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Landwirtschaft: Lateinamerika bietet mehr als Kaffee und Bananen

Lateinamerika spielt eine wichtige Rolle für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. Doch Klimawandel und andere Veränderungen machen den Landwirten zu schaffen.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Lateinamerika produziert Lebensmittel für etwa 1,3 Milliarden Menschen – etwa das Doppelte seiner eigenen Bevölkerung, so die Welternährungsorganisation FAO. Zur Region zählen einige der global führenden Agrarexporteure, allen voran Brasilien sowie Argentinien, Mexiko, Chile, Ecuador, Peru und Kolumbien. Doch nicht überall ist der Agrarsektor stark. So können Venezuela und einige Karibikstaaten ihre Bevölkerung nicht selbst ernähren.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Landwirtschaft in der Region leicht an Bedeutung verloren. Aber es gibt Ausnahmen, und in vielen Ländern des Subkontinents spielen die Landwirtschaft und nachgelagerte Wirtschaftszweige immer noch eine zentrale Rolle.

Hoher Pestizideinsatz in Lateinamerika

Doch die große Bedeutung und die Erfolge der Landwirtschaft haben ihren Preis. Gemäß FAO stieg der Pestizideinsatz in Lateinamerika und der Karibik von 2000 bis 2021 um 182 Prozent auf 1,27 Millionen Tonnen. Das ist deutlich mehr als der weltweite Anstieg von 62 Prozent auf 3,53 Millionen Tonnen.

Brasilien ist sogar der weltgrößte Pestizidverbraucher mit fast 720.000 Tonnen, vor den USA (457.385 Tonnen). Tatsächlich nutzten brasilianische Landwirte 2021 satte 10,9 Kilogramm pro Hektar, viermal so viel wie Bauern in den Vereinigten Staaten. Auch bei chemischen Düngemitteln liegt Brasilien mit Rang 3 weit vorne.

Bioinsumus versus Agrarchemie

Doch zu viel Chemie schadet der Biodiversität, der Gesundheit und kostet Geld. Mit ihrem 2023 vorgestellten Konzept Bioinsumos will die FAO allen drei Aspekten Rechnung tragen. Eng damit verknüpft ist der Schutz der Böden. Laut FAO ist mittlerweile die Hälfte der Agrarflächen Lateinamerikas von Erosion und Bodenverschlechterung betroffen. Doch der Umstieg auf ökologische Methoden ist nicht einfach:

"Das Problem ist der Einstieg. Die Umstellung ist ein Prozess, der Zeit braucht und in dem die Produktivität und die Einnahmen zunächst sinken. Doch auf lange Sicht bringt Bioinsumos Vorteile.  Allerdings haben die Länder sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Im mediterran-trockenen Chile ist es beispielsweise einfacher, Pilzmittel zu reduzieren, während sich die Situation in feuchteren Ländern viel komplexer darstellt." 

Claudio Cilveti Präsident des Rats der Lebensmittel- und Weinexporteure Chiles

Auch sonst sind die Länder für nachhaltige Landwirtschaft höchst unterschiedlich aufgestellt. Laut FAO besitzt beispielsweise Argentinien rund 5 Prozent aller weltweit zertifizierten organisch genutzten Agrarflächen, Nummer 2 nach Australien. Mit Blick auf den Anteil zertifizierter Flächen an der Gesamtagrarfläche hat indessen Uruguay die Nase vorn (circa 19,5 Prozent, 2021). Andere Länder sind längst nicht so weit.

Was ist Bioinsumus?

Mit Bioinsumus will die FAO den Übergang zu nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen erreichen. Eingesetzt werden sogenannte Bioinputs pflanzlicher, tierischer oder mikrobieller Art. Bioinputs können sein:

  1. Biodüngemittel
  2. Biostimulantien wie Mikroorganismen oder organische Substanzen, die die Nährstoffaufnahme der Pflanzen erhöhen.
  3. Organische Düngemittel
  4. Biologische Schädlingskontrolle
  5. Bodenverbesserung via Entgiftung durch Mikroorganismen/Pflanzen/Biomoleküle oder Steigerung der Bodenqualität durch Biotransformatoren, die die Zersetzung der organischen Reststoffe beschleunigen.

Klimawandel senkt Erträge und erhöht Ausfallrisiken

Während Bioinsumos für die meisten Bauern noch ein Fremdwort ist, selbst wenn sie einzelne Segmente bereits praktizieren, erleben so gut wie alle den sich vollziehenden Klimawandel hautnah mit. Besonders gefährdet sind die tropischen und subtropischen Anbaugebiete, aber nicht nur diese – und nicht erst in Zukunft.

Chile beispielweise leidet bereits seit 2006 in einigen Landesteilen unter ausbleibenden Regenfällen, die von manchen Experten angesichts des Klimawandels schon als Dauerzustand interpretiert werden. Die Situation hat sich zwar mit dem Wechsel von "La Niña" zu "El Niño" verbessert. Doch stattdessen klagen die Landwirte regional über Stürme und Überschwemmungen. Grundsätzlich ist künftig mit extremeren Wetterlagen zu rechnen.

Technologische Lösungen zum effizienteren Ressourceneinsatz

Zwar stellt eine Verlagerung der Anbauflächen in bestimmten Fällen eine Option dar (in Argentinien träumt mancher schon von Wein aus Patagonien), doch vor allem gefragt sind an die neuen Bedingungen angepasste Pflanzensorten und Technologien. 

Gebraucht werden Technologien, Maschinen und Geräte, um die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen – seien es Wasser, Düngemittel oder Herbizide. Nach Aussagen von Branchenfirmen lassen sich schon mit einfachen Mitteln in der Bewässerung große Effizienzsteigerungen erzielen. Eher für größere Agrarbetriebe eignen sich Hightech-Systeme wie digitales Monitoring oder der Einsatz von Luft- und Satellitenbildern. 

Der Druck zu stärkerer Mechanisierung und Automatisierung kommt noch von anderer Seite: Aufgrund der niedrigeren Bevölkerungszuwächse und weil viele Menschen in die Städte ziehen, muss das verfügbare Land von weniger Händen bestellt werden. Abhilfe böten, so Claudio Cilveti, bessere Ausbildung und höhere Löhne vor Ort. 

Mehr Export versus Umweltschutz

Vor dem Hintergrund einer wachsenden Nachfrage bei steigender Weltbevölkerung baut Lateinamerika seine Position als Agrarexporteur weiter aus, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung. Während sich zum Beispiel Mexikos Export überwiegend auf die USA konzentriert, gehen Sojabohnen aus Brasilien und Argentinien vorrangig nach China. Für Kaffee sind die USA und Europa die Hauptdestinationen.

Darüber hinaus steigt mit den Einkommen der Weltkonsum von Obst, Fleisch und Milchprodukten, und damit auch die Nachfrage nach Futtermitteln wie Soja. Allerdings steht gerade die oft damit verbundene Flächenausweitung – etwa zu Lasten des Amazonaswaldes oder von Feuchtsavannen – in Konkurrenz zur Notwendigkeit seines Erhalts zum Klima- und Biodiversitätsschutz. 

"Schulungen und Aufklärung – nicht nur der Landwirte selbst, sondern auch in der Politik, die die Regularien formuliert, – sind unabdingbar. Der Gesetzgeber muss die Innovationen kennen, die auf dem Land umgesetzt werden, um die Biodiversität zu schützen, zum Beispiel die Schaffung von regelmäßigen "Öko-Korridoren" zwischen den Äckern."

Alan Peter Lüer Barbieri Sustainability & Commercial Support, Bayer Chile

EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten

Große Durchgriffswirkung wird den Anforderungen von internationaler Kundenseite zugetraut. Zu einem Meilenstein könnte die EU-Verordnung 2023/1115 für entwaldungsfreie Lieferketten werden. Ab dem 1. Januar 2025 müssen europäische Importeure von Holz, Palmöl, Soja, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Rindern nachweisen, dass diese nicht auf nach 2020 entwaldeten Flächen stammen. 

Betroffen sind die großen Exporteure der genannten Produkte wie Brasilien, Uruguay, Argentinien sowie Mexiko und Paraguay. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die EU die Verordnung in Zukunft um andere Produktgruppen erweitert.

Zertifizierungen werden immer wichtiger

Nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch als Qualitätsmerkmal gewinnt die Nachverfolgbarkeit von Produkten etwa im Sinne der Herkunftsbezeichnung und Markenbildung an Gewicht. Insgesamt jedoch stellt die wachsende Zahl an Zertifizierungserfordernissen, die oft von Land zu Land variieren, die Exporteure vor Ort vor Herausforderungen. Gerade für kleine Bauern sind sie kaum zu überblicken. 

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