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Rohstoffe: Lateinamerika wartet nicht auf Europa

Die Hoffnungen in Deutschland und Europa auf die Bodenschätze des Subkontinents sind groß. Doch nach wie vor fehlt es an konkreten Vorhaben. Andere Länder zeigen, wie es geht.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Lateinamerika zählt zu den wichtigsten Bergbauregionen der Welt. Bei vielen Vorkommen liegt der Subkontinent auf den vorderen Rängen. Das gilt besonders für Kupfer, Silber und Lithium. Interessant sind aber auch die Vorkommen an Blei, Eisen, Gold, Graphit, Molybdän, Zink und Zinn.

Steigen könnte die Bedeutung der Region künftig bei der Förderung weiterer als kritisch eingestufter Elemente wie Indium, Germanium oder Tellur sowie seltener Erden. Deren Vorkommen sind vielfach noch nicht ausreichend erforscht - ein Thema, mit dem sich unter anderem die Asociación de Servicios de Geología y Minería Ibanoamericanos (ASGMI) befasst.

Sekundärbergbau mit viel Potenzial

Noch viel weniger erforscht sind die unzähligen Abraumhalden auf dem Kontinent. Hier lagern ungehobene Schätze – und manche ökologische Zeitbombe. So arbeitet Peru mit Unterstützung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) daran, 47 Abraumhalden auf Umweltgefahren, aber auch nach ihrem Wiederaufbereitungspotenzial zu katalogisieren. 

"Es kann durchaus einfacher und preiswerter sein, Wertstoffe aus Halden und Tailings zu gewinnen, als eine neue Mine zu eröffnen.  Zugleich tut man etwas Positives für die Umwelt, indem Halden verkleinert oder sogar Giftstoffe entfernt werden. Dies gilt speziell für Halden und Tailings, die in den 1950er- bis 1970er-Jahren entstanden sind, als die Abbaumethoden noch nicht so effizient waren wie heute." 

 

Iris Wunderlich Leiterin des Kompetenzzentrums Bergbau an der AHK Chile

In Chile etwa gebe es Tailings mit einem Gesamtvolumen von 11,4 Milliarden Tonnen, die verschiedenste Elemente wie Arsen, Zyanid, Kupfer, Zink, Chrom oder Blei enthielten, sagt Wunderlich. Und das sei noch nicht alles: Chile habe das Potenzial zum weltweit drittgrößten Kobaltproduzenten zu werden, denn allein aus den Abraumhalden ließen sich zwischen 15.000 und 25.000 Tonnen gewinnen. Das sei auch deshalb interessant, weil bisher rund drei Viertel der Weltproduktion aus dem politisch heiklen Kongo stammten.

Lateinamerika lockt mit großer Projektpipeline 

Zugleich befinden sich überall Großprojekte in der Pipeline. Allerdings sind im Bergbau die Vorlaufzeiten von der Exploration bis zum Produktionsstart erheblich.

"Nicht allein, weil die Nachfrage steigt, wird der Rohstoff abgebaut – so läuft es im Bergbau nicht. Bestehende Minen können ihre Produktion nur begrenzt steigern und die Entwicklung neuer Projekte kann unter Umständen 10 bis 20 Jahre dauern."

Achim Constantin Experte für nachhaltigen Bergbau in Lateinamerika, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)

Das gilt jedoch nicht für alle Abbauformen. So heizt der rekordhohe Goldpreis den illegalen Bergbau in Peru, Ecuador, Kolumbien oder Brasilien an, auch weil sich die informellen Mineros nicht um Genehmigungsverfahren scheren. Umgekehrt leiden viele Segmente unter der schwächelnden Nachfrage, vor allem aus China, und den damit einhergehenden niedrigen Preisen bei zugleich gestiegenen Zinsen. In Ländern wie Ecuador oder Argentinien haben die politischen und sozialen Unwägbarkeiten zugenommen. All dies lässt die Firmen zum Teil vorsichtiger agieren.

Bedingungen im Bergbau sind von Land zu Land unterschiedlich

  • Länder wie Chile, Brasilien oder Mexiko verfügen über eine lange Bergbautradition, große Minen und erfahrene Fachleute in den Behörden; dagegen stehen Staaten wie Ecuador oder Panama noch am Anfang.
  • In Lateinamerika sind viele internationale Bergbaukonzerne tätig, die oft nach eigenen Standards arbeiten; ihnen stehen mittelgroße, meist nationale Unternehmen gegenüber sowie häufig ein großer informeller/illegaler und damit völlig unkontrollierter Bergbau, wie etwa in Peru oder Ecuador.
  • Die Investitionsvolumina und ökologischen Konsequenzen des Bergbaus variieren stark, je nach Rohstoff und Art der Vorkommen (Tage-/Untertagebau, Erze in Gestein/Sole in Salaren, Freisetzung giftiger Metalle beim Abbau).

 

Mehr Sorgfaltspflichten

Soziale und Umweltaspekte gewinnen im Rohstoffsektor immer mehr an Gewicht – von Seiten der Öffentlichkeit, des Staates, der lokalen Bevölkerung sowie der Unternehmen und ihrer Shareholder. Besonders für nicht traditionelle Bergbauländer ist das eine enorme Herausforderung. Druck kommt auch von den Kunden. Sie fordern zunehmend Zertifizierungen wie IRMA oder Copper Markum sich wiederum gegenüber den eigenen Kunden und der Öffentlichkeit abzusichern.

Verstärkt wird dieser Trend durch das deutsche beziehungsweise europäische Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Beide verpflichten Unternehmen, die Einhaltung sozialer und Umweltstandards ihrer Lieferanten sicherzustellen. Umgekehrt bereiten sich jetzt viele Bergbaukonzerne mit Zertifizierungen darauf vor. 

Ein Zukunftsthema ist der verantwortungsvolle Umgang mit Minenschließungen. Vorreiter ist Chile. Die Bergbaubehörde Sernageomin ist dabei, die Folgen des Klimawandels auf Minenschließungen zu untersuchen. Große Bergbaufirmen extrapolieren bereits die Zunahme von Extremwetterlagen wie Starkregen auf die kommenden Jahrhunderte, um ihre Operationsrisiken zu minimieren. 

"Grundsätzlich ist die Erhöhung der Standards positiv. Zum Beispiel mussten viele Bergbaubetriebe ihre Beschwerdemechanismen verbessern und für lokale Gemeinden zugänglicher gestalten, um eine gute Benotung von IRMA oder Copper Mark zu bekommen. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass auch kleinere und mittlere Bergbauunternehmen, die oft finanziell schlechter aufgestellt sind, dabei unterstützt werden, diese Standards zu übernehmen."

Nicolas Maennling Experte für nachhaltigen Bergbau bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Automatisierung stellt Sektor vor neue Herausforderungen

Automatisierung und Digitalisierung tragen dazu bei, die Produktivität zu steigern und die Risiken für die Beschäftigten zu verringern. Sie stellen die Betriebe aber auch vor neue Herausforderungen. "Natürlich ist es gut, wenn weniger Menschen in ungesicherten Gruben schuften müssen. Doch die in stark durchautomatisierten und -digitalisierten Minen geforderten 'Silicon-Valley-Qualifikationen' sind selbst bei Ausbildungsmaßnahmen vor Ort kaum zu erreichen. Letztlich erschwert dies die notwendige 'Social Licence to operate', an der immer mehr neue Projekte zu scheitern drohen", so ein Insider.

Und dabei gehe es nicht nur um Jobs im Bergbau, denn die dort generierten Einkommen helfen auch der lokalen Gastronomie, dem Transportgewerbe und weiteren Sektoren. Viele Gemeinden akzeptierten den Bergbau vor ihrer Haustür nur, wenn er für sie Arbeitsplätze und Einkommen schaffe. Hier gelte es, eine Balance zu finden.

Der "neue" Blick auf Lateinamerika

Im Zuge zunehmender geopolitischer Spannungen und der Neuausrichtung von Lieferketten blicken die USA und Europa vermehrt auf Lateinamerika. Der Westen bemüht sich um neue Rohstofflieferanten, um Abhängigkeiten zu Ländern wie Russland und China zu verringern. Zwar ist auch Lateinamerika keine Insel der Seligen: Nicht wenige Länder leiden unter Korruption, schwachen staatlichen Institutionen oder organisiertem Verbrechen. Trotzdem schaffen viele immer wieder demokratisch legitimierte Machtübergänge oder stehen Europa wertemäßig näher als die genannten Autokratien.

Vor diesem Hintergrund versucht die EU über die Global-Gateway-Initiative und den Abschluss von Rohstoffpartnerschaften, ihre Präsenz zu stärken. Mit Annahme der Verordnung zu kritischen Rohstoffen am 18. März 2024 wird der Druck weiter zunehmen, außerdem können die EU-Kommission und Mitgliedsstaaten Projekte als strategisch einstufen und fördern.

Das größte Manko ist jedoch das Fehlen konkreter Projekte. Denn Europa ist nicht der einzige Interessent vor Ort. Der mit gewaltigem Abstand wichtigste Initiator für kommende Vorhaben ist Kanada. Auch China ist schon seit über einer Dekade dabei, sich gezielt Zugang zu Rohstoffen zu sichern – ohne sich in Fragen zu sozialen oder ökologischen Standards zu verlieren, auch wenn der chinesische Impetus etwas an Schwung verloren hat. Unter den 30 wichtigsten in Vorbereitung befindlichen Bergbauprojekten Lateinamerikas (ohne Lithium) kommt kein einziges aus der EU.

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