeschieden und gespeichert. Dieses CCS (Carbon Capture Storage) genannte Verfahren wird in den Niederlanden ebenfalls massiv ausgebaut.
Gute Voraussetzungen für ein dichtes Leitungsnetz
Die Niederlande haben ihre Erdgasvorkommen jahrzehntelang intensiv zur eigenen Energieversorgung genutzt. Daher gibt es ein sehr dichtes Gasleitungsnetz von 136.000 Kilometern Länge. Dieses lässt sich auch zum Transport von Wasserstoff nutzen, wenn die Niederlande aus der Gasverfeuerung aussteigen und jedes Jahr 200.000 Haushalte vom Netz nehmen.
Die öffentliche Gasnetzgesellschaft Gasunie wird daher eine zentrale Rolle beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur spielen. Bis 2027 will Gasunie 1,5 Milliarden Euro ausgeben, um zunächst 12.000 Kilometer Pipelines einzurichten. Diese sollen zu 85 Prozent aus umgerüsteten Gas- und zu 15 Prozent aus neu zu verlegenden Leitungen bestehen.
Wasserstoffpipelines nach Deutschland sind in Planung
Der sogenannte Delta Corridor soll mit vier Röhren von Rotterdam an Rhein und Ruhr führen und eine Abzweigung ins niederländische Limburg haben. Dadurch kann grüner Wasserstoff nach Osten und Kohlendioxid in umgekehrter Richtung zur Speicherung unter die Nordsee gelangen. Beteiligen wollen sich RWE, thyssenkrupp und HeidelbergCement. Da aber noch Verhandlungen laufen, erscheint eine Inbetriebnahme 2026 als ambitioniert.
Gasunie verfolgt das Projekt Hyper Link. Dieses soll von der niederländischen Grenze nach Niedersachsen verlaufen und die Großräume Bremen, Hamburg und Hannover-Salzgitter mit Wasserstoff versorgen. Auch ein Ausbau zur dänischen Grenze ist vorgesehen.
Großprojekte in Rotterdam, Zeeland, Amsterdam und an der Ems
Ende 2022 hat die niederländische Regierung Fördermittel von insgesamt 785 Millionen Euro für acht Vorhaben zur Wasserstoffproduktion zugesagt. Alle Projekte haben von der EU einen IPCEI-Status von gesamteuropäischem Interesse (Important Project of Common European Interest) erhalten. Die Hälfte dieser Planungen entfällt auf Rotterdam mit Europas größtem Hafen. Weitere Standorte sind der Großraum Amsterdam mit dem dortigen Tata-Stahlwerk, die zeeländischen Orte Terneuzen und Sluiskil sowie Eemshaven an der Emsmündung.
Projektname, Ort | Kapazität (in Megawatt) | Projektstand | Investor |
---|---|---|---|
HyNetherlands, Eemshaven | 850 | Planung | Engie, OCI, EEW |
H2 Maasvlakte, Rotterdam | 500 | Planung | Uniper |
H2-Fifty, Rotterdam | 250 | Planung | BP, HyCC |
CurtHyl, Rotterdam | 200 | Planung | Vattenfall, Air Liquide |
ELYgator, Terneuzen | 200 | Planung | Air Liquide |
Holland Hydrogen 1, Rotterdam | 200 | Planung | Shell |
H2ermes, Ijmuiden bei Amsterdam | 100 | Planung | Tata Steel, HyCC |
Haddock, Sluiskil | 100 | Planung | Orsted, Yara |
Strukturwandel in der Provinz Groningen
Das mit 850 Megawatt größte Projekt HyNetherlands befindet sich in der Provinz Groningen. Dieses Gebiet soll neben Rotterdam zum Zentrum der niederländischen Wasserstoffwirtschaft werden. Die Provinz Groningen selber rechnet in einer Planung von 2020 mit Wasserstoffinvestitionen von 9 Milliarden Euro bis 2030. In der Gegend existiert bereits ein Branchencluster, das Energy Valley Heavenn.
Die im Nordosten der Niederlande gelegene Provinz Groningen umfasst westfriesische Inseln und deren Hinterland. Sie ist sehr windig und eignet sich hervorragend zur Stromerzeugung aus Windkraft. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Gebiet zum Zentrum der niederländischen Gasförderung entwickelt. Deren geplante Einstellung entzieht vielen Betrieben die Geschäftsgrundlage und gefährdet viele Arbeitsplätze. Dies soll der Aufbau einer Wasserstoffindustrie kompensieren. Die Niederlande erhalten hierfür auch EU-Fördergelder aus dem Just Transition Fund in Höhe von 623 Millionen Euro.
Die intensive Gasförderung hat in der Provinz Groningen auch schädliche Nebenwirkungen, insbesondere Erdbeben: In den letzten knapp vier Jahrzehnten hat es dort fast 1.200 seismologische Verwerfungen von meist geringer Stärke gegeben.
Fossiler Fußabdruck ist noch sehr groß
Die Niederlande müssen starke Anstrengungen zur Klimaneutralität unternehmen. Etwa 26 Prozent der Landfläche befinden sich unter dem Meeresspiegel. Gleichzeitig hatten die Niederlande laut europäischem Statistikamt Eurostat 2021 EU-weit den sechsthöchsten Endenergieverbrauch pro Kopf. Beim Ausstoß von Treibhausgasen lag ein niederländischer Einwohner 2020 im EU-Vergleich sogar an vierter Stelle. Noch 2021 hatten Erdgas- und -öl zusammen 78 Prozent des Energieaufkommens ausgemacht.