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Armeniens "Crossroads of Peace" soll neue Transportwege öffnen
Als "Kreuzung des Friedens" will Armenien Teil des Mittleren Korridor werden. Ein Friedensabkommen mit Aserbaidschan birgt Hoffnung für grenzüberschreitende Transportwege.
01.08.2024
Von Uwe Strohbach | Eriwan
Im Oktober 2023 legte der armenische Premierminister Nikol Pashinyan ein Konzept vor, nach dem Armenien und seine Nachbarländer Aserbaidschan und die Türkei gemeinsam ein Transport- und Infrastrukturnetzwerk entwickeln könnten.
Das ambitionierte Projekt "Kreuzung des Friedens" (Crossroads of Peace) zielt darauf ab, die teils seit den 1990er Jahren blockierten Grenzen Armeniens mit seinen Nachbarn Aserbaidschan und Türkei endlich wieder zu öffnen. Es bietet die große Chance, die Länder im Südkaukasus für freie Transportwege auf der Nord-Süd-Achse (Russland-Georgien-Armenien-Iran) und auf der Ost-West-Achse (Zentralasien-Aserbaidschan-Armenien-Türkei) zu verbinden.
Friedensvertrag mit Aserbaidschan ist Voraussetzung für regionalen Neustart
Unabdingbare Voraussetzung für die Aufhebung der wirtschaftlichen Isolation Armeniens und seine Einbindung in bestehende und neue regionale Infrastrukturprojekte einschließlich der Global-Gateway-Initiative der EU ist der Abschluss einer Friedensvereinbarung zwischen Armenien und Aserbaidschan.
Die Initiative "Kreuzung des Friedens" der armenischen Regierung soll bestehende Straßen und Bahntrassen zu den Anrainerstaaten wiederbeleben. Zu letzteren zählen Aserbaidschan, die aserbaidschanische Exklave Autonome Republik Nachitschewan, Georgien, Türkei und der Iran. Gleichzeitig dient der Vorstoß als Impuls für den Bau neuer Verkehrswege.
Geplant ist zudem der Ausbau von Pipelines und Stromleitungen, die an die entsprechende Infrastruktur der Nachbarstaaten angebunden werden sollen. Armenien will sich auch am internationalen Projekt für die Verlegung eines 1.000-Kilovolt-Unterseekabels zwischen Anaklia (Georgien) und Constanta (Rumänien) beteiligen, eines mehrerer Flagship-Projekte von Global Gateway in der Region.
Armenien benennt erste Projekte für "Kreuzung des Friedens"
Zu den Projekten der "Crossroads of Peace" gehören unter anderem:
- neue Grenzübergänge für den Straßenverkehr, darunter fünf zu Aserbaidschan (Kayan, Sotk, Karahunj, Angeghakot und Yeraskh) und zwei zur Türkei (Akhurik und Margara)
- neue Grenzübergänge für den Bahnverkehr, darunter vier an der Grenze zu Aserbaidschan (Nrnadzor, Agarak, Yeraskh und Kayan) und einer an der Grenze zur Türkei (Akhurik)
- neue und modernisierte Bahntrassen, darunter Nrnadzor-Agarak im Süden Armeniens (43 Kilometer) und Hrazdan-Kayan in Zentral- und Nordarmenien (80 Kilometer) sowie kurze Anbindungen an Nachitschewan via Yeraskh (1 Kilometer) und an die Türkei via Gjumri (6 Kilometer).
Armenien betrachtet das Gesamtprojekt als seinen Beitrag zum Ausbau des Mittleren Transportkorridors. Schon im ersten Jahr der wiederbelebten oder neuen Straßen- und Bahntrassen könnten bis zu 4,7 Millionen Tonnen Güter und 300.000 Passagiere über armenisches Territorium transportiert werden. So lautet die optimistische Prognose der armenischen Regierung.
Russland will Partnerschaft mit Aserbaidschan stärken
Das Großprojekt "Kreuzung des Friedens" stößt auf unterschiedliche politische und wirtschaftliche Interessenslagen der Anrainer und Nachbarländer. Diese können Armeniens Spielraum für eigene Projektentscheidungen deutlich einengen oder gar zunichte machen.
Russland strebt heute mehr denn je eine Partnerschaft mit Aserbaidschan an: Das Land braucht die südkaukasische Republik für alternative Transportrouten in Richtung Indischer Ozean via Iran und nicht minder als Partner für die regionale Sicherheit. Auch setzt Russland auf das rohstoffreiche Land samt der dort vorhandenen Pipeline-Infrastruktur für Gaslieferungen nach Europa.
Allein das jährliche Volumen im Schienengüterverkehr zwischen Russland und dem Iran via Aserbaidschan über den Transportkorridor Nord-Süd soll dank massiver Investitionen in den Ausbau der Verkehrswege bis 2027 auf 15 Millionen Tonnen und bis 2030 auf bis zu 60 Millionen Tonnen expandieren. Im Jahr 2022 wurden diese auf 3 Millionen Tonnen geschätzt.
Armenische Initiative in schwierigem regionalen Umfeld
Zudem werden Armeniens Ambitionen, sich stärker westlich zu orientieren und selbstbestimmt zu agieren, durch zwei Faktoren erschwert:
- das Fehlen einer von Russland unabhängige Sicherheitsarchitektur
- die hochgradige Verflechtung mit dem Handels- und Investitionspartner Russland.
Russische Firmen stehen für die Hälfte des in Armenien investierten ausländischen Kapitals. Russland liefert zu günstigen Konditionen Gas, Ölprodukte und andere für die armenische Wirtschaft wichtige Waren, darunter beispielsweise Diamanten. Ein erheblicher Teil der systemkritischen Infrastruktur befindet sich in russischer Hand oder wird von Russland verwaltet. Dazu zählen die Gas-, Strom- und Bahninfrastruktur.
EU-Mittel bieten Chance für Infrastrukturinitiative
Die EU kann mit ihren Kofinanzierungsangeboten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Armenien seine Infrastrukturpläne der "Kreuzung des Friedens" realisieren kann. Auch kann die EU Armenien dabei unterstützen, vom Mittleren Korridor zu profitieren. Die weniger ressourcenreichen südkaukasischen Länder Armenien und Georgien sind dabei besonders auf EU-Mittel, etwa im Rahmen der Global-Gateway-Initiative der EU, angewiesen.
Für alternative Transportrouten auf der Achse China/Zentralasien – Kaukasus/Europa gibt es Finanzierungzusagen europäischer und internationaler Finanzinstitute in Milliardenhöhe. Im Februar 2024 vereinbarten die EU und Armenien, die Arbeit an einer neuen Partnerschaftsagenda aufzunehmen.