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Branchen | Brasilien | Chemische Industrie

Erste Anzeichen einer Wende für Brasiliens Chemieindustrie

Die Dekarbonisierung spielt Brasiliens Chemieindustrie in die Hände. Die Industriepolitik setzt Anreize für mehr Investitionen, allen voran in Biokraftstoffe und Düngemittel. 

Von Gloria Rose | São Paulo

Brasilien verfügt über ein enormes Potenzial zur kostengünstigen Erzeugung grüner Energie. Dieses will das Land nutzen, um vom globalen Trend zur Dekarbonisierung zu profitieren und künftig mehr Investitionen ins Land zu locken.

Das gilt auch für die Chemieindustrie. Laut einer Studie des Branchenverbands Abiquim sind die CO2-Emissionen bei der Produktion von Chemikalien in Brasilien bereits heute rund 5 bis 35 Prozent niedriger als in Europa. Im Vergleich zu Produkten aus den USA oder China sind die Emissionen teilweise nur halb so hoch.

Neue Gesetze schaffen Anreize zum Ausbau der Produktion von Biokraftstoffen. Weitere Impulse kommen von der Ausweitung der Gasförderung. Allerdings kann das Land lange nicht so gewichtige Förderinstrumente bieten wie die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) beziehungsweise die EU mit dem Green Deal.

Zukunftsweisende Grundlagen für "grüne" Chemie

Trotz fehlender Mehrheiten im Kongress gelingt es der Regierung, wichtige Gesetze zu verabschieden: Anfang August 2024 unterzeichnete Präsident Lula da Silva den lang erwarteten Rechtsrahmen für kohlenstoffarmen Wasserstoff. Die Aussichten für weitere regulatorische Fortschritte sind gut, denn Regierung, Kongress und der oberste Gerichtshof schlossen am 21. August einen Pakt zur ökologischen Transformation.

Und tatsächlich schritt die Gesetzgebung im 2. Halbjahr 2024 weiter voran, auch wenn die landesweiten Kommunalwahlen die Aufmerksamkeit der Politik aktuell auf sich konzentrieren. Anfang Oktober verabschiedete Lula das Gesetz zur Förderung nachhaltiger Kraftstoffe. Es setzt Investitionsanreize für Biokraftstoffe, darunter für nachhaltige Flugkraftstoffe SAF (Sustainable Aviation Fuel) und für grünen Diesel HVO (Hydrotreated Vegetable Oil). Dadurch sollen laut Ministerium für Bergbau und Energie Projekte im Umfang von rund 50 Milliarden US-Dollar (US$) angestoßen werden, die bis 2037 Emissionen von 705 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Gesetz zur Förderung nachhaltiger Kraftstoffe (Lei Nr. 14.993/2024)

  1. Der Biodiesel-Anteil soll von derzeit 14 auf 20 Prozent im Jahr 2030 steigen.
  2. Der Mindestgehalt von Bioethanol im Benzin wird von 18 auf 22 Prozent angehoben. Bis zu 35 Prozent Beimischung sind laut dem neuen Gesetz möglich. 
  3. Das Gesetz führt erste Rechtsgrundlagen für grünen Diesel (HVO) ein. Anreize setzt das Förderprogramm "Programa Nacional do Diesel Verde" (PNDV).
  4. Das "Programa Nacional de Combustível Sustentável de Aviação" (Probioqav) soll einen Markt für nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) entwickeln: Ab 2027 müssen die Fluggesellschaften ihre Emissionen um 1 Prozent pro Jahr senken. Die jährlichen Einsparungen sollen auf 10 Prozent im Jahr 2037 ansteigen.
  5. Ab 2026 müssen Gasversorger einen Mindestanteil von anfangs 1 Prozent Biomethan beimischen. Dieser Mindestanteil kann auf bis zu 10 Prozent steigen.

Infrastrukturausbau für eine sichere Gasversorgung

Im Oktober 2024 nahm Petrobras die Gaspipeline Rota 3 in Betrieb. Über die 355 Kilometer lange Leitung fließt Erdgas aus dem Tiefseefeld im Santos-Becken zum Industriekomplex in Itaboraí (Rio de Janeiro). Durch die zusätzliche Förderkapazität von 18 Millionen Kubikmeter pro Tag kann Brasilien nun insgesamt bis zu 58 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag aus den sogenannten Présal-Reserven beziehen.

Zwei weitere Erdgasprojekte könnten 2028 in Betrieb gehen:

  • Projekt Raia: bis zu 16 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag; Investor: Konsortium aus Equinor, Repsol Sinopec Brasil und Petrobras.
  • Projekt Sergipe Águas Profundas; Investor: Petrobras; bis zu 18 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag zur Versorgung des Nordostens Brasiliens

Außerdem verhandelt Brasilien mit Argentinien, um Erdgas aus der Ölschieferlagerstätte Vaca Muerta zu beziehen und über Pipelineverbindungen durch Bolivien nach Brasilien zu transportieren.

Das am 26. August 2024 verabschiedete Förderprogramm Gás para Empregar soll Investitionen von über 17 Milliarden US$ anstoßen, so das Energieforschungsunternehmen EPE. Die Maßnahmen kommen auch der Produktion von Biomethan und von Nährstoffen für Düngemittel zugute.

Wichtige Elemente der Verordnung Gás para Empregar (Dekret Nr. 12.153/2024)

Anpassung bestehender Regelungen (Dekret Nr. 10.712/2021) zur Förderung des Wettbewerbs und Öffnung des Gasmarkts, um Investitionen in Gasproduktion und -verteilung zu stimulieren.

Hauptziel: Höheres Gasangebot auf dem heimischen Markt + geringere Infrastrukturkosten in der Gasindustrie

Wichtige Punkte: 

  • Produktion und Zugang: Reduzierung der Gasreinjektion bei der Ölförderung; Bereitstellung von mehr Gas für die lokale Produktion von Stickstoffdüngern sowie petrochemischen und anderen Produkten
  • Transparenz und Regulierung: Transparenz bei Informationen über Zugang, Betrieb und Wirtschaftlichkeit der Infrastrukturen
  • Harmonisierung der Regulierungen: Harmonisierung der föderalen, staatlichen und lokalen Regulierungen im Gassektor
  • Sicherstellung der Versorgung: Maßnahmen zur Überwachung der Versorgungssicherheit und Förderung der Zusammenarbeit zwischen Produzenten

Investitionen konzentrieren sich auf Agrarchemie und Biokraftstoffe

Brasilien ist stark abhängig von Düngemittelimporten. Um dies zu ändern, beschloss die Regierung, die lokale Produktion über den Plano Nacional de Fertilizantes 2022-2050 (PNF) zu fördern. Der Kongress entscheidet zurzeit über Steuerbegünstigungen im Rahmen der neuen Sonderregelung "Profert". Nach der Zustimmung des Senats liegt der Gesetzesvorschlag PL699/2023 gerade der Abgeordnetenkammer vor. Laut Sinprifert, dem Branchenverband der Düngemittelindustrie, investiert die Branche bis 2026 über 4 Milliarden US$. Im Aufwind sind zudem Biokraftstoffe. Auch die Investitionen im Bereich Pflanzenschutz steigen.

Aktuelle Investitionsprojekte in Brasiliens ChemieindustrieInvestitionssumme in Millionen US-Dollar 1)
Akteur / ProjektInvestitionssummeProjektstand/Anmerkungen
Acelen / Produktion von HVO 2) und SAF 3) in São Francisco do Conde (Bahia) für den Export

2.500

Inbetriebnahme im 1. Halbjahr 2026; Kapazität: 500.000 m³ Hydrotreated esters and fatty acids (HEFA) pro Jahr
Petrobras / Produktion von HVO 2) und SAF 3) an den Raffinerien in Cubatão (São Paulo) und in Itaboraí (Rio de Janeiro)

k.A.

Cubatão: Inbetriebnahme geplant für 2028 mit einer Kapazität von 350.000 m³ Hydrotreated esters and fatty acids (HEFA) pro Jahr; 

Itaboraí: Inbetriebnahme ab 2031 mit 25% höherer Kapazität 

Inpasa / Produktion von Ethanol aus Mais in Sidrolândia (Mato Grosso) und in Balsas (Maranhão)

1.000

Ankündigung im Juli 2024; Baubeginn in Sidrolândia 2024 und Baubeginn in Balsas 2025
Paranafert / Stickstoffdüngerfabrik in Sapopemba (Paraná)

600

Ankündigung im August 2024; Produktionskapazität von 520.000 t pro Jahr
European Energy (Dänemark) / Produktion von E-Methanol in Suape (Pernambuco)

400

Wirtschaftlichkeitsstudie mit Petrobras durchgeführt, Vertrag mit dem Bundesstaat am 23.09.24 unterzeichnet, Baubeginn voraussichtlich im Oktober 2025
Grupo BBF (Brasil BioFuels) / Produktion von HVO 2) und SAF 3) in der Freihandelszone Manaus (Amazonas)

400

Inbetriebnahme im 1. Halbjahr 2025; Kapazität 250.000 m³ Hydrotreated esters and fatty acids (HEFA) pro Jahr
Planalto Bioenergia / Produktion von Ethanol aus Mais in Formosa und Cristalina (Goais)

360

Baubeginn 2025
Coamo Agroindustrial / Produktion von Ethanol aus Mais in Campo Mourão (Paraná)

340

Ankündigung im Dezember 2023, Inbetriebnahme im 2. Halbjahr 2026
Bioverde Etanol / Produktion von Ethanol aus Mais in Alto Araguaia (Mato Grosso)

260

Ankündigung im September 2024
Inpasa / Produktion von Ethanol aus Mais in Luís Eduardo Magalhães (Bahia)

240

Ankündigung im September 2024; Inbetriebnahme 2026
1 Umrechnung zum durchschnittlichen Wechselkurs 2023: 1 US$ = 5,00 R$; 2 HVO = Hydrotreated Vegetable Oil; 3 SAF = Sustainable Aviation Fuel.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2024

Schwieriger Start ins Jahr 2024

Brasilien gehört zu den zehn größten Chemienationen der Welt. Doch seit einem Jahrzehnt investieren die Konzerne vor Ort nur in Wartung und Modernisierung statt in neue Kapazitäten. Dabei steigt die Nachfrage nach Agrarchemikalien im Land von Jahr zu Jahr und treibt das Außenhandelsdefizit bei Industriechemikalien auf immer neue Rekordhöhen.

Laut Abiquim verschärfte sich die Lage im 1. Halbjahr 2024. Während die inländische Produktion um 1,1 Prozent sank, legten die Einfuhren um 4,5 Prozent zu. Auch die Wirtschaftskrise in Argentinien führt zu Einbußen der brasilianischen Hersteller. Die Exporte der Branche gingen insgesamt um 27,5 Prozent zurück. Im 1. Halbjahr 2024 lastete die brasilianische Chemieindustrie ihre Kapazitäten nur zu 63 Prozent aus 3 Prozentpunkte weniger als im 1. Halbjahr 2023.

Infolge von Billigimporten aus Asien setzten zwei Fabriken die Produktion aus: Fortal Química der Formitex Gruppe in Candeias (Bahia) und Rhodia der belgischen Solvay Gruppe in Paulínia (São Paulo). Mitte September hob Brasilien zum Schutz der lokalen Chemieproduktion den Zollsatz auf den Import von 30 Chemikalien an.

Branchenstruktur in Bewegung

Der lokale Hersteller Unigel ist 2024 in finanzielle Schwierigkeiten geraten und stellte die Stickstoffdüngerproduktion in Camaçari (Bahia) und in Laranjeiras (Sergipe) Ende März 2024 ein. Die dortigen Anlagen hatte Brasiliens zweitgrößter Petrochemiekonzern 2021 von Petrobras gepachtet. Mitte 2024 kündigte der Ölkonzern die Pachtverträge auf.

Petrobras investiert nun wieder selbst in Downstream-Aktivitäten und nimmt auch die Produktion von Stickstoffdünger in Araucária (Paraná) wieder auf. Nach einer Überholung, die rund 170 Millionen US$ kostet, soll die Anlage ANSA im 2. Halbjahr 2025 wieder in Betrieb gehen.

Die Energiewende bringt neue Dynamik in die Branche. Viele multinationale Konzerne überdenken ihre Pläne, so auch BASF. In Brasilien bedient der deutsche Chemiekonzern den Verbrauchermarkt für Farben und Lacke direkt. Nun bietet BASF die Traditionsmarken Suvinil und Glasu! zum Verkauf an, um sich auf das B2B-Kerngeschäft zu konzentrieren.

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