Special | Lateinamerika | Seidenstraße
Chinas wachsender Fußabdruck in Lateinamerika
Die Volksrepublik verstärkt ihre Präsenz in der Region. Dabei geht es nicht nur um Handel und Investitionen, sondern zunehmend um geostrategische Interessen. (Stand: 06.09.2024)
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Im Fokus des chinesischen Engagements in Lateinamerika steht traditionell die Sicherung der Nahrungsmittel- und Rohstoffversorgung – etwa mit Rindfleisch und Soja oder Kupfer und Eisen. Neuerdings gefragt sind Materialien, die für die Energiewende gebraucht werden. Hierzu zählen Lithium aus dem Lithiumdreieck Chile, Argentinien und Bolivien, Balsa-Holz aus Ecuador zur Herstellung von Rotorblättern für Windräder sowie Bauxit zur Gewinnung von Aluminium aus Jamaika.
Chinas Investoren weiten Aktivitäten aus, wenn auch zuletzt weniger dynamisch
Noch immer sind die USA und Europa die größten Investoren der Region. Auch investierte China 2023 deutlich weniger als in den Vorjahren, was vor allem der abgeschwächten Konjunktur im Reich der Mitte geschuldet ist. Dessen ungeachtet flossen laut Red Académica de América Latina y Caribe sobre China seit dem Jahr 2000 rund 193 Milliarden US-Dollar (US$) an chinesischen Direktinvestitionen in die Region.
Jahr | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 *) |
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Investitionssumme | 19.231 | 9.277 | 12.706 | 15.401 | 8.748 |
Anteil an den Direktinvestitionen insgesamt in der Region | 12,2 | 10,3 | 9,2 | 7,4 | 4,1 |
Damit sind chinesische Unternehmen aus Lateinamerika nicht mehr wegzudenken. Sie interessieren sich nicht nur für Branchen, die für sie strategisch wichtig sind, sondern differenzieren sich gezielt nach oben und unten in der Wertschöpfungskette. Dabei geht es vor allem um den Zugang zur Infrastruktur, die für den Transport von Rohstoffen nach China wichtig ist.
Im Fokus: Minen, Energie und Verkehr
Rund zwei Drittel aller Investitionen verteilen sich auf die Bereiche Energie sowie Rohstoffe und Bergbau. Hinzu kommt der Bereich Infrastruktur. Je größer in einem Land die Lücke zwischen notwendigen Infrastrukturprojekten und ihrer Realisierung ist, desto willkommener sind Investitionen aus der Volksrepublik.
- In Peru steht die Eröffnung des Tiefwasserhafens Chancay im November 2024 vor der Tür. Nach Informationen des The Economist hat der chinesische Hafenbetreiber Cosco Shipping Ports mit seinen lokalen Partnern bisher rund 1,3 Milliarden US$ investiert. Chancay soll der wichtigste Pazifikhafen Südamerikas werden und eine logistische Schlüsselrolle für die Seidenstraße in der Region spielen. Insbesondere verkürzt er den Transportweg nach Brasilien, der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas.
- Noch Zukunftsmusik ist dagegen eine Zugverbindung zwischen Brasilien, Peru und Bolivien. Der Tren Bioceánico soll Pazifik und Atlantik verbinden. Das auf 7,5 Milliarden US$ geschätzte Vorhaben soll mit 3,5 Milliarden US$ von chinesischer Seite finanziert werden. Derzeit laufen die Verhandlungen.
Auch im Automobilsektor findet sich chinesisches Engagement. Zum neuen Entscheidungsfaktor, speziell in Mexiko, könnten sich die wachsenden Spannungen zwischen China und den USA entwickeln, mit der Tendenz des Decoupling beziehungsweise der starken Priorisierung nationaler Sicherheit.
Sektor | Höhe der akkumulierten Investitionen | Anteil |
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Energie | 96,2 | 58,3 |
darunter Öl | 35,1 | 21,3 |
Bergbau, Rohstoffe | 38,3 | 23,2 |
darunter Kupfer | 15,6 | 9,4 |
Transport | 14,8 | 9,0 |
Landwirtschaft | 4,3 | 2,6 |
Sonstige | 11,4 | 6,9 |
Gesamt | 165,0 | 100,0 |
Peking flankiert diplomatisch und finanziell
Die chinesische Regierung flankiert die Aktivitäten mit ihrer Seidenstraßeninitiative oder dem Abschluss von Freihandelsabkommen. Seit 2018 hat China mit 21 Staaten aus Lateinamerika und der Karibik eine Absichtserklärung über den Beitritt zur neuen Seidenstraßeninitiative unterschrieben, zuletzt mit Argentinien 2022. Darüber hinaus unterhält das Land mit Chile, Peru und Costa Rica Freihandelsabkommen; das Abkommen mit Ecuador wartet auf seine Ratifizierung. Mit Panama, Honduras und El Salvador laufen Verhandlungen. Zu Spannungen innerhalb des Wirtschaftsraums Mercosur führte das Vorpreschen Uruguays, das im Juli 2022 offizielle Gespräche zu einem eigenen Freihandelsabkommen einleitete.
Außerdem stellt Peking über das staatliche Bankensystem Kredite bereit. So finanziert die China Development Bank chinesische Unternehmen, die sich an Projekten für Energie, Straßen, Telekommunikation oder Häfen beteiligen; die EXIM Bank of China macht zinsvergünstigte Kredite für Entwicklungshilfe und Exportkredite verfügbar.
Daneben gibt es bilaterale Kreditvereinbarungen mit einzelnen Ländern, allen voran mit Ecuador und Argentinien. Im Juni 2024 verlängerte China mit Argentinien die aktive Tranche einer Währungsswap-Linie von umgerechnet 5 Milliarden US$ bis Juli 2026. Insgesamt geht es um 18 Milliarden US$.
Chinesische Konkurrenz verdrängt traditionelle Anbieter
Für fünf Länder ist die Volksrepublik zum bedeutendsten Handelspartner avanciert: Bolivien, Brasilien, Chile, Panama und Peru. In vielen weiteren hat sie stark an Boden gut gemacht. Dessen ungeachtet ist der Verkauf chinesischer Produkte in die Region aus Sicht der Volksrepublik zwar wachsend, aber von der Bedeutung her überschaubar. Laut Comtrade entfielen 2023 nur 7,2 Prozent des chinesischen Exportvolumens auf den Subkontinent. Mit 9,5 Prozent fallen die Importe etwas stärker ins Gewicht.
Kritiker bemängeln generell, dass China vor allem Rohstoffe und Lebensmittel einkaufe, was wenig für die heimische Wertschöpfung einbringe. In umgekehrter Richtung fächert sich die Palette dagegen auf: Verbraucherinnen und Verbraucher in Lateinamerika tragen nicht nur immer mehr Kleidung oder Schuhe "made in China". Sie freuen sich auch über günstige PCs und Handys von Huawei oder Lenovo, während über die Straßen immer mehr chinesische Autos rollen.
Mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis macht das asiatische Land darüber hinaus nicht nur der lokalen Industrie Konkurrenz, sondern zunehmend auch Anbietern aus Industrieländern. Allen voran betrifft das die USA, deren Importanteil seit 2000 erheblich gesunken ist. Auch deutsche Unternehmen spüren die chinesische Konkurrenz. Diese Entwicklung sei nicht selten auch mangelndem Engagement vor Ort geschuldet, meinen kritische Stimmen in Lateinamerika.