Wirtschaftsumfeld | Kanada | US-Wahl
Ausgang der US-Wahl beeinflusst Kanadas Wirtschaft erheblich
Ein US-Pauschalzoll auch auf kanadische Waren träfe vor allem den Kfz-, Energie- und Bergbausektor des Landes empfindlich. Doch auch ohne neue Zölle drohen Unsicherheiten.
14.11.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Eine weitere Lockerung der geldpolitischen Zügel in Kanada könnte grundsätzlich die Voraussetzungen für einen echten Aufschwung schaffen. Laut Prognosen im Herbst 2024 könnte die Wirtschaft des Landes 2025 um 1,5 bis 2 Prozent wachsen.
Allerdings sind solche Vorhersagen derzeit mit großen Unsicherheiten behaftet. Zum einen wegen des erwarteten Regierungswechsels in Ottawa: Vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr 2025 gelten als realistisch, und die oppositionellen Konservativen führen klar in den Umfragen. Zum anderen aber auch wegen des Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen in den USA: Durch einen Pauschalzoll von 10 Prozent auch auf kanadische Produkte, den Donald Trump wiederholt ins Gespräch brachte, entstünde laut Untersuchungen der kanadischen Handelskammer (CCC) ein gesamtwirtschaftlicher Schaden von 32 Milliarden US-Dollar (US$). Das entspräche 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Starke Außenhandelsverflechtung mit den USA
Mehr als drei Viertel der kanadischen Ausfuhren gehen in das Nachbarland. Der Pauschalzoll hätte daher einen erheblichen Rückgang der Exporte zur Folge, besonders von Öl, Gas und Bergbauerzeugnissen. "Die stärksten negativen Auswirkungen müsste aber der Automobilsektor befürchten", sagt Anton Sestritsyn von der Beratungsfirma NorthGuide. Denn die automobile Lieferkette ist global stark integriert und schwer zu diversifizieren. Kanadas Kfz-Industrie müsste im US-Geschäft mit Einbußen von etwa einem Fünftel rechnen. Betroffen wäre davon auch VW.
Darüber hinaus sind Kanadas Chemie-, Gummi- und Kunststoffindustrie sowie die Land-/Forstwirtschaft und der Maschinenbau überdurchschnittlich stark vom US-Markt abhängig. Daher verwundert es nicht, dass 85 Prozent der kanadischen Führungskräfte bereits ein halbes Jahr vor der US-Wahl ihre Geschäftsstrategien überarbeiteten, um sich auf einen Führungswechsel im Weißen Haus vorzubereiten. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage der Unternehmensberatung KPMG.
Ob ein neuer Pauschalzoll auch auf kanadische Erzeugnisse nun nach Trumps Wiederwahl überhaupt realistisch ist, muss bezweifelt werden. Denn damit würde er das NAFTA-Nachfolgeabkommen USMCA ad absurdum führen – und gerade das USMCA-Abkommen sieht Trump als eine große Errungenschaft seiner ersten Amtszeit.
Neue Zölle womöglich als Druckmittel für politische Forderungen
Wahrscheinlicher scheint daher, dass Trump Zölle als Druckmittel einsetzen könnte, um Kanada zu Zugeständnissen bei den USMCA-Neuverhandlungen im Jahr 2026 zu zwingen – ähnlich wie bei den von ihm damals verhängten Stahl- und Aluminiumzöllen.
Vor allem im Automobilbereich haben die USMCA-Regeln nicht so funktioniert, wie Trump es beabsichtigt hatte. Anstatt sich in den USA anzusiedeln und dort Jobs zu schaffen, importieren viele Kfz-Hersteller und -Händler in den USA lieber Pkw und Teile aus Mexiko zu einem niedrigen Zollsatz.
Sowohl Trump als auch die unterlegene demokratische Rivalin Kamala Harris hatten vor der Wahl angedeutet, dass sie im Fall eines Wahlsiegs das USMCA-Abkommen wieder aufschnüren wollen. Neben dem Kfz-Sektor dürfte dabei auch Kanadas Digitaldienstleistungssteuer (Digital Services Tax) eine wichtige Rolle spielen. Sie wird seit dem 1. Januar 2024 – rückwirkend zum Jahresanfang 2022 – mit einem Satz von 3 Prozent auf bestimmte kanadische Umsätze aus digitalen Dienstleistungen von Großunternehmen erhoben. Im Fokus stehen dabei Einnahmen von US-Tech-Giganten wie Meta Platforms und Amazon. Ein weiterer Dorn im Auge der Amerikaner sind Kanadas Einfuhrkontrollen und Mengenbeschränkungen für Milchprodukte sowie Eier.
Androhungen können auch ohne Umsetzung Schäden auslösen
Neue Handelsbarrieren, gleich welcher Art, könnten zu steigenden Preisen und Inflation führen. Um in Partnerländern wirtschaftliche Unsicherheit auszulösen, müsste es aber nicht einmal so weit kommen. So nahm Trump während seiner früheren Amtszeit ausgesprochene Drohungen wie die eines 25-prozentigen Strafzolls auf US-Autoimporte aus der EU monatelang nicht zurück. Vor diesem Hintergrund konnten weder Exporteure noch potenzielle Investoren fundierte Entscheidungen treffen. Allein Trumps unvorhersehbare Politik, wie die Androhung und Nichtdementierung angedrohter protektionistischer Maßnahmen, könnte die kanadische Zentralbank dazu bewegen, ihre geldpolitischen Zügel wieder anzuziehen, was Investitionen und das Wirtschaftswachstum verlangsamen würden.
Eine Harris-Regierung wäre bei neuen Zöllen vermutlich zurückhaltender gewesen – oder wenn es darum geht, sie als wirtschaftliche Waffe einzusetzen, insbesondere gegen Verbündete wie Kanada. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin hatte signalisiert, dass sie die Politik der derzeitigen Regierung fortgesetzt hätte, die staatliche Förderungen in dreistelliger Milliardenhöhe für US-Fertigungsunternehmen vorsieht.
Allerdings hat sich diese Politik auch schon für Kanada als teuer erwiesen: Denn um zu verhindern, dass Großinvestitionen in die USA abwandern, die vor Verabschiedung des Inflation Reduction Act (IRA) bereits in Kanada geplant gewesen waren, musste die Regierung in Ottawa die Fördermittel für die betreffenden Unternehmen deutlich aufstocken.
Insgesamt dürfte Trumps Wiederwahl aufgrund seiner aggressiven Handelspolitik und seines unvorhersehbaren Verhaltens zu größeren wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen für Kanada führen. Auch Harris‘ Ansatz trug protektionistische Züge, wäre aber wahrscheinlich berechenbarer und weniger störend gewesen. Denn der wirtschaftliche Aufschwung im nördlichen Nachbarland der USA lässt länger auf sich warten als noch vor einem halben Jahr angenommen. Zudem steht er noch immer auf tönernen Füßen.