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Vernetzt für eine grüne Zukunft
Der digitale Wandel eröffnet vielfältige Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit. Für Brasilien werden Blockchain-Zertifizierungen zum Gamechanger.
22.07.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Die Brasilianer sind überaus digitalaffin und offen für neue Technologien. Nur in wenigen Ländern verbringen die Menschen so viel Zeit im Internet – aktuellen Erhebungen zufolge im Schnitt mehr als 9 Stunden pro Tag. Auch bei sozialen Netzwerken gehören die brasilianischen User zu den aktivsten weltweit. Auf nahezu jedem Smartphone ist der Nachrichtendienst WhatsApp installiert, ohne den man in Brasilien heute kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann.
Wie schnell die Bevölkerung digitale Technologien annimmt, verdeutlicht das Zahlungssystem Pix. Im Oktober 2020 einführt, wurde es bereits 2022 häufiger genutzt als alle anderen Bezahlverfahren. Im Jahr 2023 wurden 39 Prozent aller Transaktionen im Land über Pix abgewickelt.
5G-Ausbau läuft nach Plan
Brasilien hat spät mit dem 5G-Ausbau begonnen, bestand aber auf einem "echten“ 5G-Netz (5G Standalone), für das auch das Kernnetz auf 5G-Technologie umgerüstet wird. Erst im November 2021 versteigerte die Regierung die ersten 5G-Frequenzen. Doch seitdem hat Brasilien überraschend schnell aufgeholt. Im globalen Geschwindigkeitstest von Ookla liegt São Paulo auf Rang 18 und Rio de Janeiro auf Rang 36 deutlich vor Hamburg (55) und Berlin (59).
Pro Jahr investieren die drei großen Mobilfunkanbieter Vivo, TIM und Claro rund 7 Milliarden US-Dollar (US$) in den 5G-Ausbau. Im Mai 2024 waren 22.240 der über 100.000 Basisstationen mit 5G-Technologie ausgerüstet. Ende 2023 erreichte das 5G-Netz 352 Städte, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, und die Zahl der 5G-Mobilfunkanschlüsse überstieg die 20-Millionen-Marke.
In Vorbereitung auf den stark wachsenden Markt rüsten die Betreiber von Rechenzentren auf. Zudem wächst das Angebot an 5G-kompatiblen Geräten: Im Juni 2024 unterstützen 183 Handymodelle am brasilianischen Markt den neuesten Mobilfunkstandard.
Marktindikator (Einheit) | 2025 | 2030 |
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5G-Mobilfunkanschlüsse (Anzahl in Mio.) | 36,2 | 179 |
Anteil von 5G an Anschlüssen insgesamt (in %) | 16 | 77 |
Wertschöpfung von 5G (in Mrd. US$) und als Beitrag zum BIP in % | 5 (0,3% des BIP) | 26 (1,2% des BIP) |
Bevölkerungsanteil mit Zugang zu 5G (in %) | 47 | 84 |
Inklusion statt digitaler Kluft
Brasilien beeindruckt mit sehr hohen Übertragungsraten in den Städten, leistet aber keine flächendeckende Versorgung. Gemäß dem Nachhaltigkeitsziel "Weniger Ungleichheit" stellt die Regierung im Rahmen des Programms PAC bis 2026 rund 4 Milliarden US$ für den Netzanschluss von Schulen, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems und Gemeindeverwaltungen sowie entlang der Autobahnen zur Verfügung. Dabei verbessert das Rahmengesetz für Telemedizin, das Ende 2022 verabschiedet wurde, den Zugang zur Gesundheitsversorgung in den abgelegenen Regionen des Landes.
5G-Campusnetze in diversen Sektoren
Viele Unternehmen in Brasilien investieren in den Aufbau exklusiver Mobilfunknetze auf ihrem Firmengelände, um die geringe Reaktionszeit von 5G zu erreichen, IoT (internet of Things)-Anwendungen zu nutzen und Cybersicherheit zu gewährleisten. Landesweit wurden rund 100 dieser Campusnetze errichtet.
Pioniere für private 5G-Standalone-Netze sind der Hafen Suape im Staat Pernambuco und der Hafen von Santos in São Paulo. Weitere bedeutende Investoren sind der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras und der Bergbauriese Vale. Hinzu kommen Konzerne aus der Kfz-, Elektronik- und Stahlindustrie sowie das Agrobusiness. Die Industrie-4.0-Investitionen wachsen pro Jahr um etwa 20 Prozent und lagen 2022 bei rund 1,8 Milliarden US$. Der Industrieverband CNI prognostiziert bis 2028 einen Anstieg auf 5,6 Milliarden US$.
Effizienzgewinne für mehr Nachhaltigkeit
Die Digitalisierung ermöglicht Effizienzgewinne in vielen Feldern. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Besonders deutlich wird dies in Bereichen, in denen die größten Defizite bestehen. Dazu gehört in Brasilien die Wasserwirtschaft. Durchschnittlich 35 Prozent des Trinkwassers geht verloren und erreicht nicht die zahlenden Verbraucher. Mit der Vergabe von Wasserwerken an private Betreiber gerät der Sektor in Bewegung. Konzessionsnehmer wie Aegea und Águas do Brasil investieren in Überwachungstechnologien, spüren Lecks über Sensoren auf und dämmen die Wasserverluste ein.
Effizienzorientiert treibt das Agrobusiness die Digitalisierung voran und macht Brasilien zum Vorreiter in der Präzisionslandwirtschaft. Alle Großbetriebe nutzen digitale Technologien und reduzieren darüber den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie von Wasser. Nach und nach erreicht die digitale Transformation auch kleinere Betriebe. Multinationale Zulieferer konzentrieren ihre Forschungstätigkeit im Bereich Agro 4.0 auf Brasilien, darunter auch One Smart Spray, ein Joint Venture von Bosch und BASF. Startups der Agrarwirtschaft gedeihen in einem immer fruchtbareren Ökosystem. Im Jahr 2023 stieg die Zahl der AgTechs um 15 Prozent auf 1.953.
Drohnenstaffel wächst exponentiell
Die Zahl der Agrardrohnen in Brasilien vervielfacht sich von Jahr zu Jahr. Offiziell sind mittlerweile rund 5.300 Fluggeräte im Einsatz. Tatsächlich könnten es mehr als doppelt so viele sein, schätzt der Messeveranstalter MundoGEO. Laut Prognosen wird die Agrarstaffel in den kommenden Jahren auf bis zu 50.000 Drohnen anwachsen. Das schafft Anreize für Investitionen in die lokale Fertigung.
Auch für die innere Sicherheit, im Bergbau und für den Naturschutz werden zunehmend Drohnen eingesetzt. Über alle Bereiche hinweg wächst der entsprechende Flugverkehr um rund 40 Prozent im Jahr. Um mit der Entwicklung Schritt zu halten, aktualisierte Brasilien Mitte 2023 die Regulierung in dem Bereich. Im Februar 2024 entbürokratisierte die Telekommunikationsbehörde Anatel das Verfahren zur Zertifizierung von Drohnen.
Blockchain für nachhaltige Lieferketten und den Emissionshandel
Digitale Technologien ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung und Sammlung von Daten sowie automatisierte Geschäftsprozesse. Blockchain-basierte Lösungen können die Kosten von Zertifizierungen erheblich senken. Das vergünstigt die Rückverfolgung von Lieferketten und den Emissionshandel.
Mit seiner Blockchain-Technologie überprüft Ecotrace heute mehr als die Hälfte der Rindfleischexporte Brasiliens. Zu den Kunden des brasilianischen Start-ups gehören neben den großen Fleischkonzernen auch Unternehmen, die Hühnerfleisch und Baumwolle zurückverfolgen lassen. Nach einer Kapitalerhöhung im April 2024 erweitert Ecotrace nun das Portfolio auf Leder und Kaffee.
Der Finanzmarkt richtet sich zunehmend an ESG-Kriterien aus. Brasiliens Fleischkonzerne JBS, BRF, Marfrig und Minerva veröffentlichen alljährliche Emissionsberichte und werden über den CO2-Index ICO2 (Índice Carbono Eficiente) der brasilianischen Börse (Bovespa) bewertet.
Mit B4Carbon führte die Bovespa Mitte 2023 einen zu 100 Prozent Blockchain-basierten Emissionshandel ein. Seitdem analysiert die Plattform bereits Verträge zur Einsparung von über 15 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Mitte Juni 2024 kamen die ersten Zertifikate auf den Markt. Über den transparenten Datenaustausch können Firmen ihre Wirtschaftsaktivitäten einfach und zuverlässig dekarbonisieren.