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Brasiliens Strom ist schon grün

Die Öffnung des Strommarkts und attraktive Bedingungen für dezentrale Anlagen treiben die Investitionen voran. Zusätzliche Impulse kommen von der Wasserstoffwirtschaft.

Von Gloria Rose | São Paulo

93 %

des Stroms in Brasilien wurde 2023 durch Erneuerbare erzeugt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 56 Prozent. 

Bei grünem Strom ist Brasilien Spitze. Der saubere Strommix und die sehr guten Bedingungen für den weiteren Ausbau der Regenerativen bieten dem Land eine hervorragende Ausgangsposition für die Wasserstoffwirtschaft. Bei der Dekarbonisierung der Industrie kann Lateinamerikas größte Volkwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Neben der Elektrolyse setzt Brasilien dabei auf Bioenergie.

Kostenvorteile beleben freien Strommarkt

Im Jahr 2024 begünstigen hohe Pegelstände an den Stauseen die Stromversorgung. Schließlich entfällt etwa die Hälfte der installierten Gesamtleistung Brasiliens auf Wasserkraftwerke. Nach zweistelligen Erhöhungen in den Vorjahren prognostiziert die Regulierungsbehörde Aneel für 2024 einen Anstieg des durchschnittlichen Stromtarifs um “nur” 5,6 Prozent.

Doch steigen damit die Stromkosten am gebundenen Markt weiterhin stärker als die Inflation. Umso mehr lohnen sich Investitionen in die dezentrale Erzeugung und in Energieeffizienzprojekte. Gleichzeitig stimuliert dies das Wachstum des freien Strommarkts, auf den sich die Entwickler, Zulieferer und Betreibergesellschaften zunehmend konzentrieren.

Der freie Markt deckt mittlerweile 41 Prozent der Stromnachfrage des Landes Tendenz steigend, denn über die bilateral verhandelten Verträge können Großverbraucher bis zu 47 Prozent an Kosten sparen. Seit Januar 2024 steht es allen frei, Lieferverträge selbst zu verhandeln, sofern sie Strom auf einer Spannungsebene von mehr als 2,3 Kilovolt beziehen. Im Jahr 2023 wurde noch ein Mindestverbrauch von 500 Kilowatt vorausgesetzt. Ab 2024 dürfen somit zusätzliche 165.000 Unternehmen ihren Stromerzeuger frei wählen.

Windkraft im Schatten der Solarenergie

Der erweiterte Zugang zum freien Markt stimuliert neue Solarprojekte. Immer mehr Konzerne schließen langfristige Lieferverträge mit Produzenten von Solarenergie. Der Branchenverband Absolar erwartet für 2024 einen Zubau um 9,4 Gigawatt auf eine Gesamtleistung von 45,6 Gigawatt. Dezentrale Fotovoltaikanlagen und solche mit einer Nennleistung von bis zu 5 Megawatt boomen nach wie vor. Anfang 2023 überholte die immer günstigere Solarenergie die Windkraft. Damit ist die Fotovoltaik nun der zweitwichtigste Energieträger nach der Wasserkraft.

Mit einem Windkraftzubau um 4,8 Gigawatt war Brasilien 2023 nach den USA und China der drittgrößte Wachstumsmarkt weltweit - vor Deutschland und Indien. Dennoch durchlaufen die lokalen Hersteller von Windturbinen eine Krise. Denn seit dem Jahr 2022 schwächelt die Vergabe neuer Windparks. Zudem zieht sich die Regulierung der Offshore-Windkraft in die Länge.

Der US-amerikanische Hersteller GE kündigte Mitte 2022 seinen Rückzug aus Brasilien an. Siemens Gamesa sowie der brasilianische Fabrikant Weg setzen die Fertigung neuer Turbinen vorübergehend aus. Der deutsche Hersteller Nordex drosselte die Produktion in seinen drei Fabriken im Nordosten des Landes. Brasiliens Rotorblatthersteller Aeris entließ 2024 ein Viertel seiner Belegschaft und steigert nun zur Überbrückung der Absatzflaute den Export, der bis 2025 etwa 40 Prozent der Produktion ausmachen soll.

Dagegen nutzt der chinesische Hersteller Goldwind die Gelegenheit und übernimmt die ehemalige Fabrik von GE am Standort Camaçari im Staat Bahia. Auch Vestas schaut nach vorn. Mit Blick auf das gewaltige Potenzial der Offshore-Windenergie erwägt der dänische Konzern trotz Krise eine Erweiterung seiner Fabrik in Aquiraz im Bundesstaat Ceará.

Netzausbau und weitere Energieträger

Die Diversifizierung der Stromerzeugung erfordert Investitionen in den Netzausbau. Brasiliens Stromnetzagentur ONS rechnet bis 2028 mit Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar (US$). Die Vergabe neuer Konzessionen an private Netzbetreiber im Dezember 2023 und im März 2024 verlief sehr erfolgreich. Die neuen Verträge garantieren Investitionen von knapp 8 Milliarden US$ in den Ausbau des Übertragungsnetzes um 10.935 Kilometer Hochspannungsleitungen.

Der Ausgleich der schwankenden Stromerzeugung in Solar- und Windkraftanlagen erfordert Investitionen in die Modernisierung bestehender Wasser- und Gaskraftwerke sowie von Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Ende August 2024 werden erstmals seit 2021 langfristige Verträge für Regelenergie versteigert. Zugelassen sind sowohl neue, als auch bestehende Anlagen.

Brasiliens Elektrizitätswirtschaft entwickelt sich dynamisch, was sich auch in der Anzahl der Fusionen und Übernahmen niederschlägt. Im Jahr 2022 privatisierte die Regierung Eletrobras, den größten Stromkonzern Lateinamerikas. Somit ist die Stromwirtschaft in Brasilien heute nahezu vollständig in privater Hand und steht im Fokus von Investmentfonds und ausländischen Investoren.

Kohlenstoffarmer Wasserstoff

Brasiliens Dekarbonisierungsstrategie dreht sich um kohlenstoffarmen Wasserstoff, nicht grünen Wasserstoff. Allerdings steht die Regulierung der Wasserstoffpolitik auf nationaler Ebene immer noch aus. Derweil formulieren einzelne Bundesstaaten je nach den spezifischen Voraussetzungen unterschiedliche Maßnahmen, die neben Solar- und Windenergie auch Projekte der Bioenergie fördern:

Mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft kann Brasilien künftig zu einem der wichtigsten Exporteure grüner Energie und nachhaltigerer Industrieprodukte aufsteigen. Der Nordosten des Landes gehört zu den Regionen mit den weltweit besten natürlichen Voraussetzungen für Onshore-Wind- und Solarenergie – nicht zuletzt, weil sich beide im Tagesverlauf perfekt ergänzen.

Die Freihandelszonen im Nordosten richten sich auf den Export von grünem Ammoniak und Industrieprodukten nach Europa aus. Im Süden, Südosten und Zentralwesten setzen viele Bundestaaten auf ein immenses Biomassepotenzial, oft Reststoffe der stark wachsenden Agrarwirtschaft. Auch wenn Brasilien den Rechtsrahmen für kohlenstoffarmen Wasserstoff noch nicht im Detail festgelegt hat, verstärken energieintensive Industriekonzerne bereits ihre Investitionen in die Dekarbonisierung. 

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