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Indien sieht positive Effekte aus etwaiger US-Zollpolitik
Die Welt bleibt im Argen darüber, ob US-Zölle kommen. Indien bewertet die Situation anders als die meisten anderen Länder und hofft, von möglichen Zöllen zu profitieren.
10.04.2025
Von Florian Wenke | Mumbai
Die USA haben gegenüber Indien Zölle in Höhe von 26 Prozent verkündet, vorher lag der durchschnittliche Zollsatz bei 3,3 Prozent. Die neuen Zölle werden laut Trumps Verkündung vom 9. April 2025 für 90 Tage ausgesetzt. Sollten sie danach wieder in Kraft treten, dann werden sie auch in Indien für wirtschaftliche Verwerfungen sorgen.
Die Handelsbeziehungen mit den USA sind eng
Indiens Wirtschaft ist nur zu einem geringen Teil von Exporten abhängig. Laut Weltbank erreichten die indischen Warenexporte 2023 einen Wert von 30,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Im Vergleich: Vietnams Ausfuhren lagen bei 158 Prozent des BIP.
Für Indien sind die USA der wichtigste individuelle Handelspartner. Im Jahr 2024 gingen laut indischen Angaben 18,2 Prozent der Exporte des Subkontinents in die Vereinigten Staaten, im Wert von 80,8 Milliarden US-Dollar (US$). Die USA beziffern ihre Einfuhren aus Indien für das gleiche Jahr sogar auf 91,2 Milliarden US$. Damit stand Indien 2024 für 2,7 Prozent der Gesamteinfuhren der USA. Zu den wichtigsten Waren, die Indien in die USA liefert, gehören unter anderem Arzneimittel, Elektronik, Nahrungsmittel, Diamanten und Schmuck sowie Kfz-Teile.
Zölle würden indische Wirtschaft nur bedingt treffen
Sollten die Zölle wie vom Trump vor dem 9. April 2025 angekündigt umgesetzt werden, wäre das für Indien weniger dramatisch als für andere Nationen. Die Wirtschaft ist größtenteils binnenorientiert. Faktoren wie der inländische Konsum sind viel wichtiger für die Konjunktur als Exporte.
Dennoch: Die in Indien ansässige Global Trade Research Initiative (GTRI) schätzt, dass die Zölle, sofern sie in Höhe von 26 Prozent umgesetzt werden, die indischen Exporte in die USA im Jahr 2025 um 5,76 Milliarden US$ verringern werden. Laut GTRI werden besonders die Exporte von Eisen und Stahl, Diamanten, Gold und Schmuck, Kfz-Teilen sowie Elektronik und Elektrotechnik betroffen sein.
Zölle auf indische Pharmaprodukte, die für über 14 Prozent der Gesamtausfuhren des Subkontinents in die USA stehen, würden Indien allerdings ins Mark treffen. Trump sagte zwar zunächst keine Zölle auf indische Medikamente zu, das sollte aber nur temporär gelten. Aber auch hier verkündete der US-Präsident laut Reuters am 8. April 2025 eine Kehrtwende. Damit will Trump Druck ausüben, dass die Unternehmen in den USA produzieren. Indische Branchenvertreter sehen aufgrund der kostengünstigen Produktion in Indien jedoch kaum Spielraum für Produktionsverlagerungen in die USA.
In einer Phase, in der sich die indische Wirtschaft auf hohem Niveau abkühlt, wären die Zölle ein Dämpfer für die Konjunktur. Im Finanzjahr 2024/2025 (1. April bis 31. März) wuchs Indiens BIP vorläufigen Schätzungen zufolge um 6,5 Prozent. Volkswirte gehen davon aus, dass die Zölle das Wirtschaftswachstum zwischen 0,3 und 0,6 Prozentpunkten verringern werden. Hinzu käme der Kollateralschaden durch die Zölle auf den Welthandel. Die Deutsche Bank schätzte vor dem 9. April, dass sich 1 Prozentpunkt Verlust an globalem Wirtschaftswachstum in 0,5 Prozentpunkte Verlust am indischen BIP niederschlägt.
Um das Wirtschaftswachstum zu stützen, sehen viele Volkswirte nun Spielraum für weitere Leitzinssenkungen der indischen Zentralbank. Anfang April 2025 erfolgte bereits die zweite Zinssenkung in diesem Jahr. Der Leitzins liegt nun bei 6 Prozent. Beobachter gehen nun davon aus, dass 2025 noch mindestens eine weitere Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte erfolgen wird, wahrscheinlich auf der Sitzung des zuständigen Ausschusses der Reserve Bank of India am 6. Juni 2025.
Indiens Exporte könnten von US-Zöllen profitieren
Sollten die US-Zölle alle Länder treffen, hofft New Delhi mittelfristig auf handelsumlenkende Effekte, denn viele andere Länder in Asien wären von weitaus höheren Zöllen betroffen, wie beispielsweise Vietnam, Kambodscha und China. Indien ist optimistisch, zukünftig Exportanteile der mit höheren Zöllen belegten Länder übernehmen zu können, beispielsweise in den Bereichen Bekleidung, Schuhe, Elektronik, aber auch bei Industriechemikalien.
Die Zölle könnten Indien zu einer stärkeren wirtschaftlichen Öffnung und einer Abkehr vom Protektionismus zwingen. Um sich dem Wettbewerb erfolgreich stellen zu können, sehen Volkswirte es als zwingend an, dass indische Unternehmen wettbewerbsfähiger werden. Das würde langfristig der Wirtschaft im Land helfen.
Handelsabkommen sind wahrscheinlicher als Gegenzölle
Indien möchte die Konfrontation mit den USA vermeiden. Daher scheint eine konziliante Reaktion der indischen Regierung wahrscheinlicher als die Einführung von Gegenzöllen. Bereits im Februar 2025 vorgestellten Staatshaushalt hatte Indien Zollsenkungen verkündet, unter anderem für Motorräder und Bourbon – Produkte, die oft in den USA produziert werden.
Derzeit diskutieren beide Länder über ein Handelsabkommen. Die erste Phase des Abkommens soll bis Herbst 2025 verhandelt sein und dann in Kraft treten. Die neuen US-Zölle haben den Erfolgsdruck für die Verhandlungen deutlich erhöht. Einige Beobachter gehen davon aus, dass bereits mit Abschluss der ersten Phase signifikante Zollsenkungen von indischer Seite erfolgen. Zudem würden die US-Zölle den Druck erhöhen, andere Handelsabkommen zügig zum Abschluss zu bringen und so das Partnernetzwerk zu diversifizieren. Darunter fallen auch Verhandlungen mit der EU. Bis Ende 2025 wollen beide Seiten ein fertiges Vertragswerk vorweisen.
Grundsätzlich haben Indiens Premierminister Narendra Modi und US-Präsident Donald Trump ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Die Staatsoberhäupter besuchten sich in der Vergangenheit gegenseitig und wurden im jeweiligen Gastland aufwendig empfangen.