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Wirtschaftsausblick | Argentinien

Schocktherapie für die argentinische Wirtschaft

Argentinien steckt in der Rezession. Mit rigorosen Sparmaßnahmen will die Regierung das Land wieder auf Wachstumskurs führen. Für Unternehmen besteht die Devisenproblematik weiter.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Top-Thema: Präsident Milei drückt erstes Reformpaket durch den Senat

Bislang hat noch keine argentinische Regierung in so kurzer Zeit so viele Änderungen herbeigeführt wie der seit dem 10. Dezember 2023 amtierende libertäre Präsident Javier Milei. Allerdings war er bisher auch der erste, der selbst nach einem halben Jahr im Amt noch kein einziges Gesetz durch Abgeordnetenhaus und Senat bringen konnte. Alle bisherigen Maßnahmen beruhten allein auf Präsidialdekreten. 

Mit dem 12. Juni 2024 kam die Wende: Der Senat stimmte mit knappstmöglicher Mehrheit dem auf 238 Artikel abgespeckten Basisgesetz zu. Dass dieses vom Abgeordnetenhaus gebilligt wird, gilt als sicher. Das Gesetz räumt dem Präsidenten das Recht ein, einen auf ein Jahr beschränkten Verwaltungs-, Finanz-, Wirtschafts- und Energienotstand auszurufen. Er kann dann selbst ohne Parlamentsbeteiligung in all diesen Bereichen Rechtsvorschriften erlassen. Mit dem Ley Bases ist eine Steuer- und Arbeitsrechtsreform verbunden.

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"No hay plata" – es ist kein Geld da

Als Milei am 10. Dezember 2023 sein Amt antrat, übernahm er ein Land mit leeren Staatskassen und negativen Devisenreserven. Die Auslandsschulden betrugen rund 264 Milliarden US-Dollar. Die Bevölkerung ächzte laut Statistikamt INDEC unter einer Inflation von über 25,5 Prozent – im Monat. Seither unterzieht Milei das Land einer Schocktherapie. Zentrale Elemente bilden Inflationsbekämpfung und ein rigider Sparkurs. Kritikern begegnet er mit "No hay plata" – "Es ist kein Geld da".

Zu seinen wichtigsten Maßnahmen zählt eine rigorose Verschlankung des aufgeblähten Staatsapparates: Die Zahl der Ministerien wurde mehr als halbiert. Tausende Staatsangestellte verloren ihre Stellung. Darüber hinaus wurden öffentliche Bauvorhaben gestoppt, Mittel für Bildung und Forschung beziehungsweise Sozialleistungen und Renten sowie Subventionen – etwa von Strom, Wasser oder Benzin – zusammengestrichen respektive nicht der Inflation angepasst.

Auf der anderen Seite ließ Milei die Außengrenzen für Importe einzelner Waren wie Kartoffeln öffnen. Weitere Liberalisierungen sind angekündigt. Ziel ist es, die Preisexplosion infolge zusätzlichen Wettbewerbs durch günstigere Einfuhren zu dämpfen. Nebenbei entsteht Druck auf die lokalen Anbieter, ihre Effizienz zu steigern. 

Erste Erfolge

Tatsächlich konnte Milei mit seiner Politik Erfolge verzeichnen. Die Inflation ist rückläufig und bewegte sich im Mai 2024 bei für das Land sensationellen 4,2 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Gegenüber dem Mai 2023 beträgt das Plus aber immer noch satte 276 Prozent. Seit Januar weist das seit Jahrzehnten defizitäre Staatsbudget ein Plus auf. 

"Wir erhoffen uns, dass das Experiment fruchtet, aber nur, weil es keine andere Option gibt."

Cristina Arheit-Zapp Eigentümerin des Familienunternehmens Sin Par S.A.

Trotz aller Härten steht der Großteil der Bevölkerung hinter Milei. Die Hoffnung ist groß, dass er mit der grassierenden Korruption und Vetternwirtschaft der Vorgängerregierungen aufräumt und das Land wirtschaftlich nach vorne bringt. Dieser Rückhalt trägt Milei in seinen Auseinandersetzungen im Abgeordnetenhaus, im Senat und mit den peronistischen Provinzgouverneuren, aber auch gegenüber den Protesten auf der Straße. 

Politische Beobachter vermuten, Milei setze darauf, bis zu den Zwischenwahlen im Herbst 2025 durchzuhalten, um dann die ihm fehlenden politischen Mehrheiten zu erlangen, die er braucht, um seine geplanten Gesetze durchzusetzen. 

Wirtschaftsentwicklung: Milei erwartet V-förmige Entwicklung

Argentinien steckt tief in der Rezession. Inlandsnachfrage und Industrieproduktion sind eingebrochen. Dass die Inflation sinkt, rührt auch von der stark zurückgegangenen Kaufkraft. Der Anteil der Personen, die an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, ist seit Mileis Amtsantritt damals laut INDEC 40 Prozent stark gestiegen.

Milei verspricht sich von seinen Maßnahmen eine V-förmige Konjunkturentwicklung. Auch internationale Organisationen prognostizieren, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2024 zwar real sinkt (OECD: -3,3 Prozent; IWF: -2,8 Prozent), aber 2025 wieder ein Plus aufweist (OECD: 2,7 Prozent; IWF: 5 Prozent).

Offen bleibt, woher der Aufschwung – also der rechte Ast des V – kommen soll. Denn der strikte Sparkurs ist weder durch ein Konjunktur- noch ein Sozialprogramm unterfüttert. Und die Auslandsinvestitionen, die Milei mit dem geplanten Incentive-Gesetz für Großprojekte (RIGI) ins Land holen will, dürften wohl erst "anbeißen", wenn sich das Land deutlich stabilisiert hat. 

Bis dahin könnten aber viele lokale Firmen aufgegeben haben. Speziell kleinere und mittlere Unternehmen ohne ausreichende Reserven fühlen sich mit der aktuellen Geschwindigkeit der grundsätzlich notwendigen Reformen überfordert. Zu schaffen machen ihnen die enormen Kostensteigerungen bei gleichzeitig wegbrechender Nachfrage.

"Allein zwischen Januar und April sind unsere Nebenkosten (Strom, Wasser, Heizung, Brandschutz) um das Dreifache gestiegen. Dabei lagen sie schon im Januar um 50 Prozent über denen im Oktober. Und das ist nicht das einzige. Beispielsweise kostet 1 Liter Benzin inzwischen rund 1 US-Dollar, vor Mileis Amtsantritt war es noch die Hälfte. Und die Preise erhöhen können wir auch nicht. Schon jetzt bleiben unsere Kunden weg."

Aussage eines deutschen Unternehmers in Buenos Aires

Generell sind die Nachhaltigkeit und Effizienz vieler Maßnahmen zumindest fragwürdig. Viele staatliche Aufgaben werden einfach in die Zukunft verschoben. Ein wichtiger Faktor ist der Ausgang der Ernte – und inwieweit die privaten Farmer unter dem für sie ungünstigen Wechselkursregime exportieren (statt ihre Erzeugnisse einzulagern). Zumindest könnte Argentinien der infolge der Flutkatastrophe in Brasilien steigende Sojapreis helfen. Darüber hinaus ist mit höheren Einnahmen aus Öl- und Gasexporten zu rechnen. 

Deutsche Perspektive: Unternehmen warten ab

Das Devisenregime bleibt für deutsche Unternehmen das Hauptproblem. Viele Firmen schieben noch immer gewaltige Schulden ans Mutterhaus oder an Lieferantenkrediten vor sich her. Dennoch gibt es bisher keine Abwanderungswelle, denn die deutschen Unternehmen hoffen weiterhin auf Besserung und sehen großes Potenzial, meint die AHK in Buenos Aires. In einigen Bereichen kommen sogar neue Firmen hinzu, etwa im Lithiumsegment, und auch sonst gibt es weiterhin Interesse.

"Die Stimmung unter den deutschen Unternehmen ist verhalten optimistisch. Viele Reformen in Sachen Verwaltungs- und Subventionsabbau oder Schaffung von mehr Transparenz etwa im korruptionsanfälligen Außenhandel und im Zoll werden als richtig angesehen. Insbesondere begrüßen die Unternehmen, dass sich derzeit Waren einfacher und zu einem günstigeren Zahlungsschema ins Land bringen lassen als vor Mileis Regierungsantritt."

Gunther Neubert Geschäftsführer der AHK Argentinien

Dessen ungeachtet warten die Firmen mit konkreten neuen Aktivitäten ab, bis der gestartete Reformprozess klarere Konturen angenommen hat. 

Nähere Informationen zu Argentinien finden Sie auf unserer Länderseite Argentinien.

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