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Tunesien bringt Afrikanische Freihandelszone voran
Die weltgrößte Freihandelszone soll durch die "Guided Trade Initiative" einen Schub bekommen. Tunesien ist Teil des laufenden Pilotprojekts. Es gibt schon gute Erfahrungen.
04.07.2024
Von Ulrich Binkert | Bonn
Größte Freihandelszone der Welt, ein echter Game Changer und all das riesige Potenzial: Ohne das Thema kontinentale Freihandelszone kommt in Deutschland schon lange kein Wirtschaftstreffen zu Afrika mehr aus. Der 2019 in Kraft getretene Vertrag zur Africa Continental Free Trade Area (AfCFTA), den aktuell 47 von 54 Staaten des Kontinents ratifiziert haben, verheißt Großes. Die Umsetzung allerdings beginnt erst. So mancher skeptische Beobachter hält das ganze Konstrukt vor allem für heiße Luft.
Mit der "Guided Trade Initiative" (GTI), die im Oktober 2022 an den Start ging, sollen nun zunächst acht Länder Afrikas Freihandel "ausprobieren". Exporteure aus diesen Staaten schicken dabei Waren in andere afrikanische Länder unter Bedingungen, wie sie in der AfCFTA gelten.
80 tunesische Firmen mit Pilot-Freihandel
Tunesien ist eines der GTI-Mitglieder. Um die 80 Firmen haben dort inzwischen Waren unter dem GTI-Label exportiert. Im Prinzip waren dies Geschäfte, die auch ohne die GTI-Initiative stattgefunden hätten, sagen nahe Beobachter. Außerdem brächte die Anwendung der AfCFTA-Regeln den Unternehmen oft gar nicht so viel ein wie jene der vielen regionalen Abkommen, die es in Afrika längst gibt. Unter einer Regelung im AfCFTA-Rahmen fallen dann zum Beispiel 5 Prozent Einfuhrzoll für ein Produkt an, nach den Regeln des Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA) gar keiner.
Trotzdem hat die GTI in Tunesien laut den Beobachtern große Verbesserungen in Richtung einer funktionierenden Freihandelszone gebracht: Erstens die Entwicklung und Ausstellung von Ursprungszeugnissen, ohne die sich Präferenzen aus Handelsabkommen gar nicht anwenden lassen. Zweitens habe die GTI in Tunesien eine starke politische Dynamik geschaffen. Und die treibe die Behörden dort zu einem deutlich agileren Umgang mit dem Thema Freihandel mit Afrika an.
Erstmals Ursprungszeugnisse durch GTI
Zu den Ursprungszeugnissen: Wenn ein tunesischer Bekleidungshersteller chinesisches Denim zu Jeans vernäht und nach Deutschland exportiert, könnte der deutsche Zoll 12 Prozent Einfuhrzoll verlangen - weil die Ware letztlich aus China kommt. Gilt die Jeans aber als "tunesisch", dann entfällt der Zoll oder er reduziert sich. Das Ursprungszeugnis legt fest, ob die Jeans nun "chinesisch" oder "tunesisch" ist.
Für europäische Kunden arbeiten tunesische Exporteure - darunter "Veredler" importierter Vorerzeugnisse wie Hersteller von Kfz-Kabelbäumen - daher routinemäßig mit solchen Ursprungszeugnissen. Bei innerafrikanischen Exporten jedoch wurden in Tunesien weit seltener Ursprungszeugnisse ausgestellt. So bestehen im COMESA eigentlich keine Einfuhrzölle. Für tunesische Datteln fallen die Abgaben im COMESA-Staat Kenia trotzdem an, wenn für das Obst kein Ursprungszeugnis vorliegt. Ohne Ursprungszeugnis also kein Freihandel und damit auch keine funktionierende AfCFTA.
Bei der GTI geht es im Kern um die Ausstellung dieser Ursprungszeugnisse. Es bedeutet viel Arbeit und Bürokratie, die Zeugnisse auszustellen und dafür zu sorgen, dass sie von allen Beteiligten im eigenen Land und im Partnerland anerkannt werden. Diesen Prozess hat die GTI dem Vernehmen nach in Tunesien beschleunigt. Die bisher beteiligten 80 Firmen konnten so bereits von den Präferenzen der AfCFTA profitieren.
Verwaltung offener für bessere Klassifizierung
Dass die Verwaltung ihre Hausaufgaben rund um die AfCFTA nun deutlich aktiver angeht, schätzen Beobachter als den noch größeren Effekt der GTI ein. Sie verdeutlichen ihn am Beispiel der Handelsklassifizierung: Die Zolltarifnummer bestimmt im internationalen Warenaustausch den Zollsatz und andere Regeln. Für ein elektronisches Teil fällt dann vielleicht Zoll an, für ein mechanisches nicht.
International herrscht eigentlich Konsens, nach welchem Verfahren Waren zu klassifizieren sind. Industriestaaten wenden diese Regeln auch an. In anderen Ländern wie auch in Tunesien geschieht dies dem Vernehmen nach aber oft nicht in einem geordneten Verfahren. Sondern zum Beispiel ad hoc durch den Zöllner, der von Fall zu Fall entscheidet.
Dieser Zustand lässt sich durchaus als eines jener nichttarifären Handelshemmnisse auffassen, die gerade auch für die Umsetzung des AfCFTA eine große Herausforderung sind. Je komplexer dabei das Produkt, umso strittiger die Klassifizierung. Und für den tunesischen Hersteller kann es ziemlich viel Geld ausmachen, ob sein Kfz-Teil nun als mechanisch gilt oder als elektronisch. Der "Push" durch die GTI hat im Fall Tunesiens nach Einschätzung der dortigen Beobachter geholfen, sich internationalen Verfahren anzugleichen.
Zuständig für die Ausstellung der Ursprungszeugnisse - mit den Handelsklassifizierungen - sind in Tunesien die Wirtschaftskammern wie die Chambre de Commerce de Tunis. Mit Blick auf ganz Afrika fragen sich unabhängige Experten dabei schon, wie solche Kammern diese komplexe Aufgabe und auch die Anwendung der Ursprungsregeln künftig stemmen können. "Wenn es um die Erlangung von Zollpräferenzen im Rahmen von Freihandelsabkommen geht", sagt einer, "dann müssten daran eigentlich Fachleute aus den Zollverwaltungen arbeiten."
Pilotprojekt als geglückter PR-Coup
Die GTI mag "vor allem ein großer PR-Coup" sein und weniger die Umsetzung konkreter Maßnahmen für die AfCFTA, wie die Beobachter in Tunis sagen. Der Coup sei dem AfCFTA-Sekretariat aber geglückt. Tunesiens Behörden wie Wirtschaftsakteure fühlten sich geehrt, dass ihr Land in die Pionierriege der GTI aufgenommen wurde. Dies führe quer durch Wirtschaft und Politik zu einer größeren Solidarisierung mit den Zielen der AfCFTA.
Bisher hat Tunesien sehr wenig wirtschaftlichen Austausch mit Subsahara-Afrika, deutlich weniger als etwa Marokko. Interesse am internationalen Austausch haben demnach einige große Unternehmen und die Firmen mit Europa-Geschäft. Seit Umsetzung der GTI ist der Handel mit Afrika aber in aller Munde, heißt es in Tunis. So könnte der Geist des Freihandels auch stärker durch den Rest der Wirtschaft wehen.