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Branchen | Polen | Wasserstoff

Wasserstoff bleibt ein Nischenthema

Wenige Leuchtturmprojekte und viele kleinere Vorhaben charakterisieren den Wasserstoffsektor in Polen. Zu den Problemen gehören unklare Rahmenbedingungen und hohe Kosten.

Von Christopher Fuß | Warschau

  • Polen bereitet neue Wasserstoffstrategie vor

    Im Laufe des Jahres 2024 will Polens Klimaministerium eine neue Wasserstoffstrategie vorstellen. Staatskonzerne setzen bereits Projekte um, auch dank europäischer Fördergelder. 

    Polen gehört zu den größten Herstellern von Wasserstoff in der EUBislang produziert das Land fast ausschließlich sogenannten grauen Wasserstoff, der als Zwischenprodukt der Industrie entsteht. Da dabei große Mengen an klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangen, gilt grauer Wasserstoff nicht als umweltfreundlich.

    Klimaverträglicher grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen ist hingegen MangelwarePolens staatliche Wasserstoffstrategie PSW (Polska Strategia Wodorowa) beschreibt, wie der Umstieg gelingen soll. Doch das Dokument aus dem Jahr 2021 ist veraltet. Das Klimaministerium kündigte im März 2024 an, die Strategie zu aktualisieren - ohne ein konkretes Datum zu nennen.

    Neue Strategie und neuer rechtlicher Rahmen

    Polen will laut den noch gültigen Plänen Produktionskapazitäten für klimafreundlichen Wasserstoff bauen. Die Gesamtkapazität würde dann 2 Gigawatt betragen. Außerdem verspricht das Strategiepapier 1.000 Wasserstoffbusse, neue Tankstellen und einen Anteil alternativer Brennstoffe im Erdgasnetz von bis zu 10 Prozent.

    Konkretere zeitliche Angaben macht Polens Klimaministerium bei einem anderen Vorhaben: Im Laufe des Jahres 2024 will die Behörde ein Wasserstoffgesetz auf den Weg bringen. Es beinhaltet rechtliche Definitionen, Konzessionspflichten und konkrete Rahmenbedingungen für Netzbetreiber und Erzeuger. Solche Vorschriften sind wichtig, weil sie Firmen Investitionssicherheit geben. Die abgewählte PiS-Regierung hatte bereits 2022 eine Reform angekündigt, aber nicht umgesetzt.

    Immerhin: Polens Energiegesetz definiert seit Oktober 2023, wann Wasserstoff als erneuerbar gilt. Verordnungen des Klimaministeriums regeln einige Detailfragen. Hierzu gehören die technischen Anforderungen an Wasserstofftankstellen. Grundsätzlich gilt: Die Gesetzgebung Polens orientiert sich an EU-Vorgaben, zum Beispiel an der Energie-Richtlinie RED II.

    Initiativen der Staatsbetriebe

    Die lückenhafte Gesetzgebung hält staatliche Energieversorger nicht von eigenen Projekten ab. Der Betreiber des Erdgasübertragungsnetzes Gaz System will auch beim Wasserstofftransport eine entscheidende Rolle spielen. Das Unternehmen forscht an Lösungen, um Mischungen aus Wasserstoff und Erdgas durch das Gasnetz zu transportieren. Darüber hinaus kündigt der Betreiber eine Wasserstoffkarte an. Sie enthält Informationen über Produktionskapazitäten und interessierte Abnehmer. Gaz System will eine erste Version bis Oktober 2024 vorstellen. Auf Basis der Karte plant das Unternehmen den Verlauf von möglichen Wasserstoffleitungen. 

    Gaz System beteiligt sich auch an internationalen Projekten. Gemeinsam mit Akteuren aus Deutschland, den baltischen Staaten und Finnland arbeitet der polnische Betreiber am Nordic Baltic Hydrogen Corridor. Er soll Wasserstoff nach Deutschland befördern.

    Polens größter Betreiber des Gasverteilernetzes PSG (Polska Spółka Gazownictwa) hat bereits eine Leitung gebaut. Das 7 Kilometer lange Rohr im südwestlichen Jelenia Góra kann Erdgas mit bis zu 20 Prozent beigemischtem Wasserstoff transportieren. Es ist laut PSG die erst Leitung dieser Art in Polen.

    Einige der wichtigsten Akteure in Polens Wasserstoffmarkt haben sich in acht Clustern oder sogenannten Wasserstoff-Valleys zusammengeschlossen. Öffentliche und private Akteure schaffen hier regionale Wertschöpfungsketten. Die abgewählte PiS-Regierung hatte ein neuntes Cluster in der Woiwodschaft Podlaskie und eine Koordinierungsstelle angekündigt. Wie es unter der neuen Regierung weitergeht, steht nicht fest.

    Hinzu kommen lokalen Initiativen wie in Zgorzelec nahe der Grenze zu Deutschland. Die südostpolnische Stadt Sanok wiederum will ihre Fernwärme auf Wasserstoff umstellen. Was fehlt, ist ein Investor. Der staatliche Thinktank PIE (Polski Instytut Ekonomiczny) kritisiert, dass Polen generell zu wenig eigenes öffentliches Geld in die Wasserstoffförderung investiere.

    Ausgewählte Wasserstoff-Cluster in Polen
    NameAusgewählte Mitglieder
    Hydrogen-Cluster PomorzeSescom, Politechnika Gdańsk, Grupa ASE
    Hydrogen-Valley ZachodniopomorskaGrupa Azoty, Enea
    Hydrogen-Valley DolnośląskaGrupa Azoty, KGHM, Toyota
    Hydrogen-Valley PodkarpackaAutosan, ML System, Polenergia
    Hydrogen-Valley MazowieckaAlstom, PESA, PKN Orlen, Siemens, Solaris, Toyota
    Hydrogen-Valley Śląsko-MałopolskaColumbus Energy, Grupa Azoty, Orlen Południe, Polenergia, Węglokoks
    Hydrogen-Valley WielkopolskaZE PAK, Solaris, 
    Central Hydrogen-ValleyIndustria SA, Enea, ML System, Rolls Royce SMR
    Quelle: PIE 2024

    EU-Programme unterstützen den Wasserstoffsektor

    Stattdessen setzt das Land auf EU-Fördertöpfe. Allein über den europäischen Wiederaufbaufonds will Polen 800 Millionen Euro in die Wasserstoffwirtschaft investieren. Hinzu kommen Gelder aus der europäischen Kohäsionspolitik, aus dem Modernisierungsfonds und aus dem Infrastrukturprogramm CEF (Connecting Europe Facility).

    Unternehmen, die emissionsfreien Wasserstoff produzieren und nutzen wollen, können sich ab Mitte 2024 um insgesamt 250 Millionen Euro bewerben. Weitere 250 Millionen Euro sollen den Automobilherstellern dabei helfen, die Produktion von Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb anzukurbeln. In beiden Fällen stammt das Geld aus dem Wiederaufbaufonds. Laut Auskunft der Beratungsagentur Metropolis startet 2025 ein Programm der Kohäsionspolitik, das den Bau von Kraftwerken auf Basis erneuerbarer Quellen für die Wasserstoffproduktion unterstützt. Wie hoch das Budget ausfällt, bleibt offen. 

    Auch die Regionalverwaltungen setzen Programme mithilfe von EU-Geldern um. Bis Ende Juni 2024 können sich beispielsweise Gemeinden in Wielkopolskie auf insgesamt 40 Millionen Euro bewerben, um damit Wasserstoffbusse und andere Transportmittel einzukaufen.

    Der staatliche Mineralölkonzern Orlen bewarb sich im April 2024 erfolgreich um CEF-Mittel. Die Energiegruppe erhält 62 Millionen Euro für den Bau von 16 Wasserstofftankstellen und eines Elektrolyseurs. Bereits zuvor hatte Orlen europäische Gelder erhalten, um in Städten wie Poznań und Katowice Tankstellen in Betrieb zu nehmen. Ein weiterer Nutznießer der CEF-Wasserstoffförderung ist der private Energiekonzern ZE PAK.

    Unternehmen in Polen nutzen außerdem Fördergelder im Rahmen des europäischen Programms IPCEI (Important Projects of Common European Interest). Projekte, die den IPCEI-Status erhalten und damit als strategisch wichtig gelten, können zusätzliche staatliche Beihilfen abrufen. Neben Orlen und der Tochterfirma Lotos, haben sich außerdem der Chemiekonzern Synthos und der Stromkonzern Polenergia erfolgreich um den IPCEI-Status für Wasserstoffprojekte beworben.

    IPCEI-Wasserstoffprojekte aus Polen
    UnternehmenProjektname

    Förderung in Mio. Euro

    Inhalt
    OrlenHydrogen Eagle

    511

    Bau von Wasserstoff-Produktionszentren und Tankstellen
    LotosLotos Green H2

    158

    Bau eines 100 Megawatt Elektrolyseurs inklusive Fotovoltaik und Energiespeicher
    SynthosEntwicklung und Demonstration einer Wasserstoff-Technologie

    25

    Prototyp für Wasserstoffproduktion mittels Hochtemperatur-Wasserdampfspaltung
    PolenergiaH2Silesia

    143

    Bau ein Wasserstoff-Produktionsanlage mit 105 Megawatt
    Kein Anspruch auf VollständigkeitQuelle: GTAI-Recherche 2024

    Von Christopher Fuß | Warschau

  • Zwischen Preisdruck und Innovation

    Polnische Unternehmen setzen eine Reihe von Wasserstoffvorhaben um. In den meisten Fällen handelt es sich um kleine Projekte. Raum für Innovationen gibt es trotzdem.

    Der polnische Hersteller von medizinischen Bedarfsartikeln Promet-Plast nutzt Wasserstoff, um Strom, Wärme und Kälte für Produktionsprozesse zu erzeugen. Das ist möglich dank einer komplexen Anlage nahe dem Firmensitz in Gaj Oławski. Fotovoltaikpaneele und Windkraftanlagen liefern die Energie für einen Elektrolyseur. Der produzierte Wasserstoff landet in Tanks oder treibt ein Kraftwerk von Promet-Plast an.

    Dank der Investition deckt das Unternehmen seinen Energiebedarf ausschließlich über erneuerbare Quellen. Ab 2025 sollen Busse und weitere Fahrzeuge den Wasserstoff nutzen. Dann geht eine Tankstelle in Betrieb, die Promet-Plast zusammen mit dem polnischen Anlagenplaner SBB Energy baut. Europäische Förderprogramme helfen bei der Finanzierung.

    Absatzpotenzial für Wasserstoffbusse

    Komplexe Wasserstoffanlagen wie die von Promet-Plast gehören in Polen zur Ausnahme. Mehr Dynamik gibt es im Verkehrssektor. Aktuell haben Wasserstoffbusse laut der staatlichen Bank BGK (Bank Gospodarstwa Krajowego) einen Anteil von 6 Prozent an allen neu zugelassenen Bussen. Laut BGK steigt der Anteil bis 2028 auf 17 Prozent.

    Ein Grund sind Subventionen. Der staatliche Umweltfonds NFOSiGW (Narodowy Fundusz Ochrony Środowiska i Gospodarki Wodnej) unterstützt über das Programm "Grüner öffentlicher Nahverkehr" sieben Kommunen beim Kauf von insgesamt 117 Wasserstofffahrzeugen.

    Verkehrsbetriebe in Städten wie Gdańsk, Poznań oder Rybnik nutzen bereits Wasserstoffbusse. Die zentralpolnische Stadt Konin bestellte im April 2024 weitere Fahrzeuge. Der Verkehrsbetrieb der Stadt Wrocław testet Wasserstoffbusse im Linienbetrieb, darunter ein Modell von Mercedes-Benz.

    Auch die polnische Marke Nesobus kämpft um Aufträge. Hinter Nesobus steht das Braunkohle-Unternehmen ZE PAK. Der Energieriese will aus der Kohleverbrennung aussteigen und sucht neue Geschäftsfelder. Nesobus ist nicht der einzige Wasserstoffbus aus Polen. Das spanisch-polnische Unternehmen Solaris produziert Fahrzeuge in der Nähe von Poznań, hauptsächlich für den Export. Kleinere Hersteller in Polen sind Arthur Bus und ARP E-Vehicles.

    Tankstellen mit Komponenten aus Deutschland

    Was fehlt, sind öffentlich zugängliche Tankstellen. Diese gibt es bislang nur in wenigen Gegenden, darunter in Warschau, Katowice oder in Rybnik. Weitere Städte wollen Tankstellen im Laufe des Jahres 2024 in Betrieb nehmen. Es sind vor allem zwei Unternehmen, die das Netz ausbauen: ZE PAK und der staatliche Mineralölkonzern Orlen. Die Firmen nutzen dabei europäische Fördergelder zur Finanzierung ihrer Vorhaben.

    Gut möglich, dass ZE PAK und Orlen schon bald das Fernstraßennetz in den Blick nehmen. Polens Klimaministerium hat 37 Standorte entlang der Autobahnen für neue Investitionen vorgeschlagen. Ab 2030 sollen Fahrzeuge hier Wasserstoff tanken. Davon könnten auch deutsche Zulieferer profitieren. Komponenten für den Überspannungsschutz aus dem Hause der bayerischen Firma Dehn kommen bereits heute in Polens Wasserstofftankstellen zum Einsatz.

    Staatlicher Mineralölkonzern ist besonders aktiv

    Ein anderes Vorhaben mit deutscher Beteiligung steht hingegen vor dem Aus. Nach der Firmenübernahme durch Orlen hat Polens Gasversorger PGNiG (Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo) mehrere Forschungsprojekte im Wasserstoffsegment abgebrochen. Dazu gehört auch eine Initiative mit dem deutschen Stickstoffhersteller Messer. PGNiG will laut eigener Auskunft Dopplungen mit Orlen vermeiden.

    Tatsächlich verfolgt kein Unternehmen in Polen so viele Wasserstoffprojekte wie Orlen. Bis 2030 will das Unternehmen mindestens 111 Wasserstofftankstellen und sechs Produktionszentren in Polen, Tschechien und der Slowakei bauen. Die Kosten des Wasserstoffprogramms beziffert der Mineralölkonzern auf 1,7 Milliarden Euro. Die Umsetzung läuft schleppend. Gleichzeitig denkt Orlen darüber nach, emissionsfreie Kraftstoffe für die Luftfahrt auf Basis von Wasserstoff zu produzieren. Das Projekt mit dem Namen "HyFly" steht noch am Anfang.

    Wenn es nach dem Staatsbetrieb geht, dann wird Wasserstoff auch im Schienenverkehr eine Rolle spielen. Gemeinsam mit dem polnischen Zugbauer PESA hat Orlen eine Wasserstofflokomotive entwickelt. Das Interesse der Kunden hält sich aber in Grenzen.

    Bahnunternehmen skeptisch

    Immerhin: Polens größter Regionalbahnbetreiber Polregio spricht mit einem Hersteller über Wasserstoff-Hybridzüge. Der Einsatzort wären teil-elektrifizierte Strecken. Die Regionalbahn Wielkopolskie will zwei Schienenfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb testen, bleibt dabei aber zurückhaltend. "Wir betrachten das Thema sehr vorsichtig, auch aufgrund der hohen Kosten", erklärte Regionalbahn-Chef Marek Nitkowski auf einer Branchenkonferenz.

    Der Stromversorger PGE Energetyka Kolejowa baut bis 2025 nördlich von Wrocław eine Anlage, um grünen Wasserstoff als Energiespeicher im Bahnstromnetz zu nutzen. Partner ist SBB Energy. Bis 2028 verspricht der Bahnstromversorger außerdem 50 Wasserstofftankstellen für Züge.

    Für einige Anwendungsfälle ist Wasserstoff zu teuer

    Nicht jede große Ankündigung wird Realität. Der Verkehrsverbund GZM in der Woiwodschaft Śląskie wollte 20 Wasserstoffbusse einkaufen, entschied sich am Ende aber für lediglich acht Fahrzeuge. Der Grund: Kein Hersteller konnte Wasserstoff zu einem Preis liefern, der ins Budget von GZM passte.

    Auch andere Unternehmen kämpfen mit Hürden. ZE PAK kann einen Elektrolyseur in Konin voraussichtlich erst im Laufe des Jahres 2024 in Betrieb nehmen. Geplant war 2023. Hintergrund sind technische Schwierigkeiten mit einem ähnlichen Elektrolyseur in einem anderen Werk. ZE PAK wollte außerdem die Energie einer Müllverbrennungsanlage in Rybnik für die Wasserstoffproduktion nutzen. Doch um das Projekt ist es still geworden.

    Ein anderes Unternehmen wagt hingegen Pionierarbeit. SES Hydrogen baut in Śrem, südlich von Poznań, die erste Wohnsiedlung Polens, die mit Wasserstoff heizt. Die Stadtverwaltung und eine Wohnungsbaugenossenschaft unterschrieben im November 2023 einen Planungsvertrag. Wann der Bau beginnt, ist offen.

    Von Christopher Fuß | Warschau

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