Gigaprojekte in Saudi-Arabien zwischen Vision und Realität

Der saudi-arabische Kronprinz und De-Facto-Herrscher, Mohammed bin Salman, hat seit 2017 zahlreiche Großprojekte initiiert. Mit weiteren Ankündigungen ist zu rechnen. Die zur Realisierung der Projekte genannten gewaltigen Investitionsvolumina basieren auf Kalkulationen mit vielen Unbekannten. Insgesamt wären vermutlich weit über 1 Billion US-Dollar (US$) erforderlich.

Baubranche realisiert milliardenschwere Großprojekte

Die Projektdatenbank MEED Projects veranschlagt den Wert 14 ausgewählter Großprojekte auf 719 Milliarden US$. Seit 2018 wurden Aufträge im Gesamtwert von fast 30 Milliarden US$ vergeben. Allein 2021 und 2022 (Stand: Oktober 2022) kamen Verträge für rund 25 Milliarden US$ zum Abschluss.

Projektbetreiber sind in den meisten Fällen Tochtergesellschaften des staatlichen Public Investment Fund (PIF). Der im In- und Ausland investierende Staatsfonds verfügt über ein geschätztes Vermögen von über 600 Milliarden US$. Das Konzept sieht in der Regel vor, dass letztlich private inländische und ausländische Investoren den Hauptteil der geplanten Vorhaben realisieren.

Der PIF bezeichnet vier Projekte als Gigaprojekte. Neben NEOM, einer futuristischen Vision im bislang kaum besiedelten Nordwesten des Landes, werden das Wohnungsbauprojekt Roshn (90 Milliarden US$), das Red Sea-Luxustourismus-Resort (16 Milliarden US$) sowie der Freizeit- und Vergnügungspark Qiddiya in der Hauptstadtregion (8,8 Milliarden US$) genannt.

NEOM mit vielen Fragezeichen

In einem Gebiet von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns in der Provinz Tabuk sollen für geschätzt 1 Billion US$ drei Großprojekte und mehrere kleinere Vorhaben realisiert werden. Für diese neue Region läuft unter dem Namen "NEOM" (New Future) weltweit eine aufwendige Imagekampagne, die ausländische Investoren anlocken soll.

Die in NEOM geplanten beziehungsweise teilweise schon im Bau befindlichen Großprojekte sind eine futurische Stadt (The Line), eine Industrie- und Hafenzone am Roten Meer (Oxagon) sowie ein Tourismusprojekt in den Bergen (Trojena). Eine Auswertung von MEED Projects ergibt für NEOM ein bereits vergebenes Auftragsvolumen von 14,1 Milliarden US$ (Stand: 21. Oktober 2022). Davon entfallen 0,4 Milliarden US$ auf schon abgeschlossene Baumaßnahmen (Wohngebäude, Infrastruktur, Meerwasserentsalzungsanlage etc.).

Der Fortschritt der meisten NEOM-Projekte ist derzeit kaum zuverlässig zu prognostizieren. Ein Großteil soll bereits bis 2030 umgesetzt sein. Bei The Line wird von einem Zeithorizont bis 2050 gesprochen. Neben Finanzierungs- und Wirtschaftlichkeitsfragen gibt es unter anderem auch hinsichtlich technischer Aspekte erheblichen Klärungsbedarf.

Verträge für grüne Wasserstoffproduktion vergeben

Das größte in NEOM vergebene Projekt ist der im Sommer 2022 mit Indiens Larsen & Toubro geschlossene Vertrag für einen 4 Milliarden US$ teuren Wind- und Solarkomplex. Die Anlage soll die im südlichen Cluster der Oxagon-Zone geplante grüne Wasserstoff- beziehungsweise Ammoniakproduktion (Jahreskapazität: 1,2 Millionen Tonnen Ammoniak) versorgen. Der Windpark wird über eine Kapazität von 1,4 Gigawatt verfügen, die Fotovoltaikanlage über 2,9 Gigawatt. Die Projektfinanzierung ist noch nicht abschließend geklärt, erste Bauarbeiten haben aber schon begonnen.

Ein weiteres geplantes Großprojekt im südlichen Oxagon-Cluster ist ein auf 1 Milliarde US$ kalkuliertes Werk zur Herstellung von Gebäudemodulen (Volumetric Modular Factory). Investor ist Gulf Modular International. Im südlichen Cluster werden auch eine Meerwasserentsalzungsanlage (Kapazität: 0,5 Millionen Kubikmeter/Tag) und ein Datencenter gebaut.

Wichtige geplante Projekte im nördlichen Oxagon-Cluster sind ein vollautomatisierter Hafen und eine Industriezone. Ein Teil der Industriebetriebe soll in einer schwimmenden Zone offshore angesiedelt werden.

Milliardenaufträge für The Line

Zwei für NEOM geschlossene Bauverträge im Wert von 2,8 Milliarden und 1,8 Milliarden US$ beziehen sich auf Tunnelbauarbeiten über etwa 30 Kilometer für die Transport-, Wasser-, und Strominfrastruktur (Backbone Infrastructure) einer ersten Phase des Städtebauprojekts The Line. Der erste Auftrag ging an das chinesisch-spanische Konsortium China State Construction Engineering Corporation/FCC Construction, der zweite an ein südkoreanisches (Samsung/Hyundai). In beiden Fällen ist auch ein lokaler Partner beteiligt.

Nach aktuellem Planungsstand wird The Line 9 Millionen Einwohner beherbergen. Die Stadt soll aus einem in Modulen errichteten, 170 Kilometer langen, 500 Meter hohen und 200 Meter breiten Gebäudekomplex bestehen. Zwischen zwei parallel verlaufenden, außen verspiegelten Gebäudeteilen ist ein Innenraum geplant.

Asiatische Winterspiele 2029 in Trojena

In der Bergregion von NEOM soll ein Wintersportgebiet, Trojena, entstehen. Die Region liegt auf einer Höhe zwischen 1.500 und 2.600 Metern. Schnee gibt es dort allerdings nur selten und dann in der Regel wenig. Dennoch wollen die Planer in den Monaten Dezember bis Februar Wintersport auf (Kunst-)Schnee garantieren.

Im Oktober 2022 hat Saudi-Arabien den Zuschlag zur Durchführung der asiatischen Winterspiele 2029 erhalten. Das Wintersportgebiet soll bereits 2026 fertiggestellt sein. Derzeit wird eine Basis für die Bauarbeiten errichtet.

Tourismusprojekt am Roten Meer weit fortgeschritten

Das mit 16 Milliarden US$ kalkulierte Red Sea Project ist das am weitesten fortgeschrittene Gigaprojekt. Die erste Phase dieses Luxustourismus-Projekts könnte bereits Ende 2023 fertiggestellt sein. Das Gesamtprojekt soll 2030 abgeschlossen werden.

Das Resort wird auf einer Fläche 28.000 Quadratkilometern gebaut. Die meisten Hotels befinden sich in einem Lagunengebiet mit 90 Inseln, davon sollen 15 bebaut werden. Die erste Phase besteht aus 16 Hotels mit 3.000 Zimmern, die sich auf vier Inseln und zwei Standorte im Inland verteilen. Etwa 300 Kilometer nördlich des Red Sea-Projekts wird Amaala gebaut, ein weites Tourismusresort. Auch in NEOM sind mehrere Tourismusprojekte vorgesehen.