Wirtschaftsumfeld | China | Außenhandel
Chinas Warenhandel gerät ins Stocken
Wankender Immobiliensektor, hohe Jugendarbeitslosigkeit, sparsame Konsumenten und weniger Nachfrage aus dem Ausland: Verliert China mit dem Außenhandel den letzten Hoffnungsanker?
24.08.2023
Von Katharina Viklenko | Bonn
Der chinesische Warenhandel vermeldete im 1. Halbjahr 2023 nicht wie üblich Erfolge oder gar Rekordzahlen. Ganz im Gegenteil: Die Importe der Volksrepublik gingen von Januar bis Juni 2023 um 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück, die Exporte sanken um 3,2 Prozent.
Bei den bedeutendsten Exportkategorien lieferte China im 1. Halbjahr 2023 vor allem weniger Elektronikwaren mit einem Minus von 14,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Einen regelrechten Einbruch gab es bei chemischen Erzeugnissen (-17,9 Prozent), Ausfuhren von Arzneimitteln halbierten sich. Der kräftige Rückgang ist auf die gesunkene Nachfrage nach Medikamenten nach der Covid-19-Pandemie zurückzuführen. Die Vergleichsbasis 2022 war überdurchschnittlich hoch ausgefallen. Rückgänge bei Exporten gab es auch bei Textilien und Bekleidung (-8,9 Prozent) sowie bei Metallwaren (-4,2 Prozent).
Deutlich mehr Autos made in China
Ein herausragendes Ergebnis erzielten dagegen Exporte von Kfz und -Teilen mit einem Plus von 30,5 Prozent. Laut Pressemeldungen hat China 1. Halbjahr 2023 damit Japan hinter sich gelassen und ist nach Stückzahlen zum größten Exporteur von Autos aufgestiegen. Zu verdanken ist dies dem kräftigen Absatz von Elektroautos, vor allem in Europa und Russland. Auch die Exporte von Elektrotechnik (2,2 Prozent) und Maschinen (6,5 Prozent) nahmen im 1. Halbjahr zu.
2022 | Veränderung | 1. Halbjahr 2023 | Veränderung | |
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Einfuhr gesamt, darunter aus | 2.716 | 1,1 | 1.663 | -6,7 |
USA | 178 | -1,1 | 88 | -3,7 |
EU(27) 2) | 285 | -7,9 | 141 | -1,4 |
ASEAN(10) | 408 | 3,3 | 184 | -5,5 |
Russland | 114 | 43,4 | 62 | 19,4 |
Ausfuhr gesamt, darunter nach | 3.594 | 7,0 | 1.255 | -3,2 |
USA | 582 | 1,2 | 239 | -17,9 |
EU(27) 2) | 562 | 8,6 | 258 | -6,6 |
ASEAN(10) | 567 | 17,7 | 263 | 1,5 |
Russland | 76 | 12,8 | 52 | 78,1 |
Warenaustausch mit Russland floriert
Der Export wuchs nur in sehr wenige, für China bedeutende Absatzländer. Ein marginales Plus von 1,5 Prozent gab es beispielsweise bei Warenlieferungen in die ASEAN-Staaten. Besonders kräftig legten mit 37,2 Prozent die Exporte nach Singapur zu.
Deutlich aus der Reihe fällt der Handel mit Russland. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind die Länder wirtschaftlich näher zusammengerückt. Der bilaterale Warenaustausch betrug 2022 rund 190 Milliarden US-Dollar (US$). Chinesische Importe aus Russland stiegen in den ersten sechs Monaten 2023 um knapp ein Fünftel. China kauft vor allem russisches Öl, Kohle und einige Metalle mit hohen Preisnachlässen. Gleichzeitig füllen chinesische Produkte in Russland Lücken, die westliche Unternehmen nach dem Rückzug aus dem Markt im Rahmen der Sanktionen hinterlassen haben.
China nicht mehr Top-Lieferant der USA
Besonders negativ entwickelten sich in den ersten sechs Monaten 2023 chinesische Ausfuhren in die USA, die gemäß chinesischem Zoll um 17,9 Prozent zurückgingen. Das US-Handelsministerium beziffert den Rückgang der Importe sogar auf ein Viertel. Damit verlor China erstmals seit 16 Jahren den Titel des größten Lieferlandes der USA an Mexiko und Kanada.
Die bilateralen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten sind seit Längerem angespannt, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Die US-Regierung schränkte etwa den Export von Hightech und Halbleitern in die Volksrepublik ein, um China im Systemwettbewerb auszubremsen. Erst Anfang August 2023 erließ US-Präsident Biden ein Dekret, mit dem zusätzlich Outbound-Investitionen amerikanischer Firmen in bestimmten Hightech-Bereichen in China stärker reguliert werden können.
Für Deutschland verliert China an Bedeutung
Auch deutsche Einfuhren aus dem Reich der Mitte gingen im 1. Halbjahr 2023 gemäß Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 16,8 Prozent kräftig zurück, die Ausfuhren nach China sanken um 8,4 Prozent. Der Anteil des bilateralen Handels am Gesamthandel der Bundesrepublik nahm ebenfalls ab. Zugleich lieferte Deutschland mit einem Plus von 9,7 Prozent mehr Waren in die ASEAN-Staaten. Der Export in die ASEAN-Staaten sowie nach Indien kompensierte damit immerhin zur Hälfte die Verluste, die Deutschland durch die schwache Nachfrage aus China verbuchte.
Bei den Exporten nach China nach Warenkategorien verzeichneten lediglich Maschinen made in Germany ein knappes Plus von 1,8 Prozent. Zweistellige Rückgänge gab es mit mehr als einem Fünftel bei Kfz sowie mit fast 13 Prozent bei chemischen Erzeugnissen.
Wirtschaft kämpft mit strukturellen Problemen
Der Warenaustausch der Volksrepublik hat sich schon in der 2. Jahreshälfte 2022 abgeschwächt, im Gesamtjahr 2022 reichte es immerhin noch für ein knappes Plus. Die Handelsdaten zeigen, dass das Land die Coronapandemie nicht problemlos hinter sich lassen kann. Die chinesische Wirtschaft kämpft gleichzeitig an mehreren Fronten: Die Abkühlung der Weltwirtschaft in bedeutenden Abnehmerländern sorgt für weniger Nachfrage nach chinesischen Produkten. Gleichzeitig stellen mehrere westliche Länder das bisherige Verhältnis und einseitige Abhängigkeiten von China auf den Prüfstand. Die Bundesrepublik veröffentlichte im Juli 2023 eine umfassende Chinastrategie.
Im Inland sorgen gleich mehrere Faktoren dafür, dass chinesische Konsumenten vorsichtiger agieren und ihr Geld zusammenhalten: Es verschärft sich die Krise auf dem Immobilienmarkt. Nachdem Evergrande bereits Ende 2021 zahlungsunfähig wurde, kämpft nun auch der größte private Bauträger des Landes Country Garden mit Zahlungsschwierigkeiten. Das Unternehmen kündigte mögliche Ausfälle in Höhe von bis zu 7,6 Milliarden US$ an. Auch die Alterung der Gesellschaft verbunden mit hoher Jugendarbeitslosigkeit ist der chinesischen Regierung ein Dorn im Auge. Die Veröffentlichung von entsprechenden Daten wurde kürzlich eingestellt. Viele Firmen halten sich wegen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten mit Investitionen zurück und verschieben Neuanschaffungen. Insgesamt lassen diese Faktoren die Angst vor Deflation aufkommen.
Sorge vor Abwärtsspirale steigt
Aktuelle Zahlen der lokalen Zollbehörde zeigen, dass im Außenhandel so schnell keine Besserung zu erwarten ist. Im Juli 2023 haben die Ausfuhren mit einem Rückgang von 14,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das ist das schlechteste monatliche Exportergebnis seit dem Ausbruch der Coronapandemie 2020. Die Importe sanken um 12,4 Prozent. Zwar kündigte die Regierung Maßnahmen zur Ankurbelung des Binnenkonsums an, die konkrete Umsetzung steht aber noch aus.