Wirtschaftsumfeld | Vietnam | Wirtschaftsstruktur
Die exportorientierte Industrie bestimmt die Wirtschaftsstruktur
Vietnam gewinnt für deutsche Unternehmen an Attraktivität als Absatz- und Beschaffungsmarkt. Vor Ort produzierende, ausländische Exportgrößen dominieren weiter die Wirtschaft.
09.01.2025
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Gerade im Rahmen ihrer "China Plus One"-Strategie bauen ausländische Firmen weiter Produktionsstätten in Vietnam auf. Damit profitieren sie von den – im regionalen Vergleich – geringen Löhnen, guten Investitionsbedingungen und vielen Freihandelsabkommen. Vor allem japanische, südkoreanische und taiwanische Firmen haben in den letzten Jahren Fabriken errichtet. Seit etwa zwei Jahren ziehen verstärkt chinesische Investoren nach, um möglichen Sanktionen im Handelsstreit mit den USA zu entgehen und ihre Industriekunden im Land zu bedienen. Deutsche Investoren spielen eine vergleichsweise geringe Rolle und haben in der letzten Zeit fünf bis zehn Fabriken pro Jahr eröffnet.
Vietnam ist zu einem der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Elektronik, Kleidung, Schuhe und Möbel geworden. Mit einer Exportquote von mehr als 90 Prozent spielt die Ausfuhr eine bedeutende Rolle für die Wirtschaft. Dies macht das Land anfällig für globale Wirtschaftskrisen und Handelskonflikte sowie zu einer möglichen Zielscheibe von Strafzöllen. Vietnam hat einen hohen Handelsüberschuss mit den USA und könnte daher ins Visier der US-Administration geraten.
Der Staat in Südostasien wird als Absatz- und Beschaffungsmarkt zunehmend interessant für deutsche Firmen. Die kaufkräftige Mittelschicht hat Nachholbedarf und gibt ihr Einkommen mittlerweile auch für nicht lebensnotwendige Güter aus. Die deutschen Exporte nach Vietnam haben sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Mit 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2023 nahmen sie sich aber gering aus gegenüber deutschen Importen in Höhe von 13,6 Milliarden Euro.
Zahlreiche Freihandelsabkommen machen den Standort attraktiv. Das 2020 geschlossene Abkommen zwischen Vietnam und der EU verbessert den Marktzugang für deutsche Anbieter von Konsumgütern, die von Vietnamesen sehr geschätzt werden.
Die Regierung verfolgt den ehrgeizigen Plan, aus Vietnam bis 2045 eine Industrienation zu machen. Gleichzeitig ist das Land stark vom Klimawandel betroffen und setzt daher hohe Ziele im Bereich Klimaschutz. Besonders im Energiesektor sind große Investitionen erforderlich, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Der Energiesektor hängt derzeit noch stark von der Kohleverstromung ab. Der Übergang zu Gas und erneuerbaren Energien dürfte in den kommenden Jahrzehnten interessante Geschäftschancen eröffnen. Gleiches gilt für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Die Planung zum Bau einer Hochgeschwindigkeitszugstrecke von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt 2024 große Fortschritte gemacht hat.
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Hochmoderne Exporteure treiben das Wirtschaftswachstum
Strukturell bestehen große Unterschiede in Vietnams Wirtschaft. Getrieben durch die Investitionen ostasiatischer – vor allem japanischer und südkoreanischer – Firmen, haben sich in Teilen hochmoderne Geschäfts- und Industriestrukturen etabliert. Diese Firmen produzieren größtenteils für den Export. Samsung ist seit Jahren größter einzelner Treiber für den vietnamesischen Export. Im Jahr 2023 war das Unternehmen trotz eines Nachfragerückgangs auf globalen Märkten für 16 Prozent der gesamten Exporte des Landes verantwortlich. Einzelne große vietnamesische Privatunternehmen wie Vingroup oder das Software- und Telekommunikationsunternehmen FPT können, gerade in Hinblick auf Digitalisierung, international ebenfalls mithalten.
Auf der anderen Seite mangelt es noch an einer stärkeren Einbindung kleinerer und mittlerer lokaler Unternehmen in den Produktionskreislauf der ausländischen Exportgrößen. Vorprodukte werden weiterhin vor allem aus China importiert. Vietnamesischen Firmen fehlt es vielfach noch an Arbeitsproduktivität, technischer Ausstattung und Know-how, um die für den Weltmarkt benötigte Qualität zu liefern. Vor allem getrieben durch die ostasiatischen Investitionen entwickelt sich in manchen Bereichen jedoch langsam eine lokale Zulieferindustrie – so etwa in der Metall- und Kunststoffverarbeitung sowie im Elektroniksektor.
Verarbeitende Industrie wird wichtiger für die Wirtschaft
Die Regierung fördert die fortlaufende Industrialisierung und hat wiederholt Reformen für ein verbessertes Investitionsumfeld angekündigt. Die Modernisierung der staatlichen Industriegiganten kommt dagegen nur schleppend voran.
Der Primärsektor hat zugunsten der verarbeitenden Industrie in den letzten fünf Jahren an Wichtigkeit für die vietnamesische Wirtschaft verloren. Das verarbeitende Gewerbe legte von 16 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 auf rund 24 Prozent im Jahr 2023 zu. Vor allem die exportorientierte Industrie ist ein wesentlicher Träger des Wirtschaftswachstums geworden. Doch die Dienstleistungsbranche ist weiterhin der wichtigste Sektor – sowohl für die Wirtschaft als auch für die Beschäftigung. Insbesondere der Groß- und Einzelhandel, die Logistikbranche wie auch das Finanzwesen boomen.
Sektoren | Anteil am BIP 2023 | Anteil an den Beschäftigten 2023 |
---|---|---|
Dienstleistungen | 37,8 | 37,1 |
Verarbeitendes Gewerbe | 23,9 | 23,3 |
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 12,0 | 26,9 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 2,5 | 0,3 |
Baugewerbe | 6,3 | 9,3 |
Energieversorgung | 4,0 | 0,3 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 0,5 | 0,3 |
Sonstige | 13,2 | 2,5 |
Nord- und Zentralvietnam gewinnen wirtschaftlich an Bedeutung
Vietnam verfügt über drei große Wirtschaftszentren. Der Süden rund um Ho-Chi-Minh-Stadt ist der wirtschaftliche Mittelpunkt des Landes. Jedoch sind die Löhne hier im Landesvergleich relativ hoch, es herrscht Platzmangel und auch der Zugang zu Häfen ist schwierig. Dennoch ist der Standort weiter beliebt bei deutschen Firmen. Der Norden um Hanoi und Haiphong hat in den vergangenen Jahren an Attraktivität gewonnen – vor allem für die Elektronik- und Kfz-Industrie. Sowohl der Tiefseehafen in Haiphong als auch gute Straßenverbindungen nach China binden die Region an die Weltmärkte an.
Ein drittes Zentrum bildet sich in Zentralvietnam rund um Da Nang und Hue heraus. Die günstigen Löhne locken vor allem japanische, südkoreanische und US-amerikanische Firmen. Das Mekong-Delta ganz im Süden ist die Kornkammer des Landes. Der Großteil der Reisproduktion geht in den Export. Zudem ist das Gebiet die Hauptregion für die Fischereiwirtschaft.
Gebiet | BIP pro Kopf (in Euro) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|
Red River Delta (inkl. Hanoi und Haiphong) | 5.166 | 23,7 |
Nordmittelgebiet und mittlere Küstenregion (inkl. Da Nang) | 3.001 | 20,8 |
Südosten (inkl. Ho-Chi-Minh-Stadt) | 6.554 | 19,0 |
Mekong River Delta | 2.843 | 17,5 |
Vietnam insgesamt | 4.843 | 101,0 |