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Flugzeugprojekte in China stehen vor großen Herausforderungen
Die Entwicklung und der Bau ziviler Jets verlaufen schleppend. Die Volksrepublik wird sich nicht alle Vorhaben leisten können. Trotzdem strömen internationale Zulieferer ins Land.
03.12.2021
Von Roland Rohde | Hongkong
China hat einen nahezu unstillbaren Hunger nach neuen Flugzeugen. Für die amerikanische und europäische Flugzeugindustrie sind dies gute Nachrichten. Allerdings wächst im Reich der Mitte auch ein Konkurrent heran: Unter der Federführung des staatlichen Herstellers Commercial Aircraft Corporation of China (COMAC) wurde ein chinesischer Mittelstreckenjet C919 entwickelt und gebaut. Bereits vor geraumer Zeit fand der erste Jungfernflug statt. Doch die ursprünglich für 2016 anvisierte Erstauslieferung soll erst Ende 2021 oder Anfang 2022 erfolgen.
Nach Angaben des Flugzeugbauers gab es Ende November 2021 rund 800 Vorbestellungen, allerdings fast ausschließlich von inländischen Airlines. Damit hat es seit Mai 2020 keine neuen Aufträge gegeben. Das Interesse aus dem Ausland bleibt gering. Als erste Fluggesellschaft unterzeichnete China Eastern Airlines im Herbst 2021 einen Kaufvertrag für fünf Maschinen.
Massenfertigung des C919 noch weit entfernt
COMAC hat große Probleme, die Fertigung hochzufahren. Aktuell kann das Unternehmen nach Einschätzung von Luftfahrtexperten nur zwei Maschinen pro Monat fertigen. Internationale Lieferengpässe bei zahlreichen Vorprodukten sorgen für zusätzliche Herausforderungen. Bis zur Massenproduktion dürften noch Jahre vergehen. Erst um das Jahr 2025 soll COMAC zwölf Jets pro Monat fertigen können.
Immerhin gab es positive Nachrichten im amerikanisch-chinesischen Handels- und Technologiestreit. Die Vereinigten Staaten hatten COMAC vorübergehend auf eine schwarze Liste gesetzt. Demnach mussten US-Zulieferer zunächst Exportlizenzen beantragen, was sich zeitintensiv gestaltete. Doch im Juni 2021 strich die Biden-Administration das Staatsunternehmen wieder von der Sanktionsliste.
Großteil der Kernkomponenten stammt von US-Firmen
Dieser Schritt war für das Projekt überlebenswichtig, denn ohne Zulieferungen aus dem Ausland kann der neue Jet nicht abheben. Die Triebwerke werden etwa von einem französisch-amerikanischen Konsortium geliefert, an dem General Electric und Safran zu jeweils 50 Prozent beteiligt sind. Nach Angaben von Branchenanalysten stammen rund 60 Prozent der Kernkomponenten des C919-Jets von US-Firmen.
Komponente | Anbieter | Herkunft |
---|---|---|
Flugzeugzelle, Radar, Flügel | AVIC | China |
Triebwerke | General Electric/Safran | USA/Frankreich |
Schubumkehr-Triebwerke | French Aircelle | Frankreich |
Flugsteuerungs- und Kraftstoffsystem | Parker Aerospace | USA |
Flügelenteisung, Fahrwerks- und Luftmanagementsystem | Liebherr | Deutschland |
Flugschreiber | General Electric | USA |
Wetterradar, Simulationssysteme | Rockwell Collins | USA |
Elektrisches System, Hilfsstromaggregate, Fahrwerk | Honeywell | USA |
Cockpit | Eaton | USA |
Reifen | Michelin | USA |
Gate Signals | Crane Aerospace & Electronics | USA |
Feuermeldesystem | Kidde | Vereinigtes Königreich |
Insgesamt fällt die im Inland erbrachte Wertschöpfung gering aus. Trotz größter Anstrengungen ist es China nicht gelungen, ein komplettes System zu schaffen. Insbesondere bei den Triebwerken, den mit weitem Abstand teuersten Komponenten, konnten keine wettbewerbsfähigen Erfolge erzielt werden. Außerdem sind nur ein Dutzend der Hauptlieferanten chinesische Unternehmen. Auf der Webseite von COMAC werden die internationalen Zulieferer aufgeführt. Auch deutsche Firmen wie Liebherr oder Thyssenkrupp stehen auf der Liste. Daneben gibt es weitere Spezialanbieter, die aber nicht explizit aufgeführt werden.
Design des Mittelstreckenjets ist bereits veraltet
Doch wie leistungsfähig ist der neue C919-Jet? Letztendlich ist das Flugzeugdesign durch die große Verzögerung des Vorhabens bereits veraltet. Nach Ansicht von Luftfahrtexperten hinkt es den internationalen Ansprüchen, die an moderne Maschinen gestellt werden, knapp zehn Jahre hinterher. Jets wie der Airbus A320neo sind insgesamt moderner und setzen etwa beim Spritverbrauch neue Maßstäbe.
Letztendlich wird sich der C919 jenseits des chinesischen Marktes kaum verkaufen lassen. Im Inland könnte das Modell nach Einschätzung von Analysten einen Marktanteil von 10 bis 20 Prozent erzielen. Legt man die Marktprognose von Boeing zugrunde, entspricht dies für den Zeitraum 2021 bis 2040 einem Volumen von 650 bis 1.300 Maschinen.
Angesichts immenser Subventionen dürfte das C919-Vorhaben insgesamt hohe Verluste einfahren.
Bedenkt man, dass für das Projekt zwischen 49 Milliarden US-Dollar (US$) und 72 Milliarden US$ in Form von Zuschüssen, Krediten und Unternehmensanleihen aufgewendet wurden, ergibt sich damit pro verkauften Jet eine hohe Subventionssumme. Bei dem anvisierten Listenpreis von 50 Millionen US$ wäre das Vorhaben damit nicht annähernd kostendeckend.
Großraumjet in Planung
Vor diesem Hintergrund erscheint mit dem Großraumjet CR929 auch das zweite, wesentlich ehrgeizigere Vorhaben in einem ganz anderen Licht. COMAC tritt bei diesem Projekt wiederum als federführender Partner auf chinesischer Seite auf. Mit der russischen United Aircraft Corporation gründete der Staatsbetrieb bereits ein Joint Venture. Bei dem Zusammenschluss soll es aber Unstimmigkeiten geben.
Des Weiteren ist ein Großraumjet technisch nochmals wesentlich aufwendiger als eine "Single Aisle"-Maschine. Die Entwicklung würde große Geldmengen verschlingen. Die Zeiten, in denen China über scheinbar unbegrenzte finanzielle Mittel verfügte, sind vorbei. Denn die Unternehmensverschuldung erreicht bereits den höchsten Wert in Asien. Zudem dürfte sich das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahrzehnten deutlich abschwächen. Die rasche Alterung der Gesellschaft verlangt immer höhere staatliche Zuschüsse für das Renten- und Gesundheitssystem. Daher könnte das Projekt letztendlich dem Rotstift zum Opfer fallen.
ARJ21 | C919 | CR929 | |
---|---|---|---|
Typ | Regionaljet | Mittelstreckenjet (Single aisle) | Großraumjet (Dual aisle) |
Status | Flugbetrieb seit Anfang 2019 | Erstauslieferung Ende 2021/Anfang 2022; Massenfertigung um 2025 | Derzeit Auswahl von Design und Zulieferern; Aufgabe des Projekts langfristig möglich |
Sitze | 78 bis 90 | 158 bis 168 | 280 (Standardversion; kürzere und längere Version in Planung) |
Reichweite (in km) | 2.225 bis 3.700 | 4.075 bis 5.555 | 12.000 |
Technologischer Stand | Nicht wettbewerbsfähig | Design nicht auf der Höhe der Zeit; hohe Abhängigkeit von ausländischen Komponenten | Hohe Abhängigkeit von ausländischen Zulieferungen erwartet |
Kommerzieller Erfolg | Circa 40 Auslieferungen; 616 Bestellungen, fast ausschließlich aus China | 815 Bestellungen, fast ausschließlich aus China; 5 Verkäufe | Markteinführung bzw. Markterfolg im Ausland fraglich |
Erste Joint Ventures für CR929-Projekt
Dennoch dürfte die Umsetzung des Vorhabens in den kommenden Jahren zunächst nach Plan laufen, sodass sich für ausländische Firmen durchaus Geschäftschancen ergeben. Derzeit befindet sich die CR929-Maschine in der Designphase und in der Auswahl der Lieferanten. Einige Joint Ventures zwischen chinesischen und ausländischen Firmen wurden im Umfeld des Vorhabens gebildet, so unter anderem Spirit (USA), GKN (Vereinigtes Königreich) und Leonardo (Italien). Wer jetzt zögert, könnte den richtigen Zeitpunkt für den Markteinstieg verpassen.
Die Lieferantenauswahl könnte zwei bis drei Jahre lang dauern. Dabei legt COMAC großen Wert auf das Prestige des Partners und einen hohen Lokalisierungsgrad. Zunächst findet nach der gängigen Praxis eine Ausschreibung statt. Nach dem Zuschlag erfolgen die eigentlichen Vertragsverhandlungen. Damit bleibt stets das Risiko, wieder aus dem Rennen geworfen zu werden.