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Erneuerbare Energien: Lateinamerika liegt vorne

Dank Wasserkraft ist der Strom in vielen Ländern der Region schon heute sehr grün. Die Bedingungen für Wind- und Solarenergie sind ausgezeichnet. Doch es gibt auch Hürden.

Von Gloria Rose | São Paulo

Bei der Energiewende nimmt Lateinamerika die Poleposition ein. Keine andere Region weltweit verfügt bereits heute über einen so grünen Strommix. Im Jahr 2023 erzeugte der Subkontinent 63 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, so die Internationale Energieagentur (IEA). Einen Anteil in dieser Höhe wird Europa voraussichtlich erst 2030 erreichen. Einige Länder sind sogar noch weiter. Paraguay, Costa Rica, Uruguay und Brasilien erzeugen ihren Strom schon heute zu über 90 Prozent aus erneuerbaren Energien.

Ein weiterer Pluspunkt für die CO2-Bilanz von lateinamerikanischem Strom: Unter den fossilen Energieträgern kommt nicht Kohle, sondern Erdgas zum Einsatz. Viele Länder der Region wollen ihre Wettbewerbsvorteile bei grünem Strom nutzen, sei es zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft oder, um mehr Wertschöpfung in der Industrie zu erzielen. Das Stichwort lautet "Powershoring". Somit steht der Ausbau der Erneuerbaren auf der Agenda fast aller Regierungen.

Chile, Brasilien und Kolumbien als Top-Investitionsstandorte für Erneuerbare

Laut Prognose der IEA wird die Region ihre Stromerzeugungskapazität im Bereich der Erneuerbaren bis 2030 um 190 Gigawatt erweitern. Das ist vergleichsweise moderat. Deutschland etwa wird seine Kapazitäten voraussichtlich in ähnlichem Umfang ausbauen. 

Laut IEA-Prognose entfällt der Zubau zu 58 Prozent auf Brasilien, gefolgt von Chile (14 Prozent), Mexiko (10 Prozent), Kolumbien (6 Prozent) und Argentinien (4 Prozent). Alle weiteren Staaten kommen auf einen Anteil von 8 Prozent.

Chile, Brasilien und Kolumbien zählen unter den Schwellenländern zu den Top-10-Investitionszielen für erneuerbare Energien. Argentinien und Mexiko sowie viele kleinere Länder gelten als weniger attraktiv, so das Ranking Climatescope des Finanzdienstleisters Bloomberg.

Wasserkraft prägt den Strommix der Region

Über Wasserkraft erzeugt Lateinamerika 45 Prozent seines Stroms. Rund die Hälfte der Kraftwerke ist älter als 30 Jahre. Allein durch Modernisierungen kann beispielsweise Brasilien seine Kapazitäten um 18,4 Gigawatt erweitern. Neue Großprojekte konzentrieren sich auf die Andenstaaten. Ende 2024 wird das 2,5-Gigawatt-Kraftwerk Ituango in Kolumbien vollständig in Betrieb sein. In der Pipeline sind weitere Kraftwerke wie das 7,5-Gigawatt-Projekt Manseriche in Peru und das 3,6-Gigawatt-Projekt Zamora G8 in Ecuador. Darüber hinaus bieten Argentinien und Bolivien Potenzial für neue Wasserkraftwerke.

Doch der Neubau geht tendenziell zurück. Gegen neue Wasserkraftwerke sprechen die relativ hohen Kosten und die zunehmende Ablehnung der Bevölkerung. Außerdem birgt Wasserkraft im fortschreitenden Klimawandel immer höhere Versorgungsrisiken. Im Jahr 2024 führte die Trockenheit in Kolumbien und Ecuador zu Stromrationierungen. In Brasilien steigen bei niedrigen Wasserpegeln die Tarife, weil kurzfristig Gaskraftwerke die Stromnachfrage decken müssen. In Paraguay ist die Abhängigkeit von Wasserkraft am höchsten. Aber auch Costa Rica, Venezuela, Panama und Guatemala müssen ihre Stromversorgung diversifizieren.

Solarenergie dominiert vor Windkraft

Solarenergie wird immer preisgünstiger und dürfte fast drei Viertel der neuen Kapazitäten stellen, die bis 2030 errichtet werden. Wind soll immerhin knapp 20 Prozent ausmachen, prognostiziert die IEA. In Brasilien und Mexiko sowie teilweise auch in Argentinien und Chile schließen immer mehr Großverbraucher Abnahmeverträge ab und treiben so die Investitionen in große Parks voran. In Kolumbien werden die Verträge weiterhin überwiegend versteigert.

Brasilien ist der mit Abstand wichtigste Windenergiemarkt der Region. Nach dem Rekordjahr 2023 geht der Ausbau jedoch drastisch zurück. Die Krise trifft die im Inland entstandene Lieferkette hart. Deshalb versuchen die Hersteller, in andere Märkte der Region wie Chile, Argentinien und Uruguay zu exportieren. Mittelfristig bestehen nach wie vor sehr gute Aussichten in Brasilien, insbesondere im Nordosten des Landes. In Mexiko ist Windkraft seit 2020 kaum gewachsen. Doch Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum hat es sich auf die Fahne geschrieben, die privaten Investitionen in erneuerbare Energien zu beleben.

Dezentrale Erzeugung nimmt an Fahrt auf

In Brasilien wächst die Kapazität dezentraler Fotovoltaikanlagen doppelt so schnell wie die großer Solarparks. Doch könnten die Mitte November 2024 eingeführten drastischen Zollerhöhungen auf Solarmodule den weiteren Ausbau abwürgen. In den anderen Ländern der Region trägt die dezentrale Einspeisung von Solarenergie bislang kaum zur Stromversorgung bei. In Peru fehlt noch immer die Regulierung, in Kolumbien und Chile lohnten sich die Investitionen bislang nicht. Doch die fallenden Technologiepreise verändern die Märkte. Mittlerweile zieht die Nachfrage in Chile und Mexiko an. 

Übertragungsnetz als Nadelöhr für den Ausbau

Der steigende Anteil variabler erneuerbarer Energie stellt neue Anforderungen an das Einspeisemanagement und die Infrastruktur. Wenn das Verbundnetz nicht rechtzeitig modernisiert und erweitert wird, geht immer mehr Strom durch Abregelung verloren. Die Verluste durch die sogenannte Ausfallarbeit treffen die Anlagenbetreiber in Chile und mittlerweile auch in Brasilien. Das sorgt für Verunsicherung und bremst den Zubau.

Die Erweiterung der Stromnetze drängt. Chronische Unterinvestitionen belasten die Versorgungssysteme und verursachen Stromausfälle. Dazu kommen die Zerstörungen durch Hurrikane in der Karibik. Auch in der Megametropole São Paulo sorgten Stürme und umfallende Bäume 2024 mehrfach für Blackouts. Es gilt private Infrastrukturinvestitionen anzuregen. Angesichts der unsicheren Wirtschaftslage der vergangenen Jahre stehen Argentinien und Mexiko vor besonders großen Herausforderungen, verlässliche Verträge zu strukturieren und die Investoren zu mobilisieren.

Startschuss für Speichertechnologien 

Bei der steigenden variablen Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraft und dem unzureichenden Netzausbau lohnen sich Investitionen in Stromspeicher. Am höchsten ist der Anteil variabler erneuerbarer Energien an der Gesamtleistung in Chile mit 41 Prozent, gefolgt von Uruguay mit 34 Prozent und Brasilien mit 29 Prozent. Angesichts der zunehmenden Abregelungen ziehen die Investitionen in Batteriespeichersysteme (BESS) in Chile stark an. In Guatemala, Costa Rica und Panama kommt die Regulierung voran. Honduras versteigert 2024 erste Verträge. Brasilien plant die erste reine BESS-Ausschreibung für 2025. Nach dem brasilianischen Batterie- und Akkuhersteller Moura investieren auch UCB Power und WEG in die lokale Produktion von BESS.

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