Brasilien erarbeitet einen Rechtsrahmen für die Wasserstoffwirtschaft. Im Jahr 2030 könnte das Land Wasserstoff kostengünstiger produzieren als alle anderen Standorte weltweit.
Brasilien hat beste Voraussetzungen, in der globalen Energiewende zu einem wichtigen Standort für die Produktion von grünem Wasserstoff zu werden. Schließlich verfügt das Land mit Wasserkraft und der schnell wachsenden Wind- und Solarenergie bereits heute über einen CO2-armen Strommix. Weiterer Pluspunkt sind die relativ niedrigen Stromgestehungskosten von erneuerbaren Energien, deren Produktion sich in Brasilien im Tagesverlauf hervorragend ergänzt.
Dank der gigantischen Agrarressourcen spielt auch die Bioenergie eine bedeutende Rolle im Energiemix des Landes. Da die Landwirtschaft die Emissionen aus Reststoffen mindern muss, setzt Brasilien nicht nur auf die Wasserelektrolyse. Denn grüner Wasserstoff kann auch mittels Pyrolyse aus Biomasse und Dampfreformierung aus Biomethan gewonnen werden. Hier bietet sich ein immenses Potenzial. Ausgehend von derzeit 450.000 Kubikmetern Biomethan pro Tag sollen sich die Kapazitäten bis Ende 2024 verdoppeln und bis 2030 auf etwa 30 Millionen Kubikmeter steigen, erwartet der Branchenverband ABiogás.
"Obwohl Brasilien 24-mal größer ist als Deutschland, wird in Deutschland derzeit 19-mal mehr Biogas erzeugt als in Brasilien. Das zeigt das enorme Potenzial."
Ansgar Pinkowski
Deutsch-brasilianische Energieagentur 'Neue Wege'
Hervorragende Ausgangsposition für die Wasserstoffwirtschaft
Brasilien weist im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften bereits eine vorbildlich klimafreundliche Strom- und Energieversorgung auf und gehört zu den wichtigsten Investitionsstandorten für erneuerbare Energien weltweit. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE bietet Brasilien neben Kolumbien und Australien besonders gute Voraussetzungen für die Lieferung von grünem Ammoniak, Methanol und Kerosin nach Deutschland.
Denn ähnlich wie Australien kann Brasilien Skaleneffekte nutzen und die Wasserstoffwirtschaft sowohl zur Deckung des eigenen Energiebedarfs als auch für den Export entwickeln. Laut einer Studie von Bloomberg New Energy Finance dürften im Jahr 2030 die Elektrolysekosten für grünen Wasserstoff in Brasilien die Erzeugungskosten von herkömmlichem – also grauem – Wasserstoff unterschreiten. Auch in China, Schweden, Spanien und Indien soll dies der Fall sein. In allen anderen Ländern wird dieser Punkt voraussichtlich erst später erreicht.
Auf dem Weg zur nationalen Wasserstoffstrategie
Anders als Länder wie Chile und Uruguay verfügt Brasilien noch nicht über eine Wasserstoffstrategie. Doch es gibt Fortschritte. So treibt eine Sonderkommission im Senat die Regulierung von grünem Wasserstoff voran. Der Kommission liegt derzeit der Gesetzesvorschlag (Projeto de Lei) 2.308/23 vor, dem die Abgeordnetenkammer Ende November 2023 zustimmte. Investoren und Verbände setzen sich dafür ein, dass der Senat die von der Kammer beschlossenen Steuererleichterungen erweitert.
Im August 2023 veröffentlichte die Regierung einen Drei-Jahres-Plan, in dem sie den Weg zur nationalen Wasserstoffstrategie vorzeichnet. Dabei liegt der Fokus auf der Förderung von Forschung und Entwicklung und der Finanzierung von Projekten. Von den 65 konkreten Maßnahmen des Arbeitsplans befinden sich etwa die Hälfte bereits in der Ausführungsphase.
Ein weiteres Element ist das Programa Nacional do Hidrogênio (PNH2). Dieses basiert auf 656 Beiträgen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Zuständig ist ein Komitee, das sich aus elf Ministerien und zwei Regulierungsbehörden zusammensetzt. Das PNH2-Komitee setzt den Fokus auf "CO2-armen Wasserstoff" statt "grünen Wasserstoff". Der Begriff schließt die Verwertung von Bioenergie ein.
Das Energieforschungsunternehmen EPE hat berechnet, dass Brasilien über ein technisches Potenzial zur Produktion von 1,8 Gigatonnen CO2-armem Wasserstoff pro Jahr verfügt. Im Plano Nacional de Energia 2050 (PNE 2050) erklärt EPE Wasserstoff als Schlüsselelement zur Dekarbonisierung. Im aktuellen Zehnjahresplan PDE 2031 sah das Institut erstmals ein eigenes Kapitel über Wasserstoff vor, in dem neben den Exportchancen auch die besonderen Möglichkeiten in der CO2-armen Produktion von Düngemittel, Stahl und Flugzeugtreibstoff herausgestellt wurden.
Einzelne Bundesstaaten preschen vor
Ohne staatliche Förderung ist die CO2-freie Herstellung von Wasserstoff und dessen Weiterverwendung noch nicht wirtschaftlich. Doch die Aussicht auf Absatzchancen am europäischen Markt hat bereits zu ersten Projekten für grünen Wasserstoff und Ammoniak an Petrochemie- und Hafenkomplexen geführt. Das gilt besonders für Standorte mit Freihandelszonen wie Pecém im Bundesstaat Ceará, Parnaíba (Piauí), Suape (Pernambuco) und Açu (Rio de Janeiro). Der Hafenkomplex Camaçari (Bahia) verfügt über keine ZPE (Zonas de Processamento de Exportação) und fokussiert eher auf die lokale Verwertung.
Unternehmen aus dem Bereich erneuerbarer Energien fordern starke Anreize. In den Staaten Bahia, Ceará und Piauí ist Elektrolysestrom bereits von der bundesstaatlichen Umsatzsteuer ICMS befreit. Eine derartige Maßnahme erwägt auch Minas Gerais, das im Juni 2023 das Förderprogramm "Gerar Hidrogênio" ins Leben rief. Eines der Hauptziele ist die Emissionsminderung in der Industrie, insbesondere im Bergbau und der Stahlindustrie, sowie dem Agrobusiness und Schienenverkehr.
Internationale Partnerschaften und Pilotprojekte
Am Standort Pecém treibt die Regierung des Bundesstaats Ceará den ersten Hub für grünen Wasserstoff in Brasilien voran. Bis Januar 2024 unterzeichnete der Bundesstaat 36 Absichtserklärungen mit Unternehmen, zuletzt mit dem Ölkonzern BP. Die Pecém Port Complex Integration Company (CIPP) investiert 135 Millionen US-Dollar in die Wasserstoffinfrastruktur des Hafens. Die Finanzierung erfolgt über die Weltbank und den Climate Investment Funds (CIF). Die Hafengesellschaft Rotterdam ist Miteigentümer von CIPP. Durch die Partnerschaft entsteht ein Green Hydrogen Corridor zur Belieferung Europas.
Impulse setzte auch das Stiftungsmodell H2Global, das Projekt H2Brasil und das Förderprogramm H2Uppp, über die die deutsche Bundesregierung den internationalen Markthochlauf von grünem Wasserstoff fördert. Das deutsche Unternehmen Neuman & Esser ist an wichtigen Pilotprojekten beteiligt.
Ausgewählte Forschungs- und Pilotprojekte in BrasilienProjektbezeichnung (Technologie) | Projektspezifika | Unternehmen | Status |
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Pilotanlage zur Wasserstoffelektrolyse in Itumbiara (Bundesstaat Goiás an der Grenze zu Minas Gerais) | Seit 2021 produzierte die Anlage 3 Tonnen grünen Wasserstoff über Strom aus der Wasserkraftanlage Itumbiara; Ziel ist u.a. die Produktion von E-Fuels | Eletrobras Furnas | Inbetriebnahme 2021, erste Zertifizierungen Ende 2023 |
Pilotanlage zur Wasserelektrolyse in Pecém (Ceará) | Solaranlage mit einer Leistung von 3 MW und einer Elektrolyse-Kapazität von 250 Normkubikmeter (Nm³) pro Tag | EDP Brasil | Inbetriebnahme 2022 |
Anlage zur Gewinnung von Wasserstoff aus Bioethanol im Forschungszentrum der Universität São Paulo (USP) | Anlage produziert in der ersten Phase 4,5 kg grünen Wasserstoff pro Stunde, in einer zweiten Phase voraussichtlich das Zehnfache: 44,5 kg/h | Gemeinschaftsprojekt: Biokraftstoff von Raízen, Technologie von Hytron der deutschen Firma Neuman & Esser (NEA Brasil), Kfz von Toyota und Finanzierung von Shell | Inbetriebnahme 2023 |
Pilotanlage in Foz do Iguaçu (Paraná) | Herstellung von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff aus Biogas und grünem Wasserstoff | H2Brasil: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GIZ) und das Internationale Zentrum für Erneuerbare Energien (CIBiogás) | Inbetriebnahme 2023 |
Forschungslaboratorien an den staatlichen Universitäten UFRJ in Rio de Janeiro und UFSC in Florianópolis (Santa Catarina) | Forschung zur Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik; Produktionskapazität UFSC: 4,1 Nm³/h Wasserstoff und 1 kg/h Ammoniak | H2Brasil/Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GIZ) und UFRJ/UFSC | Inbetriebnahme 2023 |
Bau des Green Hydrogen Center (CH2V) in Itajubá (Minas Gerais) | Elektrolyse; Produktionskapazität von 60 m³/h; Technologie von Neuman & Esser (NEA Brasil) und der Tochtergesellschaft Hytron | H2Brasil und Bundesuniversität Itajubá (Unifei) | Inbetriebnahme 2023 |
Biogas- und Biomethanolanlage in Toledo (Paraná) | Biomethanol erzeugt aus Biogas aus Schweinegülle, Produktionskapazität: 88.000 t/Jahr; H2Uppp-Projekt | Ambicoop, Coopersan und Mele Biogas GmbH | Inbetriebnahme 2. Quartal 2024 |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
Von Gloria Rose
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São Paulo