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Nachbarn und Handelspartner am südlichen Mittelmeer

Nordafrika ist durch das Mittelmeer eng mit Europa verbunden. Das Potenzial der geografischen Nähe wurde bisher von beiden Seiten nur zum Teil genutzt.

Von Michael Monnerjahn | Bonn

Die Länder Nordafrikas mussten in den vergangenen Jahren vielfältige politische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen bewältigen. Das Interesse an der Region ist jedoch zuletzt deutlich gestiegen. Das zeitweilige Reißen von Lieferketten, die hohen Transportpreise und die Neubewertung politischer Risiken haben dazu geführt, sich wieder intensiver mit der Region zu beschäftigen.

Die Diversifizierung von Lieferketten leistet aber nicht nur einen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Sie kann in der Region Nordafrika auch Motor für nachhaltiges, inklusives Wachstum und Entwicklung sein: Neue Arbeitsplätze können Menschen eine gute und sichere Beschäftigung ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist die qualifizierte Ausbildung von Fachkräften sowie die Einhaltung von Umwelt und Sozialstandards. Deutsche Unternehmen können hierzu mit ihrem Know-how und der sorgfältigen Prüfung ihrer Lieferketten einen wesentlichen Beitrag leisten.

Europa ist wichtigste Handelsregion für Nordafrika

Mehr als die Hälfte der Exporte Nordafrikas gehen in die EU, lediglich 5 Prozent nach China und 6 Prozent in die USA. Die erdgas- und erdölfördernden Länder wie Ägypten, Algerien und Libyen liefern ihre Energierohstoffe zum großen Teil in den Norden. Andere Exportgüter wie landwirtschaftliche Produkte, Textilien oder elektronische Erzeugnisse werden ebenfalls hauptsächlich in die EU geliefert. Der Handel innerhalb der Region ist dagegen marginal. Die Afrikanische Union schätzt, dass lediglich 5 Prozent der Exporte in die Nachbarländer gehen und nur 8 Prozent in andere afrikanische Länder.

Die Voraussetzungen für einen intensiveren Handel, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Region, sind jedoch gut. Die relativ junge Bevölkerung ist deutlich besser ausgebildet als die vorherige Generation, eine industrielle Produktion ist in allen Ländern vorhanden, und der Wunsch nach wirtschaftlichem Fortschritt ist groß. Bei allen Gemeinsamkeiten sind die Bedingungen in den einzelnen Ländern und für bestimmte Branchen sowie Warengruppen sehr unterschiedlich. Besonders attraktiv sind die Länder Nordafrikas derzeit für Unternehmen aus der Automobilbranche und dem Textilsektor. Ebenso sind die Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie chancenreich. Sogar die Luft- und Raumfahrtindustrie hat die Region zuletzt entdeckt.

Die Region im Überblick

Die fünf unmittelbar an das Mittelmeer angrenzenden Länder – Ägypten, Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien – verfügen mit 5,7 Millionen Quadratkilometer über eine größere Fläche als die EU. Die 216 Millionen Einwohner leben zu einem großen Teil in unmittelbarer Nähe des Mittelmeers. Dort befinden sich – mit der Ausnahme der am Nil gelegenen Megacity Kairo – die großen urbanen Räume und auch die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen.

Mit Ägypten, Algerien und Marokko befinden sich in der Region drei der fünf größten Volkswirtschaften Afrikas. Das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt (BIP) der fünf nordafrikanischen Länder in Höhe von 886 Milliarden US-Dollar (US$) entspricht etwa dem der Schweiz. Das Handelsvolumen der Region mit Deutschland gleicht wiederum dem von Brasilien und knapp dem des wichtigsten deutschen Handelspartners in Afrika – der Republik Südafrika.

Tunesien

Tunesien ist mit 12,5 Millionen Einwohnern und einem BIP von 46,3 Milliarden US$ nach Libyen der kleinste Markt in Nordafrika. Gemessen an den deutschen Importen aus Tunesien ist das Land für deutsche Unternehmen jedoch der wichtigste Markt. Die Importe erreichten 2022 ein Volumen von 2,6 Milliarden Euro. Die deutschen Exporte nach Tunesien beliefen sich auf 1,7 Milliarden Euro. Während jedoch das deutsch-tunesische Handelsvolumen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Viertel zulegte, hinkt die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung hinterher. Das reale BIP wächst nur noch zwischen 2 und 3 Prozent.

Lange Zeit war Tunesien die liberalste Volkswirtschaft in der Region und siedelte erfolgreich internationale Unternehmen an. Die Demokratisierung des Landes in Folge der Revolution im Frühling des Jahres 2011 sorgte für ein weiter wachsendes Interesse an dem Land. Die tunesische Bevölkerung zeigte sich jedoch zunehmend enttäuscht von der wirtschaftspolitischen Bilanz der wechselnden Regierungen. Inzwischen herrscht der Präsident Kais Saied zunehmend autoritär und hat das ursprünglich starke Parlament durch ein von ihm initiiertes Referendum entmachtet.

Deutsche Unternehmen investieren in beschäftigungsintensiven Bereichen

Die tunesische Politik steht vor der Herausforderung seine bisherige Vorreiterrolle wieder zu erlangen. Dafür sind Strukturreformen notwendig, zu denen sich das Land auch in Gesprächen mit internationalen Organisationen sowie Geberländern befindet. Grundsätzlich sind diese bereit, den weiteren Reformprozess Tunesiens zu unterstützen. Die deutsche Bundesregierung hat das Land bereits in den vergangenen Jahren bei seinen Reformbemühungen unterstützt.

Unabhängig von der derzeitigen politischen Situation ist Tunesien ein wichtiger Standort für europäische und insbesondere auch deutsche Unternehmen in Nordafrika. Insgesamt haben ausländische Unternehmen in Tunesien 33,4 Milliarden US$ investiert. Deutschland hat daran nur einen relativ kleinen aber zugleich bedeutenden Anteil. Denn während der Bestand deutscher Investitionen nur bei 251 Millionen Euro liegt, beschäftigen die 41 deutschen Unternehmen vor Ort insgesamt 50.000 Mitarbeitende in ihren Betrieben.

Eine Sonderrolle nimmt Tunesien aktuell für den libyschen Markt ein. Schon in früheren Zeiten fanden viele Lebensmittel und Konsumgüter ihren Weg nach Libyen über Tunesien. In den vergangenen Jahren wurde das Land auch Standort für Botschaften und internationale Organisationen, die in Libyen aktiv sind. Mit der politischen Stabilisierung Libyens könnte diese Rolle geringer werden. Gleichzeitig steigen die Chancen, von Tunesien aus auch das Nachbarland Libyen wieder stärker zu beliefern.

Marokko

Das ganz im Nordwesten gelegene Marokko hat 37,8 Millionen Einwohner und ist nach Ägypten sowie Algerien die drittgrößte Volkswirtschaft in der Region. Die geografische Nähe zu Spanien und die Lage am Eingang zum Mittelmeer verschaffen Marokko eine Attraktivität, die es seit einigen Jahren sehr erfolgreich nutzt. Hohe Investitionen in die Infrastruktur – Häfen, Straßen und Schienenverkehr – haben das Land deutlich zugänglicher gemacht.

Neben Unternehmen aus Spanien und Frankreich haben sich in den vergangenen zehn Jahren auch verstärkt deutsche Firmen in Marokko niedergelassen. Inzwischen ist das Königreich mit einem Bestand an ausländischen Direktinvestitionen von 72,5 Milliarden US$ der zweitwichtigste Investitionsstandort nach Ägypten. Die 93 deutschen Unternehmen, die in Marokko mit einem Bestand von 1,3 Milliarden Euro investiert sind, beschäftigen 36.000 Menschen.

Investitionen sorgen für starkes Wachstum und hohe Exporte

Marokko war im vergangenen Jahrzehnt mit einem durchschnittlichen Wachstum des BIP von 4,3 Prozent die Wachstumslokomotive in der Region. Die exportorientierte Industrie, die Autoteile und Autos, elektronische Erzeugnisse, Flugzeugteile und Textilien herstellt, sorgte für einen wachsenden Außenhandel. Die Mehrheit der Beschäftigten arbeitet noch immer in der Landwirtschaft. Eine Dürre kann daher weiterhin über das jährliche Auf und Ab der Wirtschaft entscheiden. Die Exportindustrie, die Investitionen in die Infrastruktur und der wachsende Dienstleistungssektor sorgen aber langfristig für einen wachsenden Wohlstand der Volkswirtschaft.

Hinter dem wirtschaftlichen Wachstum steht eine vom König des Landes, Mohammed VI., ausgerichtete liberale Wirtschaftspolitik. Unter seiner Herrschaft wurde kräftig in die Infrastruktur investiert, der Freihandel mit der EU und den USA ausgebaut und die Industrie gefördert. Auch wurden wirtschaftliche Sonderzonen eingerichtet. Außerdem entwickelte sich das Land zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien und baute den Tourismus kräftig aus. Das Königtum sorgt für politische Stabilität. Das hat dem Land bei der Ansiedelung von Unternehmen in jüngster Zeit geholfen.

Während Marokko in den vergangenen Jahren den Handel mit Europa stärkte und auch nach Amerika sowie Asien erfolgreich ausbaute, blieben die wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb Nordafrikas relativ überschaubar. Dafür engagierte sich das Königreich zunehmend in den Ländern südlich der Sahara. Insbesondere in den frankophonen Ländern Westafrikas ist Marokko präsent. Dort ist vor allem der marokkanische Finanzsektor vertreten.

Ägypten

Ägypten ist mit 113 Millionen Einwohnern und einem BIP von 469 Milliarden US$ der größte Markt in Nordafrika. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent im vergangenen Jahrzehnt wird die Mittelschicht jedoch nicht größer. Denn derzeit wächst die ägyptische Bevölkerung jährlich um 1,8 Millionen Menschen. Einerseits ist die ägyptische Bevölkerung dadurch sehr jung – andererseits steht die Gesellschaft vor der Herausforderung, jedes Jahr ausreichend neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft Afrikas hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Reformen angestoßen, aber es bedarf weiterer Schritte, um in Zukunft dynamischer zu wachsen. Die Regierung setzt bisher zu stark auf staatliche Unternehmen und lässt so relativ wenig Raum für die Privatwirtschaft. Angesichts einer wachsenden staatlichen Verschuldung wird der Handlungsspielraum für die Regierung langsam kleiner. Internationale Organisationen wie die EU und der Internationale Währungsfonds stehen jedoch bereit, Ägypten in dem Reformprozess zu unterstützen.

Größter Investitionsstandort und attraktive Drehscheibe für den Handel

Trotz der wachsenden Herausforderungen ist Ägypten mit einem Bestand von ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 138 Milliarden US$ der wichtigste Investitionsstandort in der Region. Aus Deutschland haben insgesamt 86 Unternehmen vor Ort investiert. Der Bestand ihrer Investitionen beläuft sich auf 897 Millionen Euro, und sie beschäftigen 33.000 Menschen in Ägypten. Im Außenhandel ist Ägypten der wichtigste Exportmarkt für deutsche Firmen in Nordafrika. Diese exportieren Waren im Wert von 4,2 Milliarden Euro und importieren Güter im Wert von 1,3 Milliarden Euro.

Mit dem Suezkanal verfügt Ägypten über eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Mit dem Zugang zum Mittelmeer und Roten Meer eignet sich das Land als Drehscheibe für den Handel zwischen Europa und Asien. Zusätzliches Potenzial könnte sich durch eine politische Stabilisierung der Nachbarländer Libyen und Sudan ergeben. Die besondere strategische Lage will Ägypten in Zukunft durch moderne Häfen sowie attraktive Industrie- und Logistikzonen besser nutzen. Außerdem investiert es in eine moderne Eisenbahninfrastruktur, die maßgeblich mit deutscher Beteiligung entstehen soll.

Deutsche Technologie ist in Ägypten gefragt und "Made in Germany" hat noch immer einen guten Ruf. Angesichts der enormen Nachfrage an Infrastruktur, industrieller Entwicklung und Know-how ergeben sich dadurch für deutsche Unternehmen besondere Chancen. Ein Beispiel dafür ist der Ausbau der Energieinfrastruktur in den vergangenen Jahren, an der – ähnlich wie zukünftig im Eisenbahnbereich –deutsche Unternehmen wesentlich beteiligt waren.

Algerien

Algerien ist mit einem BIP von 187 Milliarden US$ die zweitgrößte Volkswirtschaft Nordafrikas. Mit 45,6 Millionen Menschen ist es nach Ägypten auch das bevölkerungsreichste Land der Region. Gemessen an der Landfläche ist es mit 2,3 Millionen Quadratkilometer sogar das größte Land Afrikas. Ein Großteil der Fläche ist jedoch Wüste und praktisch menschenleer. Bei den ausländischen Direktinvestitionen liegt es mit einem Bestand von 34 Milliarden US$ nur noch knapp vor Tunesien. Der Bestand deutscher Direktinvestitionen beläuft sich aktuell auf 586 Millionen Euro. Die 26 in Algerien ansässigen deutschen Unternehmen beschäftigen 5.000 Personen. Inzwischen ist Algerien mit Exporten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro nur noch der viertwichtigste Absatzmarkt in Nordafrika. Auch bei den Importen rangiert es mit 2 Milliarden Euro nur noch auf Platz 4.

Die Volkswirtschaft ist stark von der Förderung von Erdöl und Erdgas abhängig. Dadurch verfügt die Regierung zwar über relativ hohe Einnahmen, aber zugleich ist die Wirtschaft wenig diversifiziert. Der Staat ist nicht nur im Besitz der Energieunternehmen, sondern ist generell in fast allen Bereichen der Wirtschaft mehrheitlich beteiligt. Der Privatsektor ist dadurch relativ klein. Ausländische Unternehmen können bisher nur Minderheitsanteile an Unternehmen in Algerien erwerben.

Libyen

Nach mehr als einem Jahrzehnt der politischen Instabilität ist Libyen mit einem BIP von 41 Milliarden US$ nur noch die kleinste nordafrikanische Volkswirtschaft. Beim BIP-pro-Kopf liegt es mit rund 6.000 US$ zwar noch vorne, aber die Sonderrolle, welche das Land auf Grund der großen Erdölreserven hatte, hat es zuletzt eingebüßt. Libyen ist praktisch in zwei Teile gespalten, und die rivalisierenden Gruppen können sich nicht auf ein landeseinheitliches System einigen.

Der lange Weg zur Stabilität

Trotz dieser politischen Schwierigkeiten hat sich das Land soweit stabilisiert, dass es wieder durchschnittlich 1,2 Millionen Barrel Erdöl pro Tag fördern kann. Außerdem haben erste internationale Energieunternehmen angekündigt, wieder in neue Projekte zu investieren. Der Bestand ausländischer Direktinvestitionen beläuft sich aktuell auf 18,5 Milliarden US$.

Die fünf deutschen Unternehmen, die nach Angaben der Deutschen Bundesbank in Libyen investiert haben, verfügen lediglich über einen Bestand in Höhe von 46 Millionen Euro. Bei den Einfuhren – fast ausschließlich Erdöl – ist Libyen trotzdem der wichtigste Handelspartner.

Deutschland importierte im Jahr 2022 Erdöl im Wert von 3,6 Milliarden Euro aus Libyen und liefert Waren im Wert von 534 Millionen Euro. Damit ist Libyen in Nordafrika zwar inzwischen der kleinste Absatzmarkt, aber in Gesamtafrika immer noch einer der größten Exportmärkte für deutsche Unternehmen.

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