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Landwirtschaft: Lateinamerika bietet mehr als Kaffee und Bananen
Lateinamerika spielt eine wichtige Rolle für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. Doch Klimawandel und andere Veränderungen machen den Landwirten zu schaffen. (Stand: 22.11.2024)
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Landwirtschaftssektor (einschließlich Forstwirtschaft, Fischerei, Jagd) in Lateinamerika insgesamt an Bedeutung gewonnen. Impulsgeber sind vor allem Argentinien, Brasilien und Bolivien, während in verschiedenen anderen Staaten wie Chile der Agrarsektor rückläufig ist.
Starker Beitrag zur Welternährung
Tatsächlich produziert die Region Lebensmittel für etwa 1,3 Milliarden Menschen – etwa das Doppelte seiner eigenen Bevölkerung, so die Welternährungsorganisation FAO. Zu ihr zählen einige der global führenden Agrarexporteure, allen voran Brasilien sowie Argentinien, Mexiko, Chile, Ecuador, Peru und Kolumbien.
Vor dem Hintergrund einer wachsenden Nachfrage bei steigender Weltbevölkerung und sich ändernder Konsumgewohnheiten hin zu mehr Obst, Fleisch und Milchprodukten baut Lateinamerika seine Position als Agrarexporteur weiter aus, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung. Während sich zum Beispiel Mexikos Export überwiegend auf die USA konzentriert, gehen Sojabohnen aus Brasilien und Argentinien vorrangig nach China. Für Kaffee sind die USA und Europa die Hauptdestinationen.
Umweltschutz oft zweitrangig
Die Exporterfolge haben indessen ihren Preis. Nicht selten gehen sie einher mit einer Ausweitung der Nutzflächen – etwa zu Lasten des Amazonaswaldes oder von Feuchtsavannen oder anderer ökologisch wertvoller Areale.
Überdies wuchs gemäß FAO der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Lateinamerika und der Karibik von 2000 bis 2021 um 182 Prozent auf 1,27 Millionen Tonnen. Das ist deutlich mehr als der weltweite Anstieg von 62 Prozent auf 3,53 Millionen Tonnen.
Brasilien ist sogar der weltgrößte Pestizidverbraucher mit fast 720.000 Tonnen, vor den USA (457.385 Tonnen). Tatsächlich nutzten brasilianische Landwirte 2021 satte 10,9 Kilogramm pro Hektar, viermal so viel wie Bauern in den Vereinigten Staaten. Auch bei chemischen Düngemitteln liegt Brasilien mit Rang 3 weit vorne (allerdings bei drei Ernten im Jahr). Das bedeutet aber nicht, dass es in Brasilien keine Ansätze für grüne Landwirtschaft gäbe.
Hoffnung auf mehr Nachhaltigkeit durch neue Kundenanforderungen und Zertifizierungen
Insgesamt sind die Länder für nachhaltige Landwirtschaft höchst unterschiedlich aufgestellt. Laut FAO besitzt beispielsweise Argentinien rund 4,2 Prozent aller weltweit zertifizierten organisch genutzten Agrarflächen, Nummer 3 nach Australien und Indien. Mit Blick auf den Anteil zertifizierter Flächen an der Gesamtagrarfläche hat indessen Uruguay die Nase vorn (19,6 Prozent, 2022). Allerdings beruhen diese Werte quasi ausschließlich auf extensiver Weidewirtschaft (95 beziehungsweise 99,9 Prozent der deklarierten Flächen).
Große Durchgriffswirkung in dieser Hinsicht wird den Anforderungen von internationaler Kundenseite zugetraut. Zu einem Meilenstein könnte die EU-Verordnung 2023/1115 für entwaldungsfreie Lieferketten werden. Ab dem 30. Dezember 2025 (ursprünglich 1. Januar 2025) müssen europäische Importeure von Holz, Palmöl, Soja, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Rindern nachweisen, dass diese nicht auf nach 2020 entwaldeten Flächen stammen (Kleinst- und Kleinunternehmen haben Frist bis 30. Juni 2026). Betroffen sind die großen Exporteure der genannten Produkte wie Brasilien, Uruguay, Argentinien sowie Mexiko und Paraguay. Möglicherweise erweitert die EU die Verordnung in Zukunft um andere Produktgruppen.
Nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch als Qualitätsmerkmal gewinnt die Nachverfolgbarkeit von Produkten (wie Blockchaintechnologien) etwa für Herkunftsbezeichnung und Markenbildung an Gewicht. Dessen ungeachtet stellt die wachsende Zahl an Zertifizierungserfordernissen, die oft von Land zu Land variieren, die Exporteure vor Ort vor Herausforderungen. Gerade für kleine Bauern sind sie kaum zu überblicken.
Generell schadet zu viel Chemie der Biodiversität, der Gesundheit und kostet Geld. Mit ihrem 2023 vorgestellten Konzept Bioinsumos will die FAO allen drei Aspekten Rechnung tragen. Eng damit verknüpft ist der Schutz der Böden. Laut FAO ist mittlerweile die Hälfte der Agrarflächen Lateinamerikas von Erosion und Bodenverschlechterung betroffen. Doch der Umstieg auf ökologische Methoden ist nicht einfach:
Was sind Bioinsumus?
Mit Bioinsumus will die FAO den Übergang zu nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen erreichen. Eingesetzt werden sogenannte Bioinputs pflanzlicher, tierischer oder mikrobieller Art. Bioinputs können sein:
- Biodüngemittel
- Biostimulantien wie Mikroorganismen oder organische Substanzen, die die Nährstoffaufnahme der Pflanzen erhöhen.
- Organische Düngemittel
- Biologische Schädlingskontrolle
- Bodenverbesserung via Entgiftung durch Mikroorganismen/Pflanzen/Biomoleküle oder Steigerung der Bodenqualität durch Biotransformatoren, die die Zersetzung der organischen Reststoffe beschleunigen.
Klimawandel senkt Erträge und erhöht Ausfallrisiken
Während Bioinsumos für die meisten Bauern noch ein Fremdwort sind, selbst wenn sie einzelne Segmente des Konzepts bereits praktizieren, erleben so gut wie alle den sich vollziehenden Klimawandel hautnah mit. Besonders gefährdet sind die tropischen und subtropischen Anbaugebiete, aber nicht nur diese – und nicht erst in Zukunft.
Chile beispielweise leidet seit 2006 in einigen Landesteilen unter ausbleibenden Regenfällen, die von manchen Experten angesichts des Klimawandels schon als Dauerzustand interpretiert werden. Die Situation hat sich zwar mit dem Wechsel von "La Niña" zu "El Niño" verbessert. Doch stattdessen klagen die Landwirte regional über Stürme und Überschwemmungen. Grundsätzlich ist künftig mit extremeren Wetterlagen zu rechnen.
Technologische Lösungen zum effizienteren Ressourceneinsatz
Zwar stellt eine Verlagerung der Anbauflächen in bestimmten Fällen eine Option dar (in Argentinien träumt mancher schon von Wein aus Patagonien), doch vor allem gefragt sind an die neuen Bedingungen angepasste Pflanzensorten und Technologien.
Gebraucht werden Technologien, Maschinen und Geräte, um die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen – seien es Wasser, Düngemittel oder Herbizide. Nach Aussagen von Branchenfirmen lassen sich schon mit einfachen Mitteln in der Bewässerung große Effizienzsteigerungen erzielen. Eher für größere Agrarbetriebe eignen sich Hightech-Systeme wie digitales Monitoring oder der Einsatz von Luft- und Satellitenbildern.
Der Druck zu stärkerer Mechanisierung und Automatisierung kommt noch von anderer Seite: Aufgrund der niedrigeren Bevölkerungszuwächse und weil viele Menschen in die Städte ziehen, muss das verfügbare Land von weniger Händen bestellt werden.