Special | Brasilien | Wasserstoff
Politik: Dekarbonisierung steht ganz oben auf der Agenda
Mit der Regulierung von kohlenstoffarmem Wasserstoff konkretisieren sich Fördermittel und der Zugang zu Finanzierung.
05.02.2025
Von Gloria Rose | São Paulo
Brasilien weist im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften bereits eine vorbildlich klimafreundliche Strom- und Energieversorgung auf und gehört zu den wichtigsten Investitionsstandorten für erneuerbare Energien weltweit. Für die Produktion von grünem Wasserstoff ist die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas prädestiniert, einerseits wegen der guten Bedingungen für Wind- und Solarkraft, andererseits wegen des gewaltigen Potenzials für Bioenergie.
Hervorragende Voraussetzungen und ein riesiges Potenzial
Der Strommix Brasiliens ist schon heute sehr grün. Und es besteht noch viel Raum für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren. So gehört der Nordosten des Landes zu den Regionen mit den weltweit besten natürlichen Voraussetzungen für Onshore-Wind- und Solarenergie – nicht zuletzt, weil sich beide im Tagesverlauf perfekt ergänzen.
Dank der gigantischen Agrarressourcen und der Nutzung von Biokraftstoffen spielt die Bioenergie bereits heute eine bedeutende Rolle im Energiemix des Landes. Auch hier bietet sich ein immenses Potenzial für Wasserstoff. Denn zur Gewinnung hochwertiger Derivate wie E-Methanol und anderer E-Fuels bedarf es großer Mengen an biogenem Kohlenstoff.
Ausgehend von derzeit 1,6 Millionen Kubikmetern Biomethan pro Tag sollen die Kapazitäten bis 2032 auf etwa 8 Millionen Kubikmeter steigen. Laut einer aktuellen Erhebung des Branchenverbands ABiogás sind bis 2027 rund 120 neue Anlagen geplant. Wachstumstreiber ist die Land- und Viehwirtschaft, die Reststoffe verwerten und Emissionen mindern will. Die neuen Wertschöpfungsketten lohnen sich zunehmend, zumal Brasilien die lokale Produktion von Dünger fördert, welcher ein typisches Nebenprodukt der Prozessketten ist.
Energiewende bietet Brasilien Wachstumschancen
Mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft kann Brasilien künftig zu einem der wichtigsten Exporteure grüner Energie und nachhaltigerer Industrieprodukte aufsteigen. Denn ähnlich wie Australien kann Brasilien Skaleneffekte nutzen und Wasserstoff und seine Derivate sowohl zur Deckung des eigenen Energiebedarfs als auch für den Export produzieren.
Laut einer Studie von Bloomberg New Energy Finance dürften im Jahr 2030 die Elektrolysekosten für grünen Wasserstoff in Brasilien die Erzeugungskosten von herkömmlichem – also grauem – Wasserstoff unterschreiten. Auch in China, Schweden, Spanien und Indien soll dies der Fall sein. In allen anderen Ländern wird dieser Punkt voraussichtlich erst später erreicht. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE sieht Brasilien neben Kolumbien und Australien ganz vorne bei der Lieferung von grünem Ammoniak, Methanol und Kerosin nach Deutschland.
Vereint unter der Agenda einer grünen Industrialisierung
Brasilien will seine Wettbewerbsvorteile bei grüner Energie nutzen und wieder zu einem attraktiven Industriestandort werden. "Powershoring" liegt im Interesse aller politischen Kräfte. Nur so erklärt sich, dass es der geschwächten Regierung unter Präsident Lula da Silva 2024 gelang, die Agenda zur Dekarbonisierung so deutlich voranzutreiben. Trotz der Kommunalwahlen verabschiedete Lula im 2. Halbjahr 2024 zahlreiche Gesetze, darunter den Rechtsrahmen für kohlenstoffarmen Wasserstoff.
In Kraft traten auch das Steuerregime "Regime Especial de Incentivos para a Produção de Hidrogênio de Baixa Emissão de Carbono" (Rehidro) und das Förderprogramm "Programa de Desenvolvimento do Hidrogênio de Baixa Emissão de Carbono" (PHBC). Im Rahmen des PHBC stellt Brasilien 2028 bis 2032 mehr als 3 Milliarden US-Dollar (US$) an Steuervergünstigungen für die Produktion von kohlenstoffarmem Wasserstoff bereit.
Im Oktober 2024 feierte die Wirtschaft das Gesetz "Kraftstoffe der Zukunft", das Förderquoten zur Beimischung emissionsarmer Treibstoffe festlegt. So müssen Fluggesellschaften ab 2027 ihre Emissionen bei Inlandsflügen schrittweise reduzieren beziehungsweise ausgleichen. Damit setzt Brasilien unter anderem die Vorgaben des Klimakompensationssystems CORSIA um.
Das Energieministerium erwartet, dass in Brasilien 2027 mindestens 1,6 Milliarden Liter SAF (Sustainable Aviation Fuel) produziert werden. Dafür würden Projekte im Wert von fast 3 Milliarden US$ realisiert. Insgesamt soll das Fördergesetz für innovative Kraftstoffe Investitionen von über 40 Milliarden US$ anstoßen.
Um den Jahreswechsel 2024/25 verabschiedete Lula den Rechtsrahmen für den verpflichtenden Emissionshandel und für Offshore-Windenergie. Außerdem verstärkte die Regierung die Förderung von Biokraftstoffen (RenovaBio) und erleichterte mit dem Programm zur Beschleunigung der Energiewende (Paten) die Finanzierung.
Auch 2025 steht im Zeichen der Dekarbonisierung. Schließlich rückt die Austragung der Weltklimakonferenz COP30 im November 2025 Brasilien in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Im Mai will das Land eine Strategie für nachhaltige Schiffskraftstoffe festlegen.
Zwölf Projekte ringen um Mittel des Klimafonds
Laut dem Dreijahresplan des Programa Nacional do Hidrogênio (PNH2) will Brasilien bis 2035 Hubs für CO2-armen Wasserstoff etablieren. In Kooperation mit Climate Investment Funds - Industry Decarbonization (CIF-ID) vergibt die Regierung derzeit Finanzmittel in Höhe von 1,09 Milliarden US$, um ein erstes Großprojekt zur Dekarbonisierung der Industrie zu fördern.
In der ersten Etappe wählte das Energieministerium Ende 2024 insgesamt zwölf aus den über 70 von Unternehmen eingereichten Vorschlägen aus. Davon sind drei Projekte im Bundesstaat São Paulo angesiedelt. Weitere Standorte sind die Bundesstaaten Bahia und Minas Gerais sowie Häfen mit Freihandelszonen (Pecém, Suape und Açu). In der zweiten Phase legen die ausgewählten Unternehmen nun detaillierte Geschäftspläne vor. Die engere Projektauswahl wird dann für die Finanzierung durch den Klimafonds in Betracht gezogen.
Wasserstoff-Hubs bilden sich heraus
Die Aussicht auf Absatzchancen in Europa animierte in den vergangenen Jahren Projektentwickler und Energieunternehmen zu Investitionen in Wasserstoffprojekte. Mit Unterstützung der bundesstaatlichen Regierungen entstanden erste Vorhaben an Häfen mit Freihandelszonen wie Pecém im Bundesstaat Ceará, Suape (Pernambuco), Parnaíba (Piauí) und Açu (Rio de Janeiro).
Ceará unterzeichnete besonders viele Absichtserklärungen. In Partnerschaft mit dem Hafen Rotterdam investiert der Staat in die Pecém Port Complex Integration Company (CIPP), die einen Hub für grünen Wasserstoff und Infrastruktur für Exporte nach Europa errichtet. Im Dezember 2024 schloss auch der weltgrößte Binnenhafen Duisport eine Absichtserklärung mit CIPP. Damit erstreckt sich der Green Hydrogen Corridor nun direkt von Pecém bis ins Ruhrgebiet.
Der Industriehafenkomplex Camaçari (Bahia) verfügt über keine ZPE (Zonas de Processamento de Exportação) und fokussiert eher auf die lokale Verwertung. Auch im Wirtschaftszentrum São Paulo geht es um die grüne Industrialisierung, vorzugsweise am Petrochemiestandort Cubatão.