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Chemische Industrie in den USA am Scheideweg

Der Chemiesektor steht vor einer Richtungswahl in Sachen Umweltregulierung. Die Demokraten setzen sich für strengere Regeln ein, Trump will die Vorschriften weitgehend lockern.

Von Heiko Stumpf | San Francisco

Im Falle eines Wahlsieges wollen Kamala Harris und Donald Trump die Chemiebranche in völlig gegensätzliche Richtungen führen. Deshalb blickt der Sektor mit großer Anspannung auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen, denn die sich ergebenden regulatorischen Unsicherheiten sind erheblich.

Harris-Sieg wäre Rückenstärkung für Umweltschutzbehörde

Für Kamala Harris gilt einmal mehr, dass sie den bidenschen Kurs fortsetzen würde. Wie kaum eine US-Regierung zuvor schrieb sich die Biden-Administration den Klima- und Umweltschutz auf die Fahnen – mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Zum einen hat sie milliardenschwere Anreizprogramme wie den Inflation Reduction Act auf den Weg gebracht, welche Subventionen für klimafreundliche Technologien bereitstellen.

Zum anderen hat auch die Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA) zahlreiche neue Richtlinien für Klimaschutz, Luftqualität und Wasserreinhaltung erlassen. Dazu zählen strengere Grenzwerte für Treibhausgasemissionen von Fahrzeugen und Kraftwerken sowie die Einführung neuer Standards für weniger Methanemissionen in der Öl- und Gasindustrie.

Als US-Präsidentin dürfte Harris das Mandat der EPA weiter stärken. Konkrete Auswirkungen hätte dies beispielsweise für per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS). Diese Gruppe umfasst rund 15.000 Substanzen, die sehr hitzebeständig sowie wasser-, fett- und schmutzabweisend sind. Aufgrund ihrer Eigenschaften werden PFAS zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Pflanzenschutz- sowie Feuerlöschmitteln verwendet. Auch in Verbraucherprodukten wie Kosmetika kommen sie zum Einsatz.

Toxische Beständigkeit

Besonders stechen die PFAS jedoch durch ihre Langlebigkeit hervor, weshalb sie auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden. Dadurch reichern sich die Stoffe in der Umwelt – und schließlich auch im menschlichen Körper an. Trotz ihrer toxischen Eigenschaften waren PFAS in den USA auf Bundesebene bislang kaum reguliert. Unter Joe Biden hat die EPA jedoch erste Maßnahmen ergriffen, wie etwa die Einführung verbindlicher Grenzwerte für Trinkwasser. Eine Harris-Walz-Regierung dürfte die strengere Regulierung von PFAS fortsetzen, unter anderem durch Vorgaben zu PFAS-Werten in der Luft und in Lebensmitteln.

Vor allem Harris' bisherige Erfolge und Erfahrungen sprechen dafür. Bereits während ihrer Amtszeit als Generalstaatsanwältin in Kalifornien hatte sie sich einen guten Ruf in Sachen Umweltschutz erarbeitet. Sie führte Klagen gegen Ölkonzerne wegen Verstößen gegen Umweltschutzvorschriften und beteiligte sich an Initiativen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen.

Chemiebranche beklagt Überregulierung

Der chemischen Industrie gehen die EPA-Maßnahmen jedoch zu weit. Insbesondere der American Chemistry Council (ACC) beklagt eine Überregulierung durch die Regierung in Washington, D.C. Durch die verursachten Kosten sieht der Branchenverband die Wettbewerbsfähigkeit der Chemieindustrie in den USA gefährdet. Gemäß einer bereits im September 2023 veröffentlichten Studie des ACC würden bis zu diesem Zeitpunkt vorgeschlagene Richtlinien der EPA jährliche Mehrkosten von etwa 7 Milliarden US-Dollar verursachen.

Laut Umfragen des ACC empfinden zwei Drittel der Unternehmen die bestehenden regulatorischen Hürden als Belastung für ihre Geschäftstätigkeit. Rund 70 Prozent geben an, dass sie neue Chemikalien aufgrund rechtlicher Unsicherheit außerhalb der USA auf den Markt gebracht haben. Andere Stimmen stoßen in eine ähnliche Richtung. "Unter Präsident Joe Biden haben wir wahrscheinlich das herausforderndste regulatorische Umfeld, das unsere Branche je gesehen hat“, sagte der Präsident der Alliance for Chemical Distribution, Eric Byer, im Fachmagazin Chemistry World.

Widerstände in der Industrie sorgen auch dafür, dass eine Regierung Harris zunächst viel Energie dafür aufbringen müsste, die unter Biden auf den Weg gebrachten EPA-Richtlinien vor Gericht zu verteidigen. Mit einer Vielzahl von Prozessen versucht die Branche, die strengeren Umweltvorschriften zu Fall zu bringen. Klagen gegen rund 18 maßgebliche Klima- und Umweltrichtlinien der EPA sind derzeit vor US-Gerichten anhängig.

Trump verspricht regulatorischen Kahlschlag

Zumindest Teile der Industrie könnten sich deshalb auch mit einer zweiten Amtszeit von Donald Trump anfreunden. Im Vergleich mit den Demokraten könnte dessen Programm kaum konträrer sein; es sieht eine großangelegte Deregulierung sowie die Förderung von fossilen Energieträgern vor. Der Begriff Klimaschutz taucht im Positionspapier der Republikaner nicht auf.

Pläne zur Rücknahme von EPA-Richtlinien dürfte eine mögliche Trump-Administration bereits in den ersten Tagen bekanntgeben – ebenso wie eine Ausweitung der Vergabe von Öl- und Gasförderlizenzen. Bereits während der ersten Regierungszeit von Trump wurden etwa 100 Umweltvorschriften der EPA zurückgenommen oder abgeschwächt.

Bürokratieabbau à la Trump

Dies war Teil der allgemeinen 2:1-Deregulierungsagenda, wonach für jede neue Vorschrift zwei bestehende aufgehoben werden mussten. Im Wahlkampf 2024 wirbt Trump sogar damit, für jede neue Regel zehn bestehende Vorschriften eliminieren zu wollen. Umweltschützer befürchten, dass er auch versuchen könnte, die EPA tiefgreifend umzubauen und zu schwächen, beispielsweise durch politische Personalbesetzungen, Budgetkürzungen oder Kompetenzbeschneidungen.

In jedem Fall ist bei einer zweiten Präsidentschaft von Trump mit einer Zunahme von Rechtsstreitigkeiten zu rechnen. Denn Umweltverbände bereiten sich bereits vor, etwaige Maßnahmen zur Schwächung der EPA anzufechten. In der Vergangenheit waren sie damit bereits erfolgreich: Die Verbände hatten in der ersten Amtszeit Trumps rund 57 Prozent der umweltrechtlichen Klagen gegen die Bundesregierung gewonnen, so das Institute of Policy Integrity der New York University.

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