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Wirtschaftsumfeld | Naher und Mittlerer Osten | Wachsende Risiken

Flächenbrand in Nahost hätte weitreichende wirtschaftliche Folgen

Die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges im Nahen Osten besteht weiter. Das hätte weitreichende Folgen für die Wirtschaft in der Region – und darüber hinaus.

Von Robert Espey, Wladimir Struminski | Dubai, Jerusalem

Die Entwicklung in Israel und im gesamten Nahen Osten seit dem Überfall auf Israel vor zehn Monaten hat auch der Wirtschaft noch einmal verdeutlicht, dass ein Engagement in dieser Region mit erheblichen Risiken verbunden ist. Die Konflikte in Israel/Palästina, in Libanon, Syrien, Irak und Jemen strahlen auf die gesamte Region aus.

In keinem dieser Länder ist eine nachhaltige Lösung in Sicht. Auch wenn an einer zusätzlichen Eskalation kein Akteur Interesse haben kann, ist die Gefahr eines größeren Krieges nicht gebannt. Von den wirtschaftlichen Folgen wären in erster Linie die involvierten Länder betroffen. Ein drohender Flächenbrand könnte aber auch die Wirtschaft in anderen Ländern der Region, etwa in den Golfstaaten, in Mitleidenschaft ziehen. Gleichzeitig wären globale Lieferketten und Handelsrouten betroffen – und auch für die deutsche Wirtschaft hätte das Folgen.

Israels Wirtschaft hängt an den globalen Lieferketten

Für Israel sind die hohen Kriegskosten bereits jetzt eine große Belastung. Im Juli 2024 lag das Haushaltsdefizit bei 8,1 Prozent; 2023 betrug es noch 5 Prozent. Für das Gesamtjahr 2024 erwartet die Zentralbank ein Defizit von 6,6 Prozent; die Ratingagentur Fitch prognostiziert ein Defizit von 7,8 Prozent. Nicht verteidigungsrelevante Ausgaben zum Beispiel für Infrastruktur oder das Gesundheitswesen dürften in den kommenden Jahren deutlich gekürzt werden.

Deutsche Unternehmen, die in diesen Bereichen Waren oder Dienstleistungen in Israel erbringen, müssen schon jetzt mit gedämpfter Nachfrage rechnen. Ein fortwährender massiver Raketenbeschuss israelischer Ziele durch die Hisbollah oder andere Akteure würde dies massiv verstärken und könnte wichtige Infrastrukturen des Landes treffen. Dazu gehören auch die Offshore-Förderplattformen für Erdgas, von dem ein Großteil der Stromversorgung Israels abhängt. Ein Teil des geförderten Erdgases wird nach Jordanien und Ägypten exportiert, so dass es auch dort spürbare Beeinträchtigungen gäbe. Weitere Ziele dürften die Seehäfen am Mittelmeer sowie der internationale Flughafen Ben Gurion sein.

Eine langanhaltende Beeinträchtigung der Lieferketten würde Israel empfindlich treffen. Praktisch der gesamte Außenhandel des Landes wird auf dem See- oder Luftweg abgewickelt. Im Jahr 2022 entfielen dem Warenwert nach knapp 30 Prozent der Importe sowie knapp 60 Prozent der Exporte auf Luftfracht. Per Luftfracht werden insbesondere hochwertige Waren wie Elektronik, Optik oder Diamanten befördert. Zudem würde die Zuverlässigkeit Israels als Investitionsstandort erheblich leiden. 

Für Deutschland wäre dies im Industriebereich weniger relevant, da nur wenige deutsche Unternehmen Produktionsstätten vor Ort haben. Der Technologiezukauf zum Beispiel von FuE-Diensten oder Software dürfte aber leiden, da gegebenenfalls Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aus Israel weg verlagert würden. Das könnte auch die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit deutschen Unternehmen auf diesem Gebiet beeinträchtigen.

Deutscher Außenhandel mit Ländern der Region (Januar bis Mai 2024)In Millionen Euro (Veränderung zum Vorjahreszeitraum in %)
 

Exporte

%

Importe

%

Israel

2.199,7

-6,2

1.247,3

3,2

Golfkooperationsrat

8.530,9

4,2

2.119,2

-61,3

  Saudi-Arabien

3.258,1

0,7

904,3

-5,7

  Vereinige Arabische Emirate

3.810,1

9,5

690,8

-81,8

Ägypten

1.582,1

-20,3

666,9

13,0

Islamische Republik Iran

521,3

13,4

100,4

-13,6

Irak

522,8

16,4

744,6

37,8

Libanon

189,8

0,7

18,6

-11,4

Quelle: Statistisches Bundesamt, August 2024

Kritische Transportrouten verlaufen durch die Region

In der Golfregion könnte die Duldung oder Unterstützung einer Koalition aus westlichen Staaten unter Führung der USA durch arabische Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain iranische Angriffe auf Ziele in den genannten arabischen Ländern zur Folge haben. Anders als während des Iran-Irak-Krieges (1980 bis 1988) verfügt Iran heute über ein beträchtliches, relativ modernes, Waffenarsenal und könnte erhebliche Schäden verursachen. 

Iran könnte auch mit dem Einsatz nuklearer Waffen drohen. Neben den US-amerikanischen Militärstützpunkten wären vermutlich vorrangig die Ölförderung und Infrastruktureinrichtungen (Strom, Wasser, Verkehr etc.) im Visier iranischer Militäraktionen. Auch mit starken Behinderungen des Schiffsverkehrs in der (alternativlosen) Straße von Hormuz müsste gerechnet werden.

Hormuz und Suez als Nadelöhre der Weltwirtschaft

Durch die Meerenge von Hormuz wurden 2023 täglich durchschnittlich mehr als 20 Millionen Barrel Rohöl, Kondensate und Ölprodukte transportiert. Dies entsprach etwa einem Fünftel des weltweiten Verbrauchs. Lieferländer, die die Straße von Hormuz für Öl- und Gasexporte nutzen, sind vor allem Saudi-Arabien, die VAE, Kuwait, Irak und Iran. Der Flüssiggastransport insbesondere aus Katar durch die Straße von Hormuz lag 2023 bei durchschnittlich knapp 300 Millionen Kubikmetern pro Tag. Der Ausfall der Öl- und Gaslieferungen würde die Energiepreise explodieren lassen, mit massiven Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Versorgungsengpässe bei Öl und Gas würden in der Folge auch die deutsche Wirtschaft direkt und indirekt durch eine abgeschwächte globale Konjunktur treffen. Zudem liegen in der Region einige für deutsche Unternehmen nicht unbedeutenden Absatzmärkte. Im Jahr 2023 gingen in diese Staaten deutsche Exporte im Wert von über 30 Milliarden Euro. Die VAE führten mit 8,6 Milliarden Euro, gefolgt von Saudi-Arabien mit 8,1 Milliarden Euro und Israel mit 5,3 Milliarden Euro.

Mit dem Suezkanal liegt ein weiteres Nadelöhr der Weltwirtschaft in der Region. Durch die Angriffe der Huthi-Rebellen am Horn von Afrika ist der Verkehr durch den Kanal aber bereits im Frühjahr 2024 eingebrochen. Die Auswirkungen der Angriffe im Roten Meer auf die globalen Lieferketten waren nur während der Umstellungsphase drastisch. Aber die längere, geopolitisch stabile Ausweichroute rund um Afrika hält die Folgen von Krisen im Roten Meer für den Welthandel in einem berechenbaren, auch Kunden zu vermittelnden Rahmen. Gravierender hingegen sind die Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft, vor allem Ägyptens. Hatte die Betreibergesellschaft des Suezkanals im Geschäftsjahr 2022/2023 noch einen Rekordumsatz von knapp 10 Milliarden US$ erzielt, rechnet das ägyptische Finanzministerium für 2024 mit einem Rückgang der Einnahmen um bis zu 60 Prozent. 

Die Bedeutung der Straße von Hormuz und des Suezkanals wird im GTAI-Special Meerengen und Alternativrouten dargestellt.

Konflikte schwächen die gesamte Region

Die Krisen in der Region führen jedoch bei Unternehmen immer wieder zu Verunsicherungen. Dies hat unter anderem eher vorsichtige Investitionsstrategien zur Folge. Firmen, die noch nicht oder nur sporadisch in der Nahostregion tätig sind, dürften sich derzeit eher nicht für einen Einstieg oder für eine Ausweitung ihrer Geschäftsbeziehungen entscheiden.

Allerdings haben Konflikte den Ländern des Golfkooperationsrates in der Regel nicht signifikant geschadet, sondern in einigen Fällen sogar genutzt. Krisen können die Energiepreise in die Höhe treiben und damit viel zusätzliches Geld in die Staatskassen spülen.

Trotz der grundsätzlichen Rivalitäten mit Iran bemühen sich Saudi-Arabien, die VAE und andere arabische Länder seit Jahren, nicht in den Konflikt zwischen Iran und den USA sowie Israel hineingezogen zu werden. Die Kontakte zu Teheran sind wieder intensiver. Gleichzeitig haben die Länder auch die Beziehungen zu Israel ausgebaut. China und Russland gelten in den GCC-Ländern als wichtige Partner.

Im Falle einer weiteren Eskalation zwischen Israel und Iran werden die GCC-Länder versuchen, nicht zu Konfliktparteien zu werden. Für die GCC-Regierungen würde es jedoch bei einer Fortsetzung des Krieges in Gaza und einer weiteren Verschärfung der humanitären Krise zunehmend schwieriger, sich herauszuhalten beziehungsweise sich auf die Verurteilung des israelischen Vorgehens zu beschränken.
 

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