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Branchen | Brasilien | Nachhaltigkeit

Kurs auf Nachhaltigkeit

Wirtschaft und Politik in Brasilien verstärken ihren Fokus auf Umweltthemen. Energiewende und Dekarbonisierung spielen dem grünen Riesen in die Hände.

Von Gloria Rose, Andrea González Alvarez | São Paulo, Bonn

Brasilien gehört zu den Ländern, in denen besonders hohe Einkommensverluste durch den Klimawandel zu erwarten sind. Dies zeigen Studien des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Andererseits ist das Land Vorreiter bei erneuerbaren Energien und gewinnt in der globalen Energiewende an Wettbewerbsfähigkeit. Dies eröffnet Chancen für eine grüne Reindustrialisierung - dank günstiger und reichlich vorhandener Energie aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse. Ökologie und Wirtschaftswachstum können in Brasilien Hand in Hand gehen.

Solarparks, Wasserstoff, Ausbau der Schienenwege und 5G-Netze: Landesweit fließen Milliarden US-Dollar in die Modernisierung der Infrastruktur. Viele Investitionen sorgen für mehr Nachhaltigkeit. Das bietet Chancen - auch für deutsche Unternehmen.

  • Ökologie und Wirtschaftswachstum sind in Brasilien vereinbar

    Klimaschäden in Brasilien häufen sich. Städte und Gemeinden müssen mehr vorsorgen. Gleichzeitig hofft das Land auf eine grüne Reindustrialisierung.

    Extremwetterereignisse in Brasilien nehmen zu. Immer öfter erlebt das Land Dürren und Starkregen. Deutlich wurde dies zuletzt im Mai 2024. In dem Monat erlebte Rio Grande do Sul, der südlichste Bundesstaat Brasiliens, anhaltenden Starkregen und flächendeckende Überschwemmungen. Besonders betroffen ist die Agrarwirtschaft. Die Folgen sind in ganz Brasilien spürbar, denn Rio Grande do Sul trug in den Vorjahren mehr als 12 Prozent zur landesweiten Wertschöpfung des Sektors bei.

    Für den Wiederaufbau von Rio Grande do Sul richtete die Regierung des Bundesstaates einen Fonds ein. Die Kosten für den Wiederaufbau von Straßen und Brücken belaufen sich auf mindestens 600 Millionen US-Dollar (US$). Um die Infrastruktur gegen zukünftigen Starkregen und Erdrutsche zu rüsten, müssten bis zu 2 Milliarden US$ investiert werden.

    Vorsorge wird zur Vorschrift

    Die Flutkatastrophe ruft die Politik auf den Plan. Im Juni 2024 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das alle Verwaltungsebenen dazu verpflichtet, eigene Schutz- und Anpassungspläne zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. Bislang verfügt nur ein Bruchteil der Städte und Gemeinden über eine eigene Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Über die Plattform AdaptaBrasil bietet das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation Zugang zu Informationen und Risikoeinstufungen. Die Projekte werden über den Klimafonds "Fundo Clima" der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES finanziert. 

    Energiewende als Wachstumstreiber

    Doch nicht nur die Schäden motivieren zum Klimaschutz. Brasilien ist schon heute ein Vorreiter auf dem Weg zur Klimaneutralität. Rund 47,4 Prozent des Primärenergieverbrauchs deckte das Land 2022 durch erneuerbare Energie, in Deutschland waren es 17,6 Prozent. Laut der Bloomberg-Studie Climatescope steht Brasilien auf Platz 5 der attraktivsten Schwellenländer für grüne Investitionen, nach Indien, China, Chile und den Philippinen.

    In dem Bericht “The green hidden gem” hebt die Unternehmensberatung McKinsey drei Bereiche hervor, in denen Brasilien eine globale Schlüsselrolle spielen kann:

    • Erneuerbare Energie
    • Bioenergie und grüne Industrieprodukte und
    • CO2-Zertifikate

    Unternehmen engagieren sich für Nachhaltigkeit

    Rund 42 Prozent der 1.136 Unternehmen in Brasilien, die ihre Umweltdaten 2023 über das Carbon Disclosure Project (CDP) veröffentlichten, verfolgen Pläne zur Emissionsminderung. Viele sind Teil des CO2-Index ICO2 der brasilianischen Börse. Über den Wirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung CEBDS treiben die Unternehmen Gesetzesvorhaben im Kongress voran.

    Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voranAusgezeichnete Unternehmen im Carbon Disclosure Project (CDP)
    SektorUnternehmenKategorie mit CDP-Topbewertung im Jahr 2023

    Treibhausgas-Emissionen 2021 (in Tonnen CO2-Äquivalent) *)

    Forstwirtschaft/Papier/VerpackungenKlabinKlima/Wald/Wasser

    1.370.710

    Bergbau/MetallverarbeitungCompanhia Brasileira de Alumínio (CBA)Klima

    -

    GasversorgungCompass Gás & EnergiaKlima

    -

    StromwirtschaftCPFL Energia S.A.Klima

    379.033

    BaumaterialienDexco S.A.Wald

    382.153

    StromwirtschaftEDP - Energias do Brasil S.A.Klima

    -

    Forstwirtschaft/PapierEmpresas CMPC (Sitz in Chile)Wald

    -

    Einzelhandel (Mode)Lojas Renner S.A.Klima

    37.311

    Ernährungswirtschaft (Getreideprodukte)M Dias Branco S.A.Klima

    -

    Ernährungswirtschaft (Fleisch)Marfrig Global Foods S.A.Klima

    588.613

    TelekommunikationTIM BrasilKlima

    25.376

    Baumaterialien (Zement)Votorantim CimentosKlima

    -

    * laut Börsenindex ICO2Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Brasilien strebt grüne Industrialisierung an

    Mit seiner günstigen und reichlich vorhandenen grünen Energie will Brasilien Investitionen energieintensiver Industriebranchen anlocken. Damit soll ein Gegentrend zur Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte einsetzen - eine grüne Neoindustrialisierung. Damit Brasilien die Wettbewerbsvorteile nutzt, die sich aus der globalen Energiewende ergeben, legte die brasilianische Regierung Anfang 2024 eine neue Industrieförderung auf: Nova Indústria Brasil (NIB).

    Neben NIB stimulieren weitere Programme die Investitionen in Nachhaltigkeit, darunter auch viele Projekte des Programmes PAC, das bis 2026 Investitionen von rund 250 Milliarden US$ mobilisieren soll. Bei den Infrastrukturprojekten setzt die Regierung auf das Engagement privater Konzessionäre und Investitionspartner. Sie sollen mehr als ein Drittel der Summe beisteuern. Besonders hohe Erwartungen bestehen in der Abwasseraufbereitung, die bislang nur der Hälfte der Bevölkerung zugutekommt.

    Zur Finanzierung dienen Fonds. Beispielsweise ist ein Fünftel der Mittel des Fundo Clima für grüne Industrieprojekte bestimmt. Um ausländische Anleger zu gewinnen, schützt Brasilien diese im Rahmen der Initiative "Eco Invest Brasil" gegen das Risiko zukünftiger Wechselkursschwankungen (Forex Hedging). Die Initiative ist Teil des "Plans zur ökologischen Transformation", den Finanzminister Fernando Haddad Anfang Dezember 2023 auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai vorstellte.

    Brasiliens Plan zur ökologischen Transformation 

    Der Plan unter Obhut des brasilianischen Finanzministeriums teilt verschiedene Strategien, Pläne, Gesetzesvorhaben und Maßnahmen in sechs Achsen der ökologischen Transformation ein:

    I) Nachhaltige Finanzierungen

    • Gesetz über einen nationalen Emissionshandel
    • Klimafonds "Fundo Clima"
    • Eco Invest Brasil (Währungsabsicherungsplattform für grüne Projekte)
    • Anreize für Nachhaltigkeit in der Steuerreform
    • etc.

    II) Technologische Entwicklung der industriellen Produktion

    • Industrieförderprogramm Nova Indústria Brasil (NIB) 
    • Local-Content-Auflagen bei öffentlichen Ausschreibungen, die sich auf die Energiewende und nachhaltigen Transport beziehen
    • Zentren für technologische Innovation an den Universitäten
    • Zinsgünstige Finanzierung von Innovation über die Entwicklungsbank BNDES
    • etc.

    III) Bioökonomie und nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme

    • Nationaler Plan für Bioökonomie (Erlass Nr. 12.044 vom 06.06.2024)
    • Kopplung der Agrarfinanzierung (Plano Safra) an kohlenstoffarme Produktionsmethoden (Plano ABC und Plano ABC+)
    • Wiederaufforstung im Amazonas (Arco da Restauração) finanziert über den Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz
    • etc.

    IV) Energiewende

    • Förderprogramm für die Kfz-Industrie Mobilidade Verde e Inovação (Mover); wurde am 27.06.2024 verabschiedet.
    • Förderung von Biokraftstoffen über die Steigerung der Beimischungsanteile 
    • Förderprogramm "Combustíveis do futuro" schafft die Rechtsgrundlage für nachhaltigen Flugkraftstoff (SAF) sowie für erneuerbaren Diesel (HVO) und synthetische Kraftstoffe.
    • Elektrifizierung das öffentlichen Nahverkehrs und Anreize zur lokalen Produktion von E-Bussen
    • Drei-Jahres-Plan des nationalen Wasserstoffprogramms 2023 bis 2025 sieht die Schaffung eines Rechtsrahmens für kohlenstoffarmen Wasserstoff vor.
    • etc.

    V) Kreislaufwirtschaft

    • Nationale Strategie der Kreislaufwirtschaft -> Erlass Nr. 12.082 vom 27.06.2024 zur Einrichtung der Estratégia Nacional de Economia Circular (ENEC)
    • Wasser und Abwasser: Ausbau der Abwasserentsorgung und Maßnahmen zur Erweiterung und technologischen Optimierung der Kläranlagen
    • etc.

    VI) Infrastruktur und Anpassung an den Klimawandel

    • Investitionsförderprogramm PAC berücksichtigt Vorsorge
    • Spezifische Programme für die am stärksten gefährdeten Gemeinden gemäß CEMADEN
    • Strategien für Sicherheit und Resilienz in den Bereichen Landwirtschaft, Energie und Gesundheit
    • etc.

    Viele Gesetze zur Stärkung der Nachhaltigkeit werden im Kongress debattiert. Mit dem Fokus auf elf Industriebranchen entwickeln Stakeholder aus der Regierung und Politik, der Industrie und der Wissenschaft einen Plan zur Dekarbonisierung der Industrie (PNDI). Auch das Energieministerium ist aktiv. Es erarbeitet einen Rahmen für eine Politik der Energiewende (PNTE). Damit Brasilien große Investitionsprojekte multinationaler Industriekonzerne für sich gewinnen kann, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Ein wichtiges Projekt ist die Steuerreform.

    Mammutaufgabe Entwaldungsstopp

    Ob die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas es schafft, die Vorteile der grünen Transformation zu nutzen, hängt jedoch von weiteren Faktoren ab - auch davon, ob es gelingt, die illegale Entwaldung zu stoppen und das Länderimage zu verbessern.

    Luiz Inácio Lula da Silva hat den Klimaschutz zu einem seiner wichtigsten Regierungsziele gemacht. Um Klimaneutralität zu erreichen und um das Länderimage wieder aufzupolieren, muss Brasilien die illegale Entwaldung in den Griff bekommen - eine immense Herausforderung angesichts der Größe des Landes. Die erhaltenen Waldflächen übertreffen das Gebiet der EU um 20 Prozent.

    Im Jahr 2023 ging die Entwaldung insgesamt um 18 Prozent zurück, im Amazonasgebiet sogar um fast 50 Prozent, meldet das brasilianische Institut für Weltraumforschung INPE. Dafür wurde im Cerrado, dem zweitgrößten Ökosystem Brasiliens bestehend aus Feuchtsavannen, eine um 43 Prozent größere Fläche abgeholzt. Am stärksten betroffen waren die nordöstlichen Bundesstaaten Maranhão, Bahia und Pará.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Brasiliens Strom ist schon grün

    Die Öffnung des Strommarkts und attraktive Bedingungen für dezentrale Anlagen treiben die Investitionen voran. Zusätzliche Impulse kommen von der Wasserstoffwirtschaft.

    93 %

    des Stroms in Brasilien wurde 2023 durch Erneuerbare erzeugt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 56 Prozent. 

    Bei grünem Strom ist Brasilien Spitze. Der saubere Strommix und die sehr guten Bedingungen für den weiteren Ausbau der Regenerativen bieten dem Land eine hervorragende Ausgangsposition für die Wasserstoffwirtschaft. Bei der Dekarbonisierung der Industrie kann Lateinamerikas größte Volkwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Neben der Elektrolyse setzt Brasilien dabei auf Bioenergie.

    Kostenvorteile beleben freien Strommarkt

    Im Jahr 2024 begünstigen hohe Pegelstände an den Stauseen die Stromversorgung. Schließlich entfällt etwa die Hälfte der installierten Gesamtleistung Brasiliens auf Wasserkraftwerke. Nach zweistelligen Erhöhungen in den Vorjahren prognostiziert die Regulierungsbehörde Aneel für 2024 einen Anstieg des durchschnittlichen Stromtarifs um “nur” 5,6 Prozent.

    Doch steigen damit die Stromkosten am gebundenen Markt weiterhin stärker als die Inflation. Umso mehr lohnen sich Investitionen in die dezentrale Erzeugung und in Energieeffizienzprojekte. Gleichzeitig stimuliert dies das Wachstum des freien Strommarkts, auf den sich die Entwickler, Zulieferer und Betreibergesellschaften zunehmend konzentrieren.

    Der freie Markt deckt mittlerweile 41 Prozent der Stromnachfrage des Landes Tendenz steigend, denn über die bilateral verhandelten Verträge können Großverbraucher bis zu 47 Prozent an Kosten sparen. Seit Januar 2024 steht es allen frei, Lieferverträge selbst zu verhandeln, sofern sie Strom auf einer Spannungsebene von mehr als 2,3 Kilovolt beziehen. Im Jahr 2023 wurde noch ein Mindestverbrauch von 500 Kilowatt vorausgesetzt. Ab 2024 dürfen somit zusätzliche 165.000 Unternehmen ihren Stromerzeuger frei wählen.

    Windkraft im Schatten der Solarenergie

    Der erweiterte Zugang zum freien Markt stimuliert neue Solarprojekte. Immer mehr Konzerne schließen langfristige Lieferverträge mit Produzenten von Solarenergie. Der Branchenverband Absolar erwartet für 2024 einen Zubau um 9,4 Gigawatt auf eine Gesamtleistung von 45,6 Gigawatt. Dezentrale Fotovoltaikanlagen und solche mit einer Nennleistung von bis zu 5 Megawatt boomen nach wie vor. Anfang 2023 überholte die immer günstigere Solarenergie die Windkraft. Damit ist die Fotovoltaik nun der zweitwichtigste Energieträger nach der Wasserkraft.

    Mit einem Windkraftzubau um 4,8 Gigawatt war Brasilien 2023 nach den USA und China der drittgrößte Wachstumsmarkt weltweit - vor Deutschland und Indien. Dennoch durchlaufen die lokalen Hersteller von Windturbinen eine Krise. Denn seit dem Jahr 2022 schwächelt die Vergabe neuer Windparks. Zudem zieht sich die Regulierung der Offshore-Windkraft in die Länge.

    Der US-amerikanische Hersteller GE kündigte Mitte 2022 seinen Rückzug aus Brasilien an. Siemens Gamesa sowie der brasilianische Fabrikant Weg setzen die Fertigung neuer Turbinen vorübergehend aus. Der deutsche Hersteller Nordex drosselte die Produktion in seinen drei Fabriken im Nordosten des Landes. Brasiliens Rotorblatthersteller Aeris entließ 2024 ein Viertel seiner Belegschaft und steigert nun zur Überbrückung der Absatzflaute den Export, der bis 2025 etwa 40 Prozent der Produktion ausmachen soll.

    Dagegen nutzt der chinesische Hersteller Goldwind die Gelegenheit und übernimmt die ehemalige Fabrik von GE am Standort Camaçari im Staat Bahia. Auch Vestas schaut nach vorn. Mit Blick auf das gewaltige Potenzial der Offshore-Windenergie erwägt der dänische Konzern trotz Krise eine Erweiterung seiner Fabrik in Aquiraz im Bundesstaat Ceará.

    Netzausbau und weitere Energieträger

    Die Diversifizierung der Stromerzeugung erfordert Investitionen in den Netzausbau. Brasiliens Stromnetzagentur ONS rechnet bis 2028 mit Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar (US$). Die Vergabe neuer Konzessionen an private Netzbetreiber im Dezember 2023 und im März 2024 verlief sehr erfolgreich. Die neuen Verträge garantieren Investitionen von knapp 8 Milliarden US$ in den Ausbau des Übertragungsnetzes um 10.935 Kilometer Hochspannungsleitungen.

    Der Ausgleich der schwankenden Stromerzeugung in Solar- und Windkraftanlagen erfordert Investitionen in die Modernisierung bestehender Wasser- und Gaskraftwerke sowie von Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Ende August 2024 werden erstmals seit 2021 langfristige Verträge für Regelenergie versteigert. Zugelassen sind sowohl neue, als auch bestehende Anlagen.

    Brasiliens Elektrizitätswirtschaft entwickelt sich dynamisch, was sich auch in der Anzahl der Fusionen und Übernahmen niederschlägt. Im Jahr 2022 privatisierte die Regierung Eletrobras, den größten Stromkonzern Lateinamerikas. Somit ist die Stromwirtschaft in Brasilien heute nahezu vollständig in privater Hand und steht im Fokus von Investmentfonds und ausländischen Investoren.

    Kohlenstoffarmer Wasserstoff

    Brasiliens Dekarbonisierungsstrategie dreht sich um kohlenstoffarmen Wasserstoff, nicht grünen Wasserstoff. Allerdings steht die Regulierung der Wasserstoffpolitik auf nationaler Ebene immer noch aus. Derweil formulieren einzelne Bundesstaaten je nach den spezifischen Voraussetzungen unterschiedliche Maßnahmen, die neben Solar- und Windenergie auch Projekte der Bioenergie fördern:

    Mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft kann Brasilien künftig zu einem der wichtigsten Exporteure grüner Energie und nachhaltigerer Industrieprodukte aufsteigen. Der Nordosten des Landes gehört zu den Regionen mit den weltweit besten natürlichen Voraussetzungen für Onshore-Wind- und Solarenergie – nicht zuletzt, weil sich beide im Tagesverlauf perfekt ergänzen.

    Die Freihandelszonen im Nordosten richten sich auf den Export von grünem Ammoniak und Industrieprodukten nach Europa aus. Im Süden, Südosten und Zentralwesten setzen viele Bundestaaten auf ein immenses Biomassepotenzial, oft Reststoffe der stark wachsenden Agrarwirtschaft. Auch wenn Brasilien den Rechtsrahmen für kohlenstoffarmen Wasserstoff noch nicht im Detail festgelegt hat, verstärken energieintensive Industriekonzerne bereits ihre Investitionen in die Dekarbonisierung. 

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Bioenergie und Schienenverkehr für einen grünen Transportsektor

    Brasilien ist Weltmeister beim Einsatz von Biokraftstoffen – und der Anteil soll weiter steigen. Im Infrastrukturbau fördert das Land die Schiene, im Nahverkehr auch E-Busse.

    Bioethanol, Biodiesel, Biomethan bei der Dekarbonisierung des Verkehrs setzt Brasilien auf Biokraftstoffe. Das hat eine lange Tradition, denn infolge der Ölpreiskrisen der 1970er Jahre entwickelte das Land die Zucker-Ethanol-Industrie. Heute laufen nahezu 80 Prozent der neuzugelassenen Pkw mit Flex-Fuel-Motoren, die sowohl Benzin als auch Bioethanol tanken.

    Dank ihrer weiten Verbreitung ist der Energiemix des Transportsektors schon heute überdurchschnittlich grün. Im Jahr 2023 lag der Anteil erneuerbarer Energien bei 22,5 Prozent, rund 5 Prozentpunkte mehr als noch vor zehn Jahren. Zum Vergleich: Deutschland kam 2023 auf 7,3 Prozent, so das Umweltbundesamt.

    Mehr Biokraftstoffe im Tank

    Und der Biospritanteil soll weiter steigen. Geht es nach dem Gesetz "Combustíveis do futuro", das Brasiliens Kongress debattiert, soll der Bioethanolgehalt im Benzin bis 2030 von derzeit 27,5 auf bis zu 35 Prozent angehoben werden. Der Beimischungsanteil von Biodiesel könnte von 14 auf 25 wachsen. Seit 2020 fördert Brasilien Biokraftstoffe über das Programm RenovaBio, das einen CO2-Zertifikatehandel für den Kraftstoffsektor initiierte. Über den Verkauf der Zertifikate CBIOS erzielen die Hersteller von Biokraftstoffen zusätzliche Einnahmen.

    Mit dem Gesetz legt Brasilien zudem eine Rechtsgrundlage für nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuel, SAF) sowie für hydrierte Pflanzenöle (Hydrotreated Vegetable Oil, HVO). Die Regulierung von SAF erteilt den Startschuss für eine Vielzahl neuer Projekte, für die Investoren Schlange stehen. Darüber hinaus soll das Gesetz auch einen Rechtsrahmen für die CO2-Abscheidung und Speicherung festlegen.

    Neue Investitionswelle in Brasiliens Kfz-Industrie

    Nach monatelangen Verzögerungen brachte die Regierung Ende 2023 ein neues Förderprogramm für die Kfz-Industrie heraus. Das Programm "Mover" (Mobilidade Verde e Inovação) setzt Steueranreize für energieeffiziente Kfz im Wert von etwa 3,5 Milliarden US-Dollar (US$). Als Kriterien dienen die Art der Antriebsenergie, der Energieverbrauch, die Motorleistung, die Wiederverwertbarkeit sowie Fahrerassistenzsysteme. Die CO2-Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette sollen möglichst genau erfasst werden und selbst den Anbau von Zuckerrohr berücksichtigen.

    Seit Januar 2024 hebt Brasilien den Zolltarif auf den Import von E-Autos und Hybridfahrzeugen schrittweise an. Von bislang 0 Prozent wird er bis Mitte 2026 auf den üblichen Satz von 35 Prozent steigen. Elektrische Lkw unterliegen bereits seit Juli 2024 wieder dem vollen Zollsatz.

    Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Förderprogramms kündigten zahlreiche Unternehmen Investitionen an, die sich bis Mai 2024 auf rund 25 Milliarden US$ summierten. Dazu gehören auch Firmen wie VW, Mercedes-Benz, BMW, Continental, Mahle, Bosch und Thyssenkrupp. Hinzu kommen ehrgeizige Pläne der chinesischen E-Auto-Hersteller Great Wall Motor und BYD, die erst seit kurzem in Brasilien aktiv sind. Vor dem Hintergrund des geplanten Verbrennerverbots in der EU ab 2035 erwägen immer mehr Unternehmen Produktionsanlagen für Verbrennertechnologie nach Brasilien zu verlagern.

    Unternehmen investieren in CO2-arme Logistik

    Lkw sind fast ausschließlich mit Dieselmotoren ausgestattet. Multinationale Konzerne rüsten um und investieren darüber hinaus in die Effizienz ihrer Logistik. Davon profitieren innovative Lkw-Bauer. Volkswagen Caminhões e Ônibus (VWCO) startete bereits 2021 die Serienproduktion des e-Delivery in seinem Werk in Resende. Scania bietet Lkw an, die mit Biomethan oder reinem Biodiesel betrieben werden. Gleichzeitig erobern immer mehr chinesische E-Modelle den Markt, darunter Lkw von JAC Motors, Foton und XCMG.

    Bedeutung der Schiene soll sich bis 2035 verdoppeln

    Neben der Förderung von Biokraftstoffen hegt die Regierung ehrgeizige Ziele für den Ausbau des Schienenverkehrs, bei dem Brasilien weit hinterherhinkt. Laut dem "Plano Nacional de Logística" von 2017 soll sich der Anteil der Schiene am Gütertransport bis 2035 verdoppeln von damals 17,7 auf 34,6 Prozent. Tatsächlich steigt der Anteil bereits. Die Stiftung Dom Cabral (FDC) rechnet aber damit, dass bis 2035 nur ein Wert von knapp 30 Prozent erreicht wird.

    Um neue Investitionen in den Infrastrukturausbau zu ermöglichen, vergibt die Regierung Konzessionen an private Betreiber von Autobahnen, Bahnstrecken und Häfen und schließt Investitionspartnerschaften. Etwa die Hälfte des Investitionsvolumens des Programms PAC von 2023 bis 2026 fließt in den Straßenbau. Für die Schieneninfrastruktur sind rund 11 Milliarden US$ vorgesehen.

    Ausgewählte Schienenprojekte in BrasilienGeplante Vergabe von Konzessionen 2025-2026
    Projekt / Streckenlänge

    Investition in Mrd. US$

    Fracht / Anmerkungen
    FIOL I-III (Caetite-Figueirópolis und Mara Rosa-Lucas do Rio Verde), 1.878 km

    5,2

    Zellstoff, Soja und Getreide, Mineralien, Dünger und Container/35-jährige Konzession 
    Ferrogrão (Sinop-Miritituba), 933 km

    5,0

    Soja und Getreide/69-jährige Konzession
    EF-118 (Cariacica-Itaboraí), 577 km

    in Ausarbeitung

    Eisenerz, Container und allgemeine Fracht 
    Centro-Atlântica (Netz über 8 Bundesstaaten von São Paulo bis Sergipe), 1.746 km

    in Ausarbeitung

    Mineralien, Soja und Getreide, Zellstoff, Stahlprodukte/Metallwaren, Zement, Bau- und Kraftstoffe
    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Lösungen für den Nahverkehr

    Auch in den öffentlichen Nahverkehr wird investiert. So vergab São Paulo im 1. Quartal 2024 eine Konzession zum Bau einer Intercity-Strecke nach Campinas. Die 101 Kilometer lange Strecke soll 2031 in Betrieb gehen und voraussichtlich 2,8 Milliarden US$ kosten. Den Zuschlag erhielten der chinesische Konzern CRRC und der brasilianische Partner Comporte. Kurz darauf startete die Regierung des Bundesstaats Studien für vier weitere Schnellzugstrecken, die 2027 versteigert werden und Investitionen von 12 Milliarden US$ anstoßen können.

    Brasilien will Schienennahverkehr ausbauen

    Der Personenverkehr erfolgt in Brasilien bislang vor allem über die Straße. Das soll sich ändern. Neben dem Gütertransport listet der Investitionsplan PAC auch sieben Strecken für Personenzüge auf: 

    • Brasília (Distríto Federal)-Luziânia (Goiás)
    • Maringá-Londrina (Paraná)
    • Pelotas-Rio Grande (Rio Grande do Sul)
    • Duque de Caxias-Itaboraí-Niterói (Rio de Janeiro) 
    • Salvador-Feira de Santana (Bahia)
    • Fortaleza-Sobral (Ceará)
    • São Luís-Itapecuru Mirim (Maranhão)

    Die Vergabe von Konzessionen stimuliert auch die Investitionen in die U- und S-Bahnnetze der 21 Metropolregionen Brasiliens. Allein 2024 sollen 20 Kilometer Strecke und 17 Stationen hinzukommen. Weitere 46 Kilometer und 42 Stationen befinden sich im Bau, so der Branchenverband ANPTrilhos.

    Darüber hinaus rüsten die Großstädte auf E-Busse um. In der Stadt São Paulo fahren heute rund 200 Oberleitungsbusse und 180 E-Busse. Die Anschaffung neuer Dieselbusse ist seit 2022 untersagt. Doch E-Busse sind etwa dreimal so teuer. Nur nach und nach wird die Flotte von insgesamt 2.019 Bussen ersetzt.

    Über das Programm PAC stellt die Entwicklungsbank BNDES Großstädten Mittel für rund 2.500 E-Busse zur Verfügung. Nach Mercedes-Benz und dem lokalen Hersteller Eletra stellen zukünftig auch Marcopolo, VWCO und Scania E-Busse in Brasilien her.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Vernetzt für eine grüne Zukunft

    Der digitale Wandel eröffnet vielfältige Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit. Für Brasilien werden Blockchain-Zertifizierungen zum Gamechanger.

    Die Brasilianer sind überaus digitalaffin und offen für neue Technologien. Nur in wenigen Ländern verbringen die Menschen so viel Zeit im Internet aktuellen Erhebungen zufolge im Schnitt mehr als 9 Stunden pro Tag. Auch bei sozialen Netzwerken gehören die brasilianischen User zu den aktivsten weltweit. Auf nahezu jedem Smartphone ist der Nachrichtendienst WhatsApp installiert, ohne den man in Brasilien heute kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann.

    Wie schnell die Bevölkerung digitale Technologien annimmt, verdeutlicht das Zahlungssystem Pix. Im Oktober 2020 einführt, wurde es bereits 2022 häufiger genutzt als alle anderen Bezahlverfahren. Im Jahr 2023 wurden 39 Prozent aller Transaktionen im Land über Pix abgewickelt.

    5G-Ausbau läuft nach Plan

    Brasilien hat spät mit dem 5G-Ausbau begonnen, bestand aber auf einem "echten“ 5G-Netz (5G Standalone), für das auch das Kernnetz auf 5G-Technologie umgerüstet wird. Erst im November 2021 versteigerte die Regierung die ersten 5G-Frequenzen. Doch seitdem hat Brasilien überraschend schnell aufgeholt. Im globalen Geschwindigkeitstest von Ookla liegt São Paulo auf Rang 18 und Rio de Janeiro auf Rang 36 deutlich vor Hamburg (55) und Berlin (59).

    Pro Jahr investieren die drei großen Mobilfunkanbieter Vivo, TIM und Claro rund 7 Milliarden US-Dollar (US$) in den 5G-Ausbau. Im Mai 2024 waren 22.240 der über 100.000 Basisstationen mit 5G-Technologie ausgerüstet. Ende 2023 erreichte das 5G-Netz 352 Städte, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, und die Zahl der 5G-Mobilfunkanschlüsse überstieg die 20-Millionen-Marke.

    In Vorbereitung auf den stark wachsenden Markt rüsten die Betreiber von Rechenzentren auf. Zudem wächst das Angebot an 5G-kompatiblen Geräten: Im Juni 2024 unterstützen 183 Handymodelle am brasilianischen Markt den neuesten Mobilfunkstandard.

    Bis 2025 hat die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu 5GVoraussichtliche Entwicklung des 5G-Markts bis 2025 und 2030
    Marktindikator (Einheit)

    2025

    2030

    5G-Mobilfunkanschlüsse (Anzahl in Mio.)

    36,2

    179

    Anteil von 5G an Anschlüssen insgesamt (in %)

    16

    77

    Wertschöpfung von 5G (in Mrd. US$) und als Beitrag zum BIP in %

    5

    (0,3% des BIP)

    26

    (1,2% des BIP)

    Bevölkerungsanteil mit Zugang zu 5G (in %)

    47

    84

    Quelle: GSMA Intelligence (Globaler Verband der GSM-Mobilfunkanbieter, GSMA), Prognosen von August 2023

    Inklusion statt digitaler Kluft

    Brasilien beeindruckt mit sehr hohen Übertragungsraten in den Städten, leistet aber keine flächendeckende Versorgung. Gemäß dem Nachhaltigkeitsziel "Weniger Ungleichheit" stellt die Regierung im Rahmen des Programms PAC bis 2026 rund 4 Milliarden US$ für den Netzanschluss von Schulen, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems und Gemeindeverwaltungen sowie entlang der Autobahnen zur Verfügung. Dabei verbessert das Rahmengesetz für Telemedizin, das Ende 2022 verabschiedet wurde, den Zugang zur Gesundheitsversorgung in den abgelegenen Regionen des Landes.

    5G-Campusnetze in diversen Sektoren

    Viele Unternehmen in Brasilien investieren in den Aufbau exklusiver Mobilfunknetze auf ihrem Firmengelände, um die geringe Reaktionszeit von 5G zu erreichen, IoT (internet of Things)-Anwendungen zu nutzen und Cybersicherheit zu gewährleisten. Landesweit wurden rund 100 dieser Campusnetze errichtet.

    Pioniere für private 5G-Standalone-Netze sind der Hafen Suape im Staat Pernambuco und der Hafen von Santos in São Paulo. Weitere bedeutende Investoren sind der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras und der Bergbauriese Vale. Hinzu kommen Konzerne aus der Kfz-, Elektronik- und Stahlindustrie sowie das Agrobusiness. Die Industrie-4.0-Investitionen wachsen pro Jahr um etwa 20 Prozent und lagen 2022 bei rund 1,8 Milliarden US$. Der Industrieverband CNI prognostiziert bis 2028 einen Anstieg auf 5,6 Milliarden US$.

    Effizienzgewinne für mehr Nachhaltigkeit

    Die Digitalisierung ermöglicht Effizienzgewinne in vielen Feldern. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Besonders deutlich wird dies in Bereichen, in denen die größten Defizite bestehen. Dazu gehört in Brasilien die Wasserwirtschaft. Durchschnittlich 35 Prozent des Trinkwassers geht verloren und erreicht nicht die zahlenden Verbraucher. Mit der Vergabe von Wasserwerken an private Betreiber gerät der Sektor in Bewegung. Konzessionsnehmer wie Aegea und Águas do Brasil investieren in Überwachungstechnologien, spüren Lecks über Sensoren auf und dämmen die Wasserverluste ein.

    Effizienzorientiert treibt das Agrobusiness die Digitalisierung voran und macht Brasilien zum Vorreiter in der Präzisionslandwirtschaft. Alle Großbetriebe nutzen digitale Technologien und reduzieren darüber den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie von Wasser. Nach und nach erreicht die digitale Transformation auch kleinere Betriebe. Multinationale Zulieferer konzentrieren ihre Forschungstätigkeit im Bereich Agro 4.0 auf Brasilien, darunter auch One Smart Spray, ein Joint Venture von Bosch und BASF. Startups der Agrarwirtschaft gedeihen in einem immer fruchtbareren Ökosystem. Im Jahr 2023 stieg die Zahl der AgTechs um 15 Prozent auf 1.953.

    Drohnenstaffel wächst exponentiell

    Die Zahl der Agrardrohnen in Brasilien vervielfacht sich von Jahr zu Jahr. Offiziell sind mittlerweile rund 5.300 Fluggeräte im Einsatz. Tatsächlich könnten es mehr als doppelt so viele sein, schätzt der Messeveranstalter MundoGEO. Laut Prognosen wird die Agrarstaffel in den kommenden Jahren auf bis zu 50.000 Drohnen anwachsen. Das schafft Anreize für Investitionen in die lokale Fertigung.

    Auch für die innere Sicherheit, im Bergbau und für den Naturschutz werden zunehmend Drohnen eingesetzt. Über alle Bereiche hinweg wächst der entsprechende Flugverkehr um rund 40 Prozent im Jahr. Um mit der Entwicklung Schritt zu halten, aktualisierte Brasilien Mitte 2023 die Regulierung in dem Bereich. Im Februar 2024 entbürokratisierte die Telekommunikationsbehörde Anatel das Verfahren zur Zertifizierung von Drohnen.

    Blockchain für nachhaltige Lieferketten und den Emissionshandel

    Digitale Technologien ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung und Sammlung von Daten sowie automatisierte Geschäftsprozesse. Blockchain-basierte Lösungen können die Kosten von Zertifizierungen erheblich senken. Das vergünstigt die Rückverfolgung von Lieferketten und den Emissionshandel.

    Mit seiner Blockchain-Technologie überprüft Ecotrace heute mehr als die Hälfte der Rindfleischexporte Brasiliens. Zu den Kunden des brasilianischen Start-ups gehören neben den großen Fleischkonzernen auch Unternehmen, die Hühnerfleisch und Baumwolle zurückverfolgen lassen. Nach einer Kapitalerhöhung im April 2024 erweitert Ecotrace nun das Portfolio auf Leder und Kaffee.

    Der Finanzmarkt richtet sich zunehmend an ESG-Kriterien aus. Brasiliens Fleischkonzerne JBS, BRF, Marfrig und Minerva veröffentlichen alljährliche Emissionsberichte und werden über den CO2-Index ICO2 (Índice Carbono Eficiente) der brasilianischen Börse (Bovespa) bewertet.

    Mit B4Carbon führte die Bovespa Mitte 2023 einen zu 100 Prozent Blockchain-basierten Emissionshandel ein. Seitdem analysiert die Plattform bereits Verträge zur Einsparung von über 15 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Mitte Juni 2024 kamen die ersten Zertifikate auf den Markt. Über den transparenten Datenaustausch können Firmen ihre Wirtschaftsaktivitäten einfach und zuverlässig dekarbonisieren.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Brasilien setzt sich für Dekarbonisierung im Automobilsektor ein

    Ziel des neuen Programms "Mover“ ist es, die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Hersteller und Importeure können dabei von steuerlichen Anreizen profitieren. 

    Mit dem Gesetz 14.902 vom 27. Juni 2024 wurde das Programm "Mover“ (Mobilidade Verde e Inovação - Grüne Mobilität und Innovation) eingeführt, welches den neuen Regelungsrahmen für die CO2-Emissionen schafft. Durch unterschiedliche Steueranreize fördert Mover Investitionen in neue Technologien und erhöht die Dekarbonisierungsanforderungen für die brasilianische Fahrzeugproduktion, einschließlich Fahrräder, Motorräder, Pkws, Busse und Lkws. Zuständig für das Programm ist das Ministerium für Entwicklung, Industrie, Handel und Dienstleistungen (MDIC) in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium (MF) und dem Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation (MCTI).

    Wie die Vorgängerprogramme "Inovar Auto" (2013 - 2017) und "Rota 2030" (2018 - 2024) zielt das neue Programm auf die Entwicklung einer nachhaltigeren Automobilindustrie; das Ziel besteht weiterhin die CO2-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent zu senken, im Vergleich zu den Emissionen des Jahres 2011.

    Die wichtigsten Neuerungen des Förderprogramms Mover erfahren Sie in folgenden Kapiteln.

    Anforderungen an Nachhaltigkeit 

    Die für alle in Brasilien verkauften Neufahrzeuge verpflichtende Teilnahme am Fahrzeugkennzeichnungsprogramm ("Rotulagem Veicular“) mit zu erfüllenden Energieeffizienzvoraussetzungen, die die CO2-Emissionen berücksichtigen, bleibt bestehen. Nun erhöht Mover die Nachhaltigkeitsanforderungen.

    Bis dato erfolgt die Messung der CO2-Emissionen vom Tank-to-Wheel (“do tanque à roda”), wobei die Menge an Schadgasen gemessen wird, die von der Auspuffanlage des Fahrzeugs ausgestoßen werden. Diese Methode bleibt weiterhin anwendbar. 

    Als neue Emissionsmessung führt Mover Source-to-Wheel ("do poço à roda“) ein, die den kompletten Energiezyklus berücksichtigt; die Messung wird von der Gewinnung des Kraftstoffs etwa Benzin, Diesel, Wasserstoff oder Strom bis zu seiner Verwendung im Fahrzeugmotor durchgeführt. Von 2025 bis 2027 werden die CO2-Emissionen mit dieser Methode gemessen. 

    In der Folge plant Mover eine umfassendere Methode zur Emissionsmessung, bezeichnet als Cradle-to-Grave (“do berço ao túmulo”), die den CO2-Fußabdruck aller Komponenten und aller Phasen der Produktion, des Betriebs und der Entsorgung des Fahrzeugs berücksichtigt. 

    Investitionen in Forschung und Entwicklung 

    Damit die Unternehmen die Anforderungen an Nachhaltigkeit erfüllen können, gewährt Mover Finanzkredite im Verhältnis zu deren Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Technologien und Produkte ("Pesquisa e Desenvolvimento" - P&D). Insgesamt werden Finanzkredite in Höhe von 19,3 Milliarden Reais (1 Euro = 6,00 bras. Reais - Juli 2024) für den Zeitraum von 2024 bis 2028 bereitgestellt. Dieser Betrag soll wie folgt aufgeteilt werden:

    • 3,5 Mrd. R$ (2024)
    • 3,8 Mrd. R$ (2025)      
    • 3,9 Mrd. R$ (2026)      
    • 4,0 Mrd. R$ (2027)
    • 4,1 Mrd. R$ (2028)

    Die Finanzkredite werden in Form von Ermäßigung von Bundessteuern gegen Investitionen in P&D freigegeben. Hierzu müssen Automobilhersteller mindestens 0,3 bis 0,6 Prozent ihrer Bruttobetriebseinnahmen für P&D aufwenden. Dies bedeutet, dass die Hersteller für jeden investierten Real, zwischen 0,50 und 3,20 Reais an Steuergutschrift erhalten können.

    "Tributação Verde“

    Das Belohnungs-/Bestrafungssystem (“bônus-malus”) bei der Erhebung der Steuer auf Gewerbeerzeugnisse (IPI) zählt auch zu den steuerlichen Anreizen des Programms. Das System “bônus-malus” basiert auf Indikatoren, die bestimmte Eigenschaften des Fahrzeugs berücksichtigen, nämlich:

    1. Energiequelle für den Antrieb
    2. Energieverbrauch
    3. Motorleistung
    4. Wiederverwertbarkeit
    5. strukturelle Leistung und unterstützende Fahrtechnologien

    Die IPI-Sätze werden je nach bei der Fahrzeugproduktion erreichten Nachhaltigkeitsanforderungen festgelegt.  

    Fahrzeuge der Zolltarifnummern 87.01 bis 87.05, unter anderem Traktoren, Pkws und Kfz zur Personenbeförderung, zum Warentransport sowie zu besonderen Zwecken, etwa Rettungs- und Kehrfahrzeuge, können in den Genuss dieser Steuerbegünstigung kommen. Weitere hiervon begünstigten Fahrzeuge sind in der Tabela de Incidência do IPI (Seite 420) ersichtlich. 

    Wiedereinführung der Zölle auf E-Autos

    Nach Angaben des MDIC wurde diese Maßnahme ergriffen, um die heimische Industrie anzukurbeln und die Dekarbonisierung zu beschleunigen. So werden seit Januar 2024 Zölle auf den Import unterschiedlicher Elektrofahrzeuge wieder erhoben. Die Steuersätze werden, je nach Elektrifizierungsgrad, schrittweise festgelegt, bis sie im Juli 2026 35 Prozent erreichen. Für diesen Zeitraum sind außerdem Kontingente vorgesehen. So können Waren bis zu festgelegten Wertgrenzen zollfrei eingeführt werden

    Verschaffen Sie sich mit Hilfe nachstehender Tabellen einen Überblick über die allmähliche Wiedereinführung der Zölle auf Elektrofahrzeuge und die geplanten Kontingente.

    Zeitplan für die Wiedereinführung der Einfuhrzölle auf E-Autos (in Prozent)
    ElektrofahrzeugJanuar 2024Juli 2024Juli 2025Juli 2026
    Elektroautos10182535
    Hybridautos12253035
    Plug-in-Hybridautos12202835
    elektrische Lkws*2035--
    * die Wiederaufnahme des vollen II-Satzes ist schneller möglich, weil die inländische Produktion ausreichend ist. Quelle: "Carros elétricos que estourarem cotas de importação pagarão tarifas" (Nachrichtenagentur Agência Brasil, 01. Januar 2024)

    Kontingente (in Millionen US-Dollar) (1 Euro = 1,09 US-Dollar - Juli 2024)
    Elektrofahrzeugbis Juli 2024bis Juli 2025bis zum 30. Juni 2026
    Elektroautos283 226141 
    Hybridautos130* 97 43
    Plug-in-Hybridautos22616975
    elektrische Lkws20136
    * bis Juni 2024Quelle: "Carros elétricos que estourarem cotas de importação pagarão tarifas" (Nachrichtenagentur Agência Brasil, 01. Januar 2024)

    Vorrangige Programme 

    Überdies senkt Mover die Einfuhrzölle auf den Import von nicht im Land hergestellten Autoteilen (Autopeças não produzidas). Dazu zählen Teile, Komponenten, Bau- und Unterbaugruppen, Fertig- und Halbfertigprodukte sowie Reifen. Voraussetzung ist, dass Importeure zwei Prozent der Gesamteinfuhrsumme in Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprojekte im Rahmen der "Programas Prioritários“ investieren. 

    Wie können sich Unternehmen für Mover qualifizieren?

    Neben vollständiger Erfüllung steueranreizspezifischer Voraussetzungen müssen sich Unternehmen qualifizieren und ihre infrage kommenden Projekte vom MDIC genehmigen lassen. Die Qualifizierung richtet sich insbesondere an:

    • neue Produkte oder Modelle
    • Verlagerungsprojekte
    • Installierung von Recycling-Anlagen 
    • Anreize für den nationalen Energiemix
    • Aufwertung von Biokraftstoffen
    • neue Antriebs- und Elektrifizierungstechnologien 

    Nach Angaben des MDIC gibt es aktuell 89 qualifizierte Unternehmen.

    Weitere Informationen:

    Mitteilung des MDIC vom 27. Juni 2024 mit Liste der qualifizierten Unternehmen.

    Mitteilung der Agência Brasil vom 31. Dezember 2023.

    Von Andrea González Alvarez | Bonn

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