Special | Brasilien | Wasserstoff
Wirtschaft: Energiewende als Wachstumschance
Brasiliens Industrie profitiert von dem Zugang zu günstiger erneuerbarer Energie. Neben Power-to-X spielt Bioenergie eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung.
05.02.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Dank seiner breit aufgestellten Industrie verfügt Brasilien bereits über eine etablierte Wertschöpfungskette im Bereich Wasserstoff. Das Element kommt im Öl- und Gassektor und bei Industrieprozessen zum Einsatz, hauptsächlich in Verfahren der Stahl- und Glasproduktion sowie in der Nahrungsmittelindustrie und in Heizkraftwerken. Brasiliens größter Produzent von grauem Wasserstoff ist Petrobras. Der halbstaatliche Erdölkonzern produziert fast ausschließlich für den Eigenbedarf und setzt auf Open Innovation, um CO2-arme Prozesse zu fördern.
Den brasilianischen Markt für Industriegase teilen sich die vier Industriegasproduzenten White Martins der Linde Group (mittlerweile mit Sitz in Irland), der US-Konzern Air Products, die französische Gruppe Air Liquide und die deutsche Messer Group. Marktführer mit einem Anteil von 40 Prozent ist Air Products. Der US-Konzern sieht das größte Potenzial im Nordosten des Landes und schätzt, dass der brasilianische Markt für grünen Wasserstoff im Jahr 2040 bis zu 20 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr umsetzen wird. Weitere 5 Milliarden US$ könnten über den Export erwirtschaftet werden. Das brasilianische Beratungsunternehmen Thymos Energy erwartet, dass der Markt bereits im Jahr 2030 rund 28 Milliarden US$ umsetzen wird.
Globale Player engagieren sich
Fast alle Mitgliedsunternehmen der Lobbyorganisation Global Hydrogen Council und etwa 60 Prozent der deutschen Unternehmen mit Aktivitäten im Bereich grüner Wasserstoff sind in Brasilien mit Tochterfirmen vertreten. Deutsche Technologieanbieter wie Siemens Energy und thyssenkrupp erwarten sehr gute Absatzchancen und engagieren sich in der Deutsch-Brasilianischen Allianz für grünen Wasserstoff, die die Auslandshandelskammern São Paulo und Rio de Janeiro im August 2020 ins Leben riefen. In Kooperation mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fördert die Allianz das Innovationsumfeld und den Austausch der Stakeholder, unter anderem über das Informationsportal "hidrogênio verde". Aber auch andere Länder wie Norwegen, die Niederlande und das Vereinigte Königreich sowie China suchen verstärkt die Partnerschaft mit Brasilien.
Siemens Energy schloss eine strategische Partnerschaft mit dem größten Stromkonzern Brasiliens, Eletrobras, und seinem Technologie-Tochterunternehmen Cepel. Der deutsche Technologieanbieter beobachtete im Jahr 2023 eine stark wachsende Nachfrage nach Projekten. Der Trend wird sich 2024 fortsetzen, erwartet Brasilien-Chef André Clark, insbesondere wenn das Land neue Industrieinvestitionen für sich gewinnen kann.
Chancen für industrielle Power-to-X Anwendungen
Im beschleunigten globalen Wandel zur Klimaneutralität kann Brasilien als Industriestandort für energieintensive Branchen wie Stahl, Aluminium und Chemie an Bedeutung gewinnen. Die Regierung fördert die Entwicklung mit einer neuen Industriepolitik, die bis zum Jahr 2026 rund 60 Milliarden US-Dollar (US$) zur Finanzierung bereitstellt. Um den Weg für kommerzielle Wasserstoffanlagen zu ebnen, muss die Technologie in Brasilien so reguliert werden, dass sich die Investitionen für die Industrie rechnen. Zusätzliche Impulse verspricht die Regulierung der Offshore-Windenergie. Große Energiekonzerne wie Neoenergia, Engie, Equinor und Shell warten seit Jahren auf die Verabschiedung eines adäquaten Rechtsrahmens. Der Gesetzesvorschlag für Offshore-Windenergie liegt derzeit dem Senat vor.
Zur Minderung der CO2-Emissionen investieren energieintensive Industriebranchen wie Stahl, Keramik und Zement bereits in Energieeffizienz und in Bioenergieträger wie Holzkohle aus schnellwachsenden Eukalyptusbäumen sowie Biomethan. Brasilianische Konzerne wie Vale, Braskem und Votorantim sowie multinationale Hersteller, die bis 2050 klimaneutral werden wollen, treiben die Entwicklung und Nutzung von Power-to-X Anwendungen in Brasilien voran.
Grüner Ammoniak für Stickstoffdünger
Brasiliens Chemieindustrie klagt seit Jahrzehnten über zu hohe Produktionskosten und verliert im internationalen Wettbewerb zunehmend an Bedeutung. Infolge der relativ hohen Erdgaspreise auf dem Binnenmarkt importiert das Land mehr als drei Viertel der Stickstoffverbindungen für Düngemittel, essenzielle Vorprodukte für den wichtigen Agrarsektor. Das Förderprogramm Plano Nacional de Fertilizantes (PNF) soll dazu beitragen, die hohe Importabhängigkeit zu mindern. Darin sind auch Investitionsanreize für grünen Ammoniak vorgesehen.
Power-to-Ammonia-Technologien verbessern die CO2-Bilanz des Agrarsektors und können die Düngerproduktion in Brasilien wirtschaftlicher machen. Darauf sowie auf Exportchancen setzt Unigel mit dem Elektrolyseprojekt in Bahia. Mit der Pacht von zwei Petrobras-Verarbeitungsanlagen 2020 stieg Unigel zum landesweit wichtigsten Hersteller von Stickstoffdünger auf. Ende 2023 kündigte der Schweizer Konzern Atlas Agro Investitionen in eine Elektrolyseanlage im Staat Minas Gerais an. Dagegen bleibt der norwegische Düngerkonzern Yara in Brasilien vorerst bei dem Verfahren der Dampfreformierung und reduziert die CO2-Emissionen, indem Erdgas zunehmend durch Biomethan ersetzt wird.
Projektbezeichnung (Technologie) | Projektspezifika | Unternehmen | Status | Investitions |
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Elektrolyseanlage in der Freihandelszone ZPE Parnaíba (Piauí) | Elektrolysekapazität 5 GW, Produktion von grünem Wasserstoff für den Export in die EU | Green Energy Park (GEP) | Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet im Oktober 2023 | 10,5 |
Wasserstoffelektrolyse in Pecém (Ceará) | Ausbau in drei Phasen, Anlage mit Elektrolysekapazität von 2,1 GW erzeugt bis zu 837 Tonnen grünen Wasserstoff pro Tag | Fortescue Future Industries (FFI) | Vorvertrag unterzeichnet im Juni 2022; Umweltlizenz 2023 erteilt, Inbetriebnahme ab 2027 möglich | 5,0 |
Produktionsanlage für grünen Wasserstoff und Ammoniak in Pecém (Ceará) | Kapazität von 2,4 GW Elektrolyse, Produktion von 1.000 Tonnen Wasserstoff pro Tag und 2,2 Millionen Tonnen grünem Ammoniak pro Jahr | Konsortium von Casa dos Ventos und Comerc | Vorvertrag unterzeichnet im Dezember 2022; Inbetriebnahme für 2026 geplant | 4,0 |
Wasserstoffelektrolyse in Suape (Pernambuco) | Kapazität von 2,24 GW und 488.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr | Qair Brasil | Technische und wirtschaftliche Machbarkeitsstudien, Projekt in 4 Etappen, Inbetriebnahme für 2026 geplant | 4,0 |
Wasserstoffelektrolyse in Pecém (Ceará) | Elektrolysekapazität von 2 GW Wasserstoff zur Produktion von bis zu 800.000 Tonnen grünem Ammoniak pro Jahr | AES Brasil | Vorvertrag mit der Hafengesellschaft CIPP im September 2022 | 2,0 |
Elektrolyseanlage in Pecém (Ceará) | Elektrolysekapazität in Phase I von 1,12 GW Wasserstoff zur Produktion von etwa 1 Mio. Tonnen grünem Ammoniak pro Jahr | Cactus Energia Verde | Vorvertrag mit der Hafengesellschaft CIPP im Oktober 2023 | 2,0 |
Produktion von grünem Ammoniak in Camaçari (Bahia) | Wasserstoff aus hocheffizienter Elektrolysetechnologie des deutschen Unternehmens Thyssenkrupp Nucera | Unigel | Ankündigung im August 2022; Ausbau in 3 Phasen: bis Ende 2023: 60 MW, bis Ende 2025: 240 MW, bis Ende 2027: 600 MW | 1,5 |
Elektrolyseanlage in Uberaba (Minas Gerais) | Anlage für grünen Ammoniak zur Stickstoffdüngerproduktion | Atlas Agro | Investitionsankündigung April 2023, Baubeginn 2024, Inbetriebnahme Mitte 2027 | 0,86 |
Wasserstoffelektrolyse in Camaçari (Bahia) | Produktion von 1 Million Tonnen grünem Wasserstoff pro Jahr | Siemens Energy und Quinto Energy | Unterzeichnung der Absichtserklärung im November 2022, Inbetriebnahme ab 2025 | k.A. |
Gute Aussichten für die Bioethanolindustrie
Brasilien nahm 2020 den Handel mit den sogenannten Créditos de Descarbonização por Biocombustíveis (CBIOs) auf. Die CO2-Zertifikate für den Kraftstoffmarkt sowie weitere Fördermaßnahmen stimulieren die Produktion von Biokraftstoffen, die in Brasilien schon seit Jahrzehnten die Emissionen im Straßenverkehr reduzieren. In Kleinstanlagen könnte das handelsübliche Bioethanol relativ unkompliziert an der bestehenden Tankstelleninfrastruktur in Wasserstoff umgewandelt werden. Zudem bringen Toyota, Volkswagen und Nissan zunehmend Hybrid-Modelle mit Bioethanol-Verbrenner auf den brasilianischen Markt. Die Hersteller errechnen sich zudem Exportchancen in Indien und anderen Schwellenländern. Somit sieht die Ethanolindustrie in Brasilien trotz der weltweiten Abkehr vom Verbrennungsmotor einer aussichtsreichen Zukunft entgegen.