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Tschechiens Chemiebranche muss Energieverbrauch senken
Die Auftragsbücher der Chemiebetriebe in Tschechien füllen sich nur langsam. Zudem sorgen die hohen Strom- und Gaspreise für Herausforderungen. Mehr Energieeffizienz ist nötig.
13.12.2023
Von Gerit Schulze | Prag
Markttrends
Die tschechische Chemieindustrie steht weiter unter dem Schock der hohen Energiepreise. Vor Kriegsausbruch in der Ukraine hing Tschechien fast komplett von Erdgaseinfuhren aus Russland ab. Entsprechend groß war der Preissprung für diesen elementaren Rohstoff nach Beginn der Invasion. Besonders energieintensive Produktionslinien wurden eingestellt. Zum Teil konnten die höheren Erzeugerpreise auf die Kunden umgelegt werden.
Das führte 2022 zu einem starken Anstieg der Umsätze. Nach Berechnungen des Ministeriums für Industrie und Handel (MPO) erhöhten sich die Verkaufserlöse der tschechischen Chemieindustrie (NACE-Kategorie 20) nominal um 46 Prozent auf umgerechnet 16,7 Milliarden Euro.
Auftragsbücher füllen sich kaum
Doch an dieses Rekordjahr konnten die Chemiebetriebe 2023 nicht anknüpfen. Von Januar bis September schrumpfte die Produktion laut Statistikbehörde um rund ein Zehntel. Die Umsätze gingen wegen der gesunkenen Preise sogar um ein Fünftel zurück. Auch die Aussichten sind nicht rosig, weil die Auftragsbücher sich kaum füllen. In den ersten drei Quartalen 2023 lag das Wertvolumen der Neuaufträge kalenderbereinigt um etwa 18 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Tschechien befindet sich derzeit in der Rezession. Im Gesamtjahr 2023 wird das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich um 0,5 Prozent geschrumpft sein. Besonders die Bauwirtschaft leidet unter hohen Kreditkosten und einer schwachen Nachfrage. Davon sind viele Zulieferer aus der Chemieindustrie betroffen, unter anderem Dämmstoff-, Farben- und Kunststoffhersteller.
Schwache Nachfrage bei Haushaltschemie
Sehr schwach entwickelt sich der Privatkonsum. Wegen der zweistelligen Inflationsrate verzeichnen die Haushalte reale Einkommensverluste. Das belastet Hersteller von Haushaltschemikalien, Kosmetika und Körperpflegemitteln. Aber 2024 ist wieder mit einer Konjunkturbelebung und steigenden Reallöhnen zu rechnen, die sich positiv auf die Nachfrage nach Chemieprodukten auswirken dürften.
Das betrifft auch eine der wichtigsten Abnehmerbranchen - die Fahrzeugindustrie mit ihrem großen Bedarf an Gummi, Kunststoffen und Lacken. Sie hatte 2022 mit Absatz- und Zulieferproblemen zu kämpfen. Inzwischen sind die Lieferengpässe weitgehend beseitigt. Von Januar bis Oktober 2023 stieg die Automobilproduktion in Tschechien gegenüber der Vorjahresperiode um 16 Prozent. Insgesamt wurden über 1,16 Millionen Fahrzeuge produziert und damit 160.000 mehr als in den ersten zehn Monaten 2022.
Weiterhin sehr gute Ergebnisse liefert die Pharmaindustrie ab. Sie steigerte ihre Produktion von Januar bis September 2023 um 12 Prozent. Die Arzneimittelhersteller profitieren davon, dass die Lagerbestände an wichtigen Medikamenten erhöht werden. Sie verzeichneten aus dem Inland ein Drittel mehr Neuaufträge. Auch die Exporte wachsen. Tschechien will die Eigenversorgung mit Arzneimitteln stärken und mehr ausländische Produzenten gewinnen.
Investitionen in Energieeffizienz
Die hohen Energiepreise zwingen die tschechischen Chemiebetriebe zu hohen Investitionen in effizientere Produktionsanlagen und alternative Energiegewinnung. Dafür stehen den Unternehmen attraktive Fördermittel aus verschiedenen EU-Fonds zur Verfügung. Zu den größten Investoren in der Branche gehört aktuell der polnische Orlen-Konzern. Er rüstet unter anderem eine Raffinerie so um, dass dort auch nichtrussisches Erdöl verarbeitet werden kann. Außerdem will das Unternehmen künftig mehr Kunststoffabfälle verwerten und grünen Wasserstoff produzieren.
Akteur / Projekt | Investitionssumme (in Mio. Euro) *) | Projektstand | Anmerkungen |
---|---|---|---|
Orlen Unipetrol / technische Umrüstung der Raffinerie Litvínov | 206 bis 412 | Investition in den nächsten 3 Jahren | Investition nötig, um Rohöl aus anderen Ländern als Russland verarbeiten zu können |
Orlen Unipetrol / Verwertungsanlage für Kunststoffabfälle in Litvínov | 82 bis 124 | Baubeginn 2025; Fertigstellung 2027 geplant | In den letzten 2 Jahren Piloteinheit getestet |
Spolana / Modernisierung der Schwefelsäureproduktion in Neratovice | 41 | Investition in den nächsten 3 Jahren | Verbesserung der Betriebssicherheit und Senkung des Energieverbrauchs; Auftrag für Nuberg Industries |
Farmak / Ausbau der Produktionshalle für Chemie und Pharma in Olomouc | 8 | Bau bereits 2021 begonnen mit neuen Produktionstechnologien und Labortechnik | Verzögerung der Arbeiten wegen der hohen Preise |
Preol / Anlage zur Verarbeitung von Rapsabfällen und Produktion von Biokohle in Lovosice | k.A. | Umweltverträglichkeitsprüfung wird nicht durchgeführt; Bau und Betriebsstart für 2024 geplant | Preol gehört zum Konzern Agrofert |
Orlen Unipetrol / Produktion von grünem Wasserstoff in Litvínov | k.A. | Baubeginn für Elektrolyseur innerhalb von 2 Jahren geplant; danach 2 Jahren Bauzeit | Förderung aus dem Modernisierungsfonds; Energie für die Produktion kommt aus eigenen PV-Quellen und von externen Lieferanten |
Orlen Unipetrol / Werk für additive Kunststoffkonzentrate in Litvínov | k.A. | Umweltverträglichkeitsprüfung wird nicht durchgeführt; Betrieb für 2027 geplant | Produktion von Kunststoffgranulat und Sandadditiv zur Kunststoffproduktion |
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Nach Angaben des Ministeriums für Industrie und Handel gehörten 2022 zu Tschechiens Chemieindustrie (NACE 20) rund 1.850 Unternehmen. Hinzu kommen etwa 90 Pharmahersteller. Die meisten Betriebe produzieren chemische Grundstoffe, Kunststoffe in Primärformen und Düngemittel. Auf diese Produkte entfallen fast 90 Prozent aller Umsätze der Chemieindustrie. Laut Eurostat hatten 2020 nur 119 tschechische Chemiebetriebe 50 und mehr Beschäftigte.
Das größte Chemieunternehmen in Tschechien ist Unipetrol, das zum polnischen Orlen-Konzern gehört. Es steigerte seine Umsätze 2022 um fast 60 Prozent auf umgerechnet 8 Milliarden Euro. Die Strategie 2030 von Unipetrol sieht vor, in grünen Wasserstoff, Kunststoffrecycling und die Produktion von Biokraftstoffen zu investieren. Bis 2050 will das Unternehmen klimaneutral produzieren. Zu Orlen gehört außerdem Spolana in Neratovice, das Schwefelsäure, Polyvinylchlorid und Caprolactam herstellt. Ebenfalls polnische Eigentümer hat ein weiterer wichtiger Branchenplayer in Tschechien - Synthos in Kralupy nad Vltavou. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Kunststoffe und synthetischen Kautschuk. |
Sonderkonjunktur für Agrarchemie
Wegen der hohen Preissteigerungen und da Lieferungen aus Russland und Belarus entfielen, erlebten besonders die Hersteller von Agrarchemikalien 2022 eine Sonderkonjunktur. Marktführer Agrofert verdoppelte seinen Gewinn. Der Konzern gab im Sommer 2023 außerdem bekannt, das Stickstoffgeschäft der österreichischen Borealis AG übernommen zu haben.
Getrennt hat sich Agrofert 2023 von seiner Beteiligung am Chemieunternehmen Synthesia. Der Spezialchemiehersteller wurde von der Prager Investitionsgruppe Kaprain übernommen. Der neue Eigentümer will Synthesia in sein bestehendes Portfolio integrieren und seine Position auf dem europäischen Markt für Spezialchemikalien stärken. Außerdem soll die Dekarbonisierung der Anlagen vorangetrieben werden. Zu Kaprain gehören bereits die tschechische Spolchemie, ein wichtiger Hersteller von Harzen und Beschichtungen, sowie die slowakische Fortischem, die Chlor- und Carbidprodukte produziert.
Sparte | 2022 | Veränderung 2022/2021 |
---|---|---|
Stickstoff (Mio. Kubikmeter) | 892 | 1,6 |
Sauerstoff (Mio. Kubikmeter) | 806 | 7,6 |
Seifenprodukte (1.000 Tonnen) | 23 | 18,4 |
Kunststoffe (1.000 Tonnen) | 1.524 | -0,5 |
Chemiefasern (1.000 Tonnen) | 91 | -9,0 |
Türen, Filme, Folien aus Kunststoff (1.000 Tonnen) | 343 | -6,9 |
Röhren, Schlauche aus Kunststoff (1.000 Tonnen) | 47 | -15,6 |
Säcke aus Polyethylen (1.000 Tonnen) | 55 | 18,9 |
Für die Registrierung neuer chemischer Substanzen ist das Institut für Gesundheitsinformationen ÚZIS zuständig, bei Medikamenten das Staatliche Amt für Arzneimittelkontrolle SÚKL. Pestizide und Düngemittel sind beim Kontrollinstitut für die Landwirtschaft ÚKZÚZ anzumelden.
Deutschland führt Importstatistik an
Tschechien hat 2022 Chemieerzeugnisse für über 28 Milliarden Euro importiert. Dabei hatten Grundchemikalien einen Anteil von fast einem Drittel. Weitere wichtige Einfuhrpositionen waren Arzneimittel und Kunststoffe. Bei Chemieprodukten der NACE-Kategorie 20 entfällt ein Viertel der Importe auf Deutschland (2022: 4,1 Milliarden Euro). Dahinter folgen Polen, Frankreich und die Niederlande.
Bei Arzneimitteln kamen 2022 rund 19 Prozent des Wertvolumens aus Deutschland. Hier sind Irland, Belgien und Frankreich die wichtigsten Wettbewerber.