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Wirtschaftswachstum in Lateinamerika legt 2025 einen Zahn zu
Die Chancen für Lateinamerika stehen gut. Denn das weltweite Interesse an der Region wächst, nicht nur als Lieferant von Energie, Nahrungsmitteln und Rohstoffen. (Stand: 13.09.2024)
Von Jutta Kusche | Bonn
- Erschließung kritischer Rohstoffe gewinnt an Dynamik
- Trotz Rekordinvestitionen: Mexikos Wirtschaft wächst weniger stark
- Brasiliens Wirtschaft wächst erneut stärker als erwartet
- In Chile und Kolumbien kommt die Wirtschaft wieder mehr in Fahrt
- Perus Wirtschaft erholt sich 2024, Argentiniens erst 2025
- Hat Deutschland in Lateinamerika den Anschluss verpasst?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank haben im Sommer 2024 ihre Wachstumserwartungen für die Region zwar leicht auf 1,9 Prozent gesenkt. Geringere Investitionen, hohe Zinsen und Haushaltsdefizite bremsen die Dynamik. Negativ wirken sich auch die gesunkenen Rohstoffpreise aus. Hinzu kommen die unsicheren Aussichten wichtiger Handelspartner wie den USA, China und Europa. Für 2025 gehen IWF und Weltbank aber wieder von einem Zuwachs des regionalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,7 Prozent aus.
Positiv für Lateinamerikas Konjunktur ist, dass die Inflation in fast allen Ländern zurückgeht. Dadurch werden die Zinsen in den meisten Staaten sinken und die Investitionen tendenziell steigen.
Erschließung kritischer Rohstoffe gewinnt an Dynamik
Die Erschließung kritischer Mineralien und große Infrastrukturprojekte gehören zu den Wachstumstreibern. So verfügt die Region über die Hälfte der weltweiten Lithiumreserven. Investitionen in diesen Sektor halten an, vor allem in Argentinien, das neben Chile und Bolivien zum sogenannten Lithiumdreieck gehört. Im Gegensatz zu Chile sind die Umweltauflagen in Argentinien weniger streng und im Vergleich zu Bolivien ist das Land deutlich offener für ausländische Investoren.
Trotz Rekordinvestitionen: Mexikos Wirtschaft wächst weniger stark
Ein weiterer Treiber ist der Nearshoring-Trend, von dem Mexiko aufgrund seiner Nähe zum US-Markt und dem Handelsabkommen USMCA besonders profitiert. Viele internationale Unternehmen expandieren oder siedeln sich neu am Standort Mexiko an. Im Jahr 2023 erreichten die ausländischen Direktinvestitionen mit 36 Milliarden US-Dollar (US$) einen Rekordwert. Deutsche Unternehmen investieren vor allem in der Automobilindustrie. Der Nearshoring-Trend spiegelt sich auch in der Außenhandelsstatistik wider: Mexiko ist 2023 zum wichtigsten Handelspartner der USA aufgestiegen, vor Kanada und China.
Die Ungewissheit über den politischen Kurs von Claudia Sheinbaum, die im Oktober 2024 ihr Amt als Präsidentin Mexikos antritt, könnte jedoch einige Investoren vorerst zögern lassen. Da auch die Nachfrage moderater verläuft, erwartet der IWF 2025 nur ein Wachstum des BIP von 1,6 Prozent.
Brasiliens Wirtschaft wächst erneut stärker als erwartet
Im fünften Jahr in Folge überrascht Brasilien 2024 mit einem Wachstum, das deutlich über den Prognosen vom Jahresanfang liegt, auch wenn der IWF diese im Sommer aufgrund der Flutschäden leicht auf 2,1 Prozent nach unten revidiert hat. Die positive Entwicklung fußt mit auf den Wirtschaftsreformen der Vorgängerregierungen und auf Privatisierungen, die den Infrastrukturausbau ermöglichen. Im Jahr 2025 könnte sich das Wachstum auf 2,4 Prozent beschleunigen.
Zinssenkungen und Förderprogramme regen Investitionen an. Für Impulse bei den Bauinvestitionen sorgt das neue Wachstumsprogramm PAC, in dessen Rahmen bis 2026 etwa 250 Milliarden US$ in Infrastrukturprojekte fließen sollen.
Zudem will sich Brasilien zu einem wichtigen Beschaffungsmarkt für CO2-arme Produkte wie grünen Stahl etablieren. Das Potenzial dafür ist vorhanden: In keinem anderen G20-Land ist Ökostrom so günstig wie in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas.
In Chile und Kolumbien kommt die Wirtschaft wieder mehr in Fahrt
Die chilenische Wirtschaft gewinnt 2024 an Fahrt. Laut IWF wird das BIP zwischen 2024 und 2028 im Schnitt jährlich um 2,3 Prozent steigen. Um zu den Industrieländern aufzuschließen, müsste es aber deutlich stärker wachsen. Positive Impulse für die Konjunktur kommen vor allem aus dem Bergbau. Die Branche erwartet sprudelnde Einnahmen durch steigende Preise für Kupfer, Chiles wichtigstem Exportgut. Doch leiden die Unternehmen unter langwierigen und unberechenbaren Genehmigungsverfahren.
Auch die Aussichten für Kolumbiens Wirtschaft hellen sich auf. Nach einem schwachen Wachstum von 1,1 Prozent im Jahr 2024 erwartet der IWF 2025 ein Plus von 2,5 Prozent. Investitionen und Konsum dürften davon profitieren, dass Inflation sowie Zinsen sinken und die Exportnachfrage sich positiv entwickelt. Das Land setzt bei Projekten auf Infrastruktur und grünen Wasserstoff.
Perus Wirtschaft erholt sich 2024, Argentiniens erst 2025
Nach einer leichten Rezession geht es in Peru wieder aufwärts. Der IWF rechnet 2024 und 2025 mit einen Anstieg des BIP von 2,5 beziehungsweise 2,7 Prozent. Die nachlassende Inflation und sinkende Zinsen stärken die Wirtschaft, politische Skandale und anhaltende Unsicherheit belasten jedoch das Geschäftsklima.
Wichtige Infrastruktur- und Logistikprojekte nähern sich dem Ende. Im November soll der 3,6 Milliarden US$ teure Megahafen Chancay in Betrieb gehen. Mehrheitlich im Besitz des Staatsunternehmens Cosco Shipping, wird es der erste von China kontrollierte Hafen in Südamerika sein.
Auch in Argentinien dürfte es 2025 nach einer tiefen Rezession wieder aufwärts gehen. Dabei helfen sollen Auslandsinvestitionen, die Präsident Javier Milei mit dem geplanten Incentive-Gesetz für Großprojekte (RIGI) ins Land holen will. Allerdings dürften viele Investoren abwarten, bis sich das Land deutlich stabilisiert hat. Jedoch verzeichnet der Lithiumsektor schon jetzt – wie eingangs beschrieben – ein reges Interesse ausländischer Unternehmen.
Hat Deutschland in Lateinamerika den Anschluss verpasst?
Lange vernachlässigt steht Lateinamerika heute wieder stärker im Fokus Deutschlands. Aus deutscher Sicht bieten sich nach wie vor große Chancen – etwa über Engagements im Rohstoffsektor, im Bereich erneuerbare Energie oder beim grünen Wasserstoff. Auch traditionelle Branchen bieten Potenzial. So ist der Kfz-Sektor die mit Abstand wichtigste Branche für deutsche Unternehmen in Mexiko.
Deutschland und Lateinamerika verbindet eine lange Geschichte. In vielen Branchen sind deutsche Unternehmen wichtige Lieferanten. Doch verliert Deutschland in der Region zunehmend an Gewicht. Hingegen ist China in kurzer Zeit zum wichtigsten Handelspartner der meisten lateinamerikanischen Länder aufgestiegen, wie beispielsweise in Brasilien, Chile und Peru. Deutsche Produkte genießen in der Region zwar einen hervorragenden Ruf, können aber auf dem preisorientierten Markt nur schwer mit Waren aus der Volksrepublik mithalten.
Exporte | Veränderung *) | Importe | Veränderung *) | |
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Lateinamerika u. Karibik | 44,9 | 8,3 | 28,7 | -6,2 |
Südamerika | 23,2 | 1,6 | 16,2 | -14,0 |
Zentralamerika | 1,8 | 22,5 | 1,8 | -8,7 |
Karibik | 0,9 | 15,0 | 0,5 | -12,9 |