Wirtschaftsausblick | Kanada
Kanadas Wirtschaftsaufschwung verzögert sich
Das Wachstum in Kanada wird erst 2025 wieder anziehen. Lockert die Zentralbank die Geldpolitik im kommenden Jahr weiter, könnte die Wirtschaft um 2 Prozent steigen.
08.11.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Top-Thema: Deutsche Technologien können von grünen ITCs profitieren
Kanada setzt seine staatlich subventionierte, "grüne" Industriestrategie fort. Im Juni 2024 verabschiedete die liberale Minderheitsregierung die ersten vier von insgesamt sechs geplanten, rückzahlbaren Steuergutschriften (Investment Tax Credits; ITCs) für Investitionen in eine saubere Wirtschaft.
Die ITCs gelten als Beschleuniger der Energiewende: Sie schaffen Anreize zum Ausbau der Produktion und Verarbeitung sowie dem Recycling kritischer Mineralien. Außerdem können sie CCUS, also Carbon-Capture-Utilisation-and-Storage-Anwendungen und -Projekte, in verschiedenen Industriezweigen ankurbeln. Darüber hinaus können Investoren in saubere Wasserstoffvorhaben in Kanada bis zu 40 Prozent ihrer Kosten steuerlich geltend machen.
Die Ergebnisse einer KPMG-Umfrage vom Februar 2024 deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach ITCs hoch sein wird: 83 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen gaben an, dass sie sich mehr Unterstützung und Anreize für Dekarbonisierungsmaßnahmen wünschen. Fast die Hälfte von ihnen sucht gezielt nach Förder- und Anreizprogrammen, um entsprechende Vorhaben finanzieren zu können.
Pierre Poilievre, Chef der Konservativen und möglicher nächster Regierungschef Kanadas, gilt indes nicht als Freund der unter der Trudeau-Administration beschlossenen ITCs. Zumindest hat er sich bisher nicht zu staatlichen Subventionen für "grüne" Investitionen bekannt. Seine Partei führt klar in den Wahlumfragen, und vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr 2025 gelten als realistisch.
Wirtschaftsentwicklung: Erholung steht auf wackeligen Beinen
Nach einem Plus von 1,2 Prozent im Jahr 2023 wird Kanadas Wirtschaft 2024 voraussichtlich nur um 1,1 Prozent wachsen. Die Prognosen für 2025 bewegen sich zwischen 1,5 und 2 Prozent.
Die Wirtschaft des Landes profitiert von einer schrittweisen Leitzinssenkung auf zuletzt 3,75 Prozent (Stand Ende Oktober 2024). Die Kreditvergabebedingungen haben sich laut Unternehmensberichten verbessert. So verlangen die Geschäftsbanken nur noch geringe Aufschläge auf den Leitzins. Auch ist die Bereitschaft gestiegen, neue Kredite zu vergeben. Dennoch bleiben Firmenkredite für viele Betriebe weiterhin zu teuer.
Zudem meldeten die Unternehmen im 3. Quartal 2024 nur ein schwaches Umsatzwachstum. Erweiterungsinvestitionen sind weiterhin rar. In der Erwartung weiterer Zinssenkungen hellt sich die Stimmung aber langsam auf – trotz fortbestehender Überkapazitäten und steigender Insolvenzzahlen.
Unternehmen investieren vorrangig im Öl- und Gasssektor sowie der Automobilindustrie
Angetrieben werden die Anlageinvestitionen durch höhere Ausgaben für Ingenieurbauwerke, hauptsächlich im Öl- und Gassektor. Außerdem hat der Bau von Batteriefabriken für Elektrofahrzeuge begonnen, darunter der VW-Tochter PowerCo in St. Thomas, Ontario: Die Arbeiten zur Grundstücksvorbereitung sind bereits abgeschlossen. Auch Honda kündigte im April 2024 Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe in neue Produktionsstätten für E-Autos in Kanada an. Der Bedarf an innovativen Anlagen für Batteriezellfertigung, Handling-Systeme und Roboteranwendungen ist im Zuge der geplanten Gigafabriken groß.
Die Konsumausgaben der privaten Haushalte stocken dagegen angesichts der Schuldenlast und des schwächelnden Arbeitsmarkts. Unterstützt werden sie vor allem durch das starke Bevölkerungswachstum. Die Ratingagentur Fitch erwartet, dass die Hypothekenzinsen in Kanada trotz erwarteter weiterer Leitzinssenkungen hoch bleiben.
Auch Kanadas Außenhandel hat sich 2024 bisher nicht wesentlich belebt. Das gilt auch für den bilateralen Warenaustausch mit Deutschland. Auf US-Dollar-Basis exportierte Deutschland im 1. Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum 0,5 Prozent mehr Waren nach Kanada und bezog von dort 1 Prozent mehr. Überdurchschnittliche Ausfuhrzuwächse gab es aus deutscher Sicht bei chemischen Erzeugnissen und Nahrungsmitteln, deutliche Rückgänge dagegen bei Fahrzeugen sowie Maschinen und Ausrüstungen.
Wirtschaftsprognosen derzeit besonders unsicher
Eine weitere Lockerung der geldpolitischen Zügel könnte die Voraussetzungen für einen echten Aufschwung im nächsten Jahr schaffen. Allerdings sind Prognosen derzeit mit großen Unsicherheiten behaftet: zum einen wegen des erwarteten Regierungswechsels im eigenen Land, zum anderen wegen der Präsidentschaftswahlen in den USA.
Ein Pauschalzoll von 10 Prozent auch auf kanadische Produkte, den Donald Trump wiederholt ins Gespräch brachte, ist nach seiner Wiederwahl zwar eher unrealistisch, da er das NAFTA-Nachfolgeabkommen USMCA ad absurdum führen würde. Trumps unvorhersehbare Politik könnte indes zu Unsicherheit führen und neue Handelsbarrieren zu steigenden Preisen sowie höherer Inflationsrate. Beides könnte die kanadische Zentralbank dazu bewegen, die geldpolitischen Zügel wieder anzuziehen, was Investitionen und das Wirtschaftswachstum verlangsamen würde.
Deutsche Perspektive: Ausbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft mit viel Potenzial
Immer mehr Unternehmen wollen in Kanadas Atlantikprovinzen Windenergie generieren und damit grünen Wasserstoff erzeugen, der dann später in Form von Ammoniak nach Deutschland transportiert wird. Zwar wurde für kein Projekt bisher eine endgültige Investitionsentscheidung getroffen, doch sind Fortschritte unübersehbar: So will Nova Scotia schon im nächsten Jahr Auktionen für Pachtverträge von Offshore-Windprojekten mit einer Kapazität von 5 Gigawatt anbieten. Deutschland hat im Oktober 2024 mit der Genehmigung des Wasserstoffkernnetzes die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Netzbetreiber nun schrittweise die Infrastruktur aufbauen können.
Hieraus können deutschen Unternehmen zahlreiche Zulieferchancen in Kanada erwachsen, zum Beispiel für Windkrafttechnik, fortschrittliche Elektrolyseure, Power-to-Gas-Anlagen und Brennstoffzellentechnologie.
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