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Versicherer beklagen mehr Schäden durch Wetterextreme in Kanada
Überflutungen, Stürme und Brände haben die Versicherungsprämien hochschnellen lassen, auch deutsche Anbieter sind betroffen. Zudem wird der Rückversicherungsmarkt schwieriger.
27.09.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Als Versicherungsfachleute im August 2024 die westkanadische Berggemeinde Jasper besichtigten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens: Ein Drittel der Gebäude war wegen der Waldbrände beschädigt oder zerstört. Laut Catastrophe Indices and Quantification (CatIQ), einer Tochtergesellschaft des auf Versicherungsdaten spezialisierten Schweizer Dienstleisters Perils, summiert sich der versicherte Schaden in Jasper auf fast 650 Millionen US-Dollar (US$).
Klimawandel trifft Versicherungsbranche hart
Kanadas Unfall- und Schadenversicherer kämpfen seit einigen Jahren mit vielen Herausforderungen, der Klimawandel ist die größte. Fast zeitgleich zu den Waldbränden im Jasper-Nationalpark verursachte ein Hagelsturm in Calgary, ebenfalls Provinz Alberta, Schäden in Milliardenhöhe. Im Osten Kanadas gab es schwere Überschwemmungen.
Intact Financial rechnet im Zuge der jüngsten Klimakatastrophen im Jahr 2024 mit einem Verlust von 660 Millionen US$. Das kanadische Unternehmen hat etwa 700 Familien und Firmen in der Region Jasper versichert. Die Versicherungssparte von TD, Kanadas zweitgrößter Bank, schätzt die Kosten für das eigene Unternehmen durch die Extremwetterereignisse im Juli und August 2024 auf insgesamt knapp 360 Millionen US$.
Schäden meistens durch Fluten und Hochwasser
Der Trend ist eindeutig: So hat sich die Anzahl der Schadenfälle durch Extremwetterereignisse in Kanada in den letzten zehn Jahren auf über 1,3 Millionen erhöht –ein Anstieg von 90 Prozent gegenüber der vorangegangenen Dekade. Dies geht aus Zahlen von IBC, dem Verband der privaten Eigentums- und Unfallversicherungen Kanadas, hervor.
Die durch solche Ereignisse verursachten Versicherungsfälle übersteigen seit einigen Jahren regelmäßig 2 Milliarden US$. Meist handelt es sich um Wasserschäden. Rund 35 Hochwasser- und Flutkatastrophen waren in den letzten zehn Jahren so heftig, dass sie eine Schadensumme von jeweils mehr als 22 Millionen US$ nach sich zogen.
Großereignis *) | Zeitraum | Schaden |
---|---|---|
Kälteeinbruch an der Ostküste | 3. bis 5. Februar | 90 |
Eisstürme in Ontario und Québec | 5. bis 6. April | 245 |
Waldbrände in Nova Scotia | 28. Mai bis 6. Juni | 120 |
Sommergewitter in Alberta, Manitoba und Saskatchewan | 18. Juni bis 26. Juli | 220 |
Sommergewitter in Ontario | 20. Juli bis 25. August | 250 |
Überflutungen in Nova Scotia | 23. Juli | 125 |
Waldbrände in den Nordwest-Territorien | 13. August bis 16. September | 45 |
Waldbrände in British Columbia | 15. August bis 25. September | 530 |
Hagelsturm in Winnipeg, Manitoba | 24. August | 105 |
Davon sind auch deutsche Versicherer betroffen: Denn Allianz und Talanx (HDI Global) bieten in Kanada Schaden- und Unfallversicherungen an. Munich Re und Hannover Re offerieren Rückversicherungen für Klimaschäden, teilweise in Kooperation mit lokalen Branchenanbietern.
Versicherungsschutz teurer und nicht überall verfügbar
Hausrat- und Rückversicherungsprämien sind durch vermehrte Wetter- und Unwetterschäden in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Laut dem Versicherungsvergleichsportal MyChoice waren Hausratverträge in Kanada zu Beginn des Jahres 2024 im Schnitt fast 8 Prozent teurer als Anfang 2023. Besonders heftig waren die Preisanstiege in Saskatchewan (12 Prozent) und Manitoba (11 Prozent).
Neben der steigenden Schadenhäufigkeit liegt das auch an höheren Wiederbeschaffungskosten: Die Preise für Werkstoffe wie Beton und Holz, aber auch für Haushaltsgegenstände sowie für den Faktor Arbeit sind in den letzten Jahren nach oben geklettert.
Höhere Wiederbeschaffungswerte führten dazu, dass die Erneuerungsraten für Rückversicherungen 2023 in vielen Fällen um 25 bis 70 Prozent höher ausfielen als im Vorjahr. Das berichtet das Fachmagazin "Canadian Underwriter". Rückversicherungsschutz für Katastrophenschäden wird in Kanada in der Regel jährlich erneuert, oft Anfang Januar.
Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit schätzt, dass etwa 90 Prozent der durchschnittlichen jährlichen Hochwasserschäden in den 10 Prozent der Häuser entstehen, die am stärksten gefährdet sind. Das Gros dieser rund 1,5 Millionen Gebäude ist nicht gegen Überschwemmungen versichert. Denn die Gesellschaften bieten in Hochrisikogebieten nur selten Schutz vor Überflutung an. Betroffene Haushalte stehen somit zusätzlich vor dem Problem, dass sie erst gar keine Versicherungspolice abschließen können – und falls doch, sehr hohe Prämien zahlen müssen.
Bundesregierung plant kostengünstige Hochwasserversicherung
Die Regierung in Ottawa kündigte daher ein Rückversicherungsprogramm für Hochwasser und einen separaten Versicherungsschutz für Haushalte mit hohem Überschwemmungsrisiko an. Dafür soll eine Tochtergesellschaft der Canada Mortgage and Housing Corporation gegründet werden. Ziel ist, diese Vorhaben bis 2025 umzusetzen.
Trotz vermehrter Wetterschäden lag die Schadenquote Canadian Underwriter zufolge bis 2022 nicht über 80 Prozent. Die Quote bemisst das Verhältnis der Kosten, die Versicherern für die Begleichung von Schäden entstehen, im Vergleich zu den Einnahmen durch Versicherungsprämien. Die Gewinne waren für die Branche insgesamt bis dahin also immer noch leicht positiv.
Sachverständige dringend gesucht
Zudem sieht sich die Branche mit einem Mangel an Fachkräften konfrontiert. Denn angesichts der Vielzahl von Fällen wird der Bestand an firmeneigenen Sachverständigen zur Beurteilung und Regulierung der Schäden knapp. Verschärft wird die Situation dadurch, dass viele Spezialisten bald in den Ruhestand gehen.
Unabhängige Sachverständige können den Bedarf nicht unmittelbar decken. Da sie in Kanada auf Provinzebene zugelassen werden, können sie nicht sofort in andere Teile des Landes umziehen, um dort Schäden zu beurteilen. Einige private Firmen wie ClaimsPro, die Katastrophenschadenfälle abwickeln, suchen daher vornehmlich auf Hochschuljobmessen potenzielle Mitarbeiter, die bereit sind zu reisen und sich auch einer erneuten Zulassungsprozedur zu unterziehen.
Laut einem Bericht der kanadischen Bundesregierung aus dem Jahr 2019 erwärmt sich das nordamerikanische Land doppelt so schnell wie andere Weltregionen. Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 gab es in Kanada bereits mehr als 4.800 Waldbrände. Auch im Vorjahr verursachte heißes, trockenes Wetter in Alberta, British Columbia und den Nordwest-Territorien hohe Brandschäden. Ontario, Québec und die Atlantikprovinzen indes wurden von Eisstürmen und Kälteeinbrüchen heimgesucht.