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Öl und Gas aus Lateinamerika für ein Europa in der Zeitenwende

Die Förderung von Öl und Gas steigt - dank neuer Offshore- und Schieferölfelder. Milliarden fließen in Raffinerien, Pipelines und LNG-Terminals. Zwei Länder rücken in den Fokus.

Von Fabian Nemitz | Bonn

Unternehmen und Politiker aus Europa richten ihren Blick zunehmend auf Lateinamerika, einen Partner mit einer gemeinsamen Wertebasis – und großen Rohstoffvorkommen. Laut Angaben der U.S. Energy Information Administration (EIA) verfügt der Subkontinent über rund ein Fünftel der weltweiten Ölreserven. Das liegt vor allem an den enormen Vorkommen Venezuelas, aber auch in anderen Ländern der Region wurden in den vergangenen Jahren neue, große Öl- und Gasfelder entdeckt.

Guyana wird zu einem wichtigen Ölförderland

Hierzu zählt Guyana. Bis 2020 wurden vor der Küste des Landes am Atlantik riesige Ölfelder entdeckt. Der US-Konzern ExxonMobil schätzt die gesamten Vorkommen auf 10 Milliarden Barrel. Damit läge das Land mit seinen 800.000 Einwohnern auf Rang 17 der ölreichsten Staaten der Welt. Schon heute erfährt Guyana, das bislang vom Export von Zuckerrohr, Gold und Bauxit lebte, einen Wirtschaftsboom. Nach einem Wachstum von jährlich real rund 40 Prozent von 2020 bis 2022 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2023 bis 2026 einen weiteren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um rund 25 Prozent pro Jahr.

Annäherung zwischen Venezuela und dem Westen 

Doch bringen das schwarze Gold und der schnelle Boom auch Herausforderungen mit sich. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung die Einnahmen klug nutzt. Ein Negativbeispiel ist das Nachbarland Venezuela, das Land mit größten Ölreserven weltweit. Aufgrund von Armut, Kriminalität und Versorgungsengpässen haben in den vergangenen Jahren mehr als 7 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Gleichzeitig ist die Ölproduktion wegen Missmanagement und Sanktionen des Westens von einst fast 3 Millionen Barrel pro Tag (bpd) auf aktuell rund 650.000 bpd gesunken.

Doch rückt das politisch isolierte Land wieder in den Fokus, und es gibt erste Zeichen einer Entspannung. Seit Ende November 2022 dürfen der US-Ölkonzern Chevron und große Dienstleister ihre Aktivitäten in Venezuela wieder aufnehmen. Mischa Groh, Geschäftsführer der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Kolumbien und Venezuela, sieht die Annäherung positiv. "Durch die geopolitische Neuordnung bedingt durch den Ukrainekonflikt und die damit ausgelöste Energiekrise könnte Venezuela auch für deutsche Unternehmen wieder interessant werden", sagte er Anfang Dezember 2022 gegenüber dem Handelsblatt.

Geht die Öffnung weiter, bietet sich ein gewaltiges Wirtschaftspotenzial. Nach Schätzung eines früheren Leiters der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA müssten acht Jahre lang pro Jahr 25 Milliarden US$ investiert werden, damit das Land wieder zu den einstigen Produktionsniveaus zurückkommt, schreibt die britische Zeitschrift The Economist.

Argentinien will Exporteur von Öl und Gas werden

Auch Argentinien steht vor einem Ölboom. Grund dafür ist das Vorkommen Vaca Muerta, eine der größten Ölschieferlagerstätten der Welt. Die EIA schätzt die förderbaren Reserven auf 16 Milliarden Barrel Öl und 8,7 Billionen Kubikmeter Erdgas. Die Produktion an der Lagerstätte läuft bereits seit einigen Jahren, doch um sie zu erweitern, bedarf es neuer Pipelines für den Abtransport.

Eine davon ist die Gasleistung Néstor Kirchner, die Ende 2025 in Betrieb gehen soll. Vorgesehen ist auch der Bau einer Pipeline nach Südbrasilien sowie der Bau einer Gasverflüssigungsanlage in Bahía Blanca. Statt pro Jahr 5 Milliarden US$ für den Import von Energieträgern auszugeben, will das an Devisen klamme Land bis 2030 rund 17 Milliarden US$ mit dem Export von Öl und Gas verdienen, schreibt die Zeitung La Nación.

Ein wichtiger Player in Argentinien ist die deutsche Firma Wintershall Dea. Das Unternehmen mit Sitz in Celle fördert an Blöcken von Vaca Muerta und will gemeinsam mit Partnern 700 Millionen US$ in die Erschließung eines Offshore-Gasfelds investieren.

Brasilien steigert Ölproduktion

Aus Brasilien hingegen hat sich Wintershall Dea Anfang 2022 zurückgezogen. Doch auch in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft expandiert der Öl- und Gassektor. Grund hierfür ist die Erschließung großer Vorkommen vor der Küste des Landes. Die unter dicken Salzschichten (Pré-Salt), rund 3.000 Meter tief in der Erdkruste gelegenen Felder wurden erst vor rund 15 Jahren entdeckt.

Nach Prognosen der nationalen Agentur für Öl, Gas und Biokraftstoffe (APN) könnte Brasiliens Ölförderung bis 2031 auf 5,2 Millionen bpd steigen. Aktuell liegt sie bei knapp 3 Millionen bpd. Allerdings bedarf es hierfür weiter hoher Ölpreise. Liegt der Preis für ein Barrel bei 90 US$, lohne sich die Erschließung und Förderung von mehr als 95 Prozent der Vorkommen; bei einem Preis von 30 US$ gelte dies aber für weniger als die Hälfte, zitiert der Economist das Analysehaus Rystad Energy.

Geschäftschancen in Brasilien bieten auch die Pläne des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras, sich von zahlreichen Assets zu trennen, darunter von Raffinerien und Onshore-Ölfeldern, um sich stärker auf den Offshore-Bereich konzentrieren. Zudem hat die Regierung in den vergangenen Jahren den Gasmarkt geöffnet.

Unsicherheit über Energiepolitik in Kolumbien

Dagegen herrscht in Kolumbien weiter Unsicherheit über die Energiepolitik. Der seit Sommer 2022 amtierende Präsident Gustavo Petro hatte sich im Wahlkampf für ein Ende neuer Explorationen eingesetzt. Öl ist aber ein wichtiger Devisenbringer des Landes. Punkten konnte das Land seit Ausbruch des Ukrainekrieges zudem als Exporteur von Kohle, darunter nach Deutschland. Chancen in dem Andenstaat bieten Projekte zum Bau neuer LNG-Terminals und Pipelines.

Pipelines, eine Großraffinerie, LNG-Terminals - gut gefüllt ist die Projektpipeline auch in Mexiko. Dabei hat das Land den LNG-Bedarf in Europa und Asien im Blick. Das Gas dafür kommt allerdings vorerst aus den USA.

Dieser Beitrag gehört zu:

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