Wirtschaftsumfeld | Polen | Wirtschaftsstruktur
Steigende Kosten verändern das Wirtschaftsprofil
Polens Wirtschaft fußt auf mehreren Standbeinen. Einige Branchen stehen aber unter Druck. Investitionen sollen das Land fit für die Zukunft machen.
29.11.2024
Von Christopher Fuß | Warschau
Polen ist die mit Abstand bevölkerungsreichste Volkswirtschaft in Mittelosteuropa. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes übertrifft die Wirtschaftskraft von Tschechien, der Slowakei und Ungarn zusammengerechnet. Zu den Stärken Polens zählt die vielfältige Industrielandschaft. Der Beitrag des gesamten verarbeitenden Gewerbes zur Wirtschaftsleistung liegt seit Jahren stabil bei knapp unter 20 Prozent. Die Automobilbranche spielt eine wichtige, aber keine dominierende Rolle.
Landwirtschaftliche Betriebe nehmen in Polens Wirtschaftsmix einen deutlich größeren Platz ein als in anderen EU-Mitgliedstaaten – trotz vieler unrentabler Kleinhöfe. Auch der traditionsreiche Bergbausektor besitzt immer noch Gewicht. Zuschüsse aus der Staatskasse halten die verlustreichen Minen am Leben. Über deutlich bessere Perspektiven freut sich der Dienstleistungssektor. Er gewinnt dank einer dynamischen IT-Branche und neuer Bürozentren (Shared Service Center, SSC) in den Ballungsräumen an Gewicht.
Der Wohlstand in Polen steigt. Verbraucher geben mehr Geld aus. Darüber freuen sich insbesondere der Einzelhandel, die Gastronomie und das Hotelgewerbe.
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Starker Fokus auf europäische Absatzmärkte
Der polnische Staat mischt aktiv in der Wirtschaft mit. Die öffentliche Hand ist der größte Anteilseigner bei sieben der zehn umsatzstärksten Firmen des Landes. Die übrigen drei Unternehmen gehören internationalen Investoren. Neben Staatskonzernen und ausländischen Firmen prägen kleine und mittelständische Unternehmen die Wirtschaft Polens.
Viele Wirtschaftszweige hängen am Exportgeschäft. Deutschland und die Eurozone gehören mit Abstand zu den wichtigsten Auslandsmärkten. Wenig überraschend beobachten Unternehmen in Polen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sehr genau. Lars Gutheil, Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) kommentiert:
"Derzeit ist eine gewisse Verunsicherung in Polen zu spüren, wenn es um die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland geht."
Zwar kann Polens großer Binnenmarkt einige Schwankungen im Auslandsgeschäft abfedern. Eine dauerhafte Konjunkturschwäche der Eurozone würde aber auch polnische Unternehmen vor große Herausforderungen stellen.
Neben den Absatzrisiken gehören steigende Lohnkosten laut der Konjunkturumfrage der AHK Polen zu den größten Herausforderungen für die Unternehmen. Allein zwischen 2019 und 2023 kletterte das Durchschnittsgehalt um über 45 Prozent. Eine arbeitsintensive Produktion mit niedrigen Margen rechnet sich daher in Polen immer weniger. Ähnliches gilt für Prozesse mit einem hohen Energieverbrauch. Die Stromkosten haben sich zwischen 2021 bis 2024 fast verdoppelt. Braunkohle und Steinkohle gelten als die größten Preistreiber, denn wegen ihnen müssen polnische Energieerzeuger viele teure Emissionszertifikate einkaufen.
Die nächste Modernisierungswelle kommt
Um Energie bezahlbarer zu machen, baut Polen seine Stromversorgung um. Erdgas gilt in diesem Zusammenhang als Übergangstechnologie. Der Energieversorger PGE nahm im Oktober 2024 das bis dato größte Gaskraftwerk des Landes in Betrieb. Es deckt 5 Prozent des nationalen Strombedarfs und ersetzt ein Kohlekraftwerk am gleichen Standort. Weitere Gaskraftwerke befinden sich landesweit im Bau.
Ab 2035 soll Atomkraft einen Teil der Grundlast decken. Die Reaktortechnik für das geplante staatliche Atomkraftwerk östlich von Gdańsk stammt vom US-amerikanischen Unternehmen Westinghouse. Zu den größten Knackpunkten des 35 Milliarden Euro teuren Projekts gehört die Finanzierung.
Erneuerbare Energien werden ab 2030 mehr als 50 Prozent der Stromproduktion abdecken. Bei Fotovoltaik wächst die installierte Leistung in einem beeindruckenden Tempo. Die Windkraft hinkt hinterher, auch wegen der strengen Abstandsvorschriften. Das Klimaministerium unternimmt einen weiteren Anlauf, um die einschlägigen Regelungen zu lockern.
Während die Energiewende Fortschritte macht, kommt die Verkehrswende nur langsam voran. Elektrofahrzeuge gehören in Polen zu den Ladenhütern. Der Umweltfonds will mit Kaufprämien für Elektro-Lkw und Elektro-Pkw nachhelfen. Zuschüsse sollen außerdem die Betreibergesellschaften dazu animieren, mehr Hochleistungsladesäulen entlang der Autobahnen zu bauen.
Die meisten Schnellstraßen in Polen entstanden nach dem EU-Beitritt 2004. Regionen mit einer nahegelegenen Autobahn entwickeln sich schneller als andere Landesteile. Die Straßenbaubehörde verfolgt darum eine ganze Reihe von Projekten, um weitere Ortschaften an das Autobahnnetz anzuschließen. Zu den prominentesten Beispielen gehören die S10 zwischen der Hafenstadt Szczecin und Warschau, sowie die S11 von der Küste bis in den Süden des Landes.
Bei vielen Projekten greift Polen auf europäische Fördergelder zurück. Das Land ist der größte Netto-Empfänger von EU-Geldern. Laut Auskunft des zuständigen Ministeriums entsprechen die Mittel aus Brüssel rund einem Viertel aller öffentlichen Ausgaben für Investitionen.
Sektoren | Anteil an der Bruttowertschöpfung in Prozent, 2023 | Anteil an den Beschäftigten in Prozent, 2023 |
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Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 3,0 | 8,1 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 1,8 | 0,9 |
Verarbeitendes Gewerbe | 18,6 | 18,6 |
Energieversorgung | 4,7 | 1,1 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 1,2 | 1,0 |
Baugewerbe | 7,1 | 7,2 |
Dienstleistungen | 63,5 | 63,1 |
Polens Industrie ist nur schwach organisiert
Der Süden und der Westen gehören zu den wirtschaftlichen Zentren des Landes, vor allem dank der Fahrzeugindustrie, dem Maschinenbau und dem Bergbau. Hersteller von Haushaltselektronik produzieren vornehmlich in Zentralpolen. Die Wirtschaftsleistung der Hauptstadt Warschau profitiert davon, dass Großunternehmen oftmals hier ihren Hauptsitz oder ihre Zentrale für Mittelosteuropa haben.
Anders als in Deutschland gibt es in Polen keine starkes Verbands- oder Kammerwesen. Allerdings haben sich einige Industriecluster herausgebildet. Zu den bedeutendsten Initiativen gehört der Zusammenschluss der Luftfahrtindustrie im Südosten Polens (Dolina Lotnicza) und der Cluster für Werkzeugbau und Kunststoffverarbeitung in Bydgoszcz (Bydgoski Klaster Przemysłowy). Der Maschinenbauverband VDMA aus Deutschland ist ebenfalls in Polen aktiv.